Arbeiten in der Chemie

Wirkstoffpflaster statt Tabletten: Alternative mit längerer Wirkung

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© Böhm Mediendienst

Die größte Hürde ist die menschliche Haut. „Die lässt nur eine sehr eingeschränkte Anzahl von Wirkstoffen überhaupt durch“, sagt Michael Hoffmann. „Von den rund 4 000 zugelassenen Arzneimittelwirkstoffen sind es gerade mal circa 30, die in der Welt der Wirkstoffpflaster angekommen sind. Neben dem Molekulargewicht begrenzen auch andere physikochemische Eigenschaften den Einsatz in einem Wirkstoffpflaster.“ Eine vermeintlich kleine Nische, in der der Produktionsvorstand der LTS LOHMANN Therapie-Systeme AG in Andernach unterwegs ist – die das Unternehmen aber äußerst erfolgreich bespielt und stetig erweitert.

LTS – ursprünglich eine Ausgründung des Klebstoffspezialisten Lohmann aus Neuwied – gehört heute zu dievini Hopp BioTech, der Holding-Gesellschaft zur Verwaltung der Biotech-Beteiligungen des SAP-Milliardärs Dietmar Hopp. Die LTS AG ist Marktführer bei transdermalen Systemen, die landläufig als Wirkstoffpflaster bezeichnet werden. „Wir wollen über alternative Routen Wirkstoffe in den Körper bringen“, erläutert Hoffmann den Firmenanspruch. Längst lassen sich mit Pflastern nicht nur Raucher entwöhnen. Frauen erhalten darüber Hormone zur Verhütung oder in den Wechseljahren, Schmerzen werden therapiert. Und selbst für Parkinson- und Alzheimer-Patienten gibt es mittlerweile Pflaster.


Besser dosierbar bei längerer Wirkung

„Über Pflaster sind Wirkstoffe besser dosierbar“, erklärt der Vorstand. „Anders als Tabletten wirken Pflaster oft über mehrere Tage, vergleichbar mit einer Dauerinfusion.“ Auch die Nebenwirkungen seien je nach Produkt geringer. Seit der Gründung 1984 ist LTS gewachsen. Aus 30 wurden mehr als 1 200 Mitarbeiter. 2016 flossen 6,2 Prozent der 330 Millionen Euro Umsatz in Forschung und Entwicklung, mehr als 800 Millionen Pflaster verließen die Produktionsstätten in Andernach und im US-Bundesstaat New Jersey.

Bei einem Werkrundgang in Andernach wird sichtbar, was Hoffmann meint, wenn er die Technik zu einer LTS-Kernkompetenz erklärt: 80 Prozent der Maschinenhier hat das Unternehmen selbst konzipiert und gebaut. Am Anfang der Pflasterproduktion steht die Mischung von Wirkstoffen mit den Klebstoffen zu einer homogenen Masse. Diese wird im nächsten Arbeitsschritt in höchster Präzision auf bahnförmige Trägermaterialien beschichtet. Nach dem Trocknen der Lösemittel entstehen Laminate, die bis zu sechs verschiedene Schichten haben können. Es folgen Zuschnitt, Stanzen und Verpackung. Alle Herstellungsschritte werden mit den für Arzneimittel vorgegebenen hohen Qualitätsansprüchen durchgeführt. Von der Entwicklung der Rezeptur bis hin zum fertigen Wirkstoffpflaster ist viel Know-how notwendig, damit Patienten ein qualitativ hochwertiges Arzneimittel in der Hand halten.


Mehr Wirkstoffe, neue Technologien

Weil die Einsatzzwecke endlich sind, arbeitet LTS daran, mehr bestehende Wirkstoffe pflastertauglich zu machen. Außerdem erforscht das Unternehmen neuartige Wege, sie durch die Haut zu bringen. Am ausgereiftesten sind „Micro Array Patches“: Auf diesen Pflastern sind zwischen 300 und 3 000 winzige Polymerstrukturen aufgebracht, die Wirkstoffe enthalten. Die Pflaster werden mit leichtem Druck aufgeklebt, die polymeren Mikrostrukturen durchdringen die Haut, lösen sich im Gewebe auf und geben den Wirkstoff ab. Eine klinische Prüfung mit einem Impfstoff läuft bereits. Mit der Marktreife rechnet Hoffmann Mitte der 2020er Jahre. Die Patches könnten nicht nur Nadelphobiker beruhigen. Auch ihre Wirksamkeit könnte besser sein, da die polymeren Mikrostrukturen direkt die immunkompetenten Zellen unter der Haut erreichen, die dann schneller und effektiver die Immunreaktion auslösen als bei bisherigen Impfungen.

Neben den Patches entwickelt LTS nadelfreie Injektionssysteme, die Wirkstoffe mit Hochdruck in die Haut applizieren. Mit einem Start-up haben die Andernacher sich außerdem verbündet, um wirkstoffhaltige Folienfilme zu produzieren. Diese würden über Kapseln geschluckt und blieben dank ihrer Geometrie und physikalischen Eigenschaften länger als Tabletten im Magen, um ihre Wirksamkeit zu entfalten. Das System steht kurz vor der Marktzulassung. Hoffmann ist überzeugt: „So können wir unsere Technologien für ein größeres Anwendungsgebiet öffnen.“

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