Jede Erfolgsserie geht einmal zu Ende. Das ist in der Wirtschaft nicht anders als im Fußball. Neun Jahre dauert der Aufschwung in Deutschland nun an. Doch jetzt mehren sich die schlechten Nachrichten. Der Reihe nach senken die Ökonomen ihre Wachstumsprognosen für 2019: auf 1,4 Prozent Plus das Wirtschaftsforschungsinstitut RWI in Essen, auf 1,1 Prozent das Ifo-Institut in München und auf 1 Prozent die Bundesregierung.
In den Chefetagen hätten sich die Geschäftserwartungen „massiv verschlechtert“, sagt Ifo-Chef Clemens Fuest. „Sie sind erstmals seit Ende 2012 leicht pessimistisch. Die deutsche Wirtschaft befindet sich im Abschwung.“ Die Chemieindustrie spürte das schon im Spätherbst. „Die Geschäftslage trübt sich ein. Die Chemieerträge gehen zurück, und die Verunsicherung wächst“, berichtete damals Bernd Vogler, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Chemie Rheinland-Pfalz.
Dabei bescherte das Jahr 2018 der Branche noch mal eine gute Bilanz: Der Umsatz kletterte erstmals auf über 200 Milliarden Euro und die Belegschaften wuchsen auf 462.000 Beschäftigte. Doch das Niedrigwasser im Rhein zwang zum Drosseln von Anlagen. Und die Konjunktur schwächte sich ab. Lediglich die Pharmaproduktion brummte noch. In vier von fünf Chemiesparten schrumpfte dagegen die Produktion. 2019 hält die Branche zwar „ein bescheidenes Wachstum für erreichbar“, formulierte zuletzt Hans Van Bylen, Henkel-Chef und Präsident des Chemieindustrieverbands VCI. Doch die Sorgen nehmen zu.
Die Gründe für den Pessimismus
Die Autoindustrie
Bei der wichtigen Abnehmerbranche kam es zu einem starken Einbruch der Produktion. Im November fertigten die Hersteller 22 Prozent, im Dezember 18 Prozent, im Januar 19 Prozent weniger als im Vorjahresmonat. Denn fehlende Kapazitäten für das neue Abgasprüfverfahren WLTP (Messung auf der Straße) bremsten die Zulassung neuer Modelle aus. Zugleich brach der Export ein. Zwar rechnen Experten hierzulande mit einem Nachholeffekt. Aber „es gibt auch Zeichen, dass sich der Produktionstrend generell verlangsamt hat“, so die Ökonomen des RWI.
Der Brexit
Der Austritt Großbritanniens aus der EU bedrückt die Branche. VCI-Präsident Van Bylen fürchtet einen harten Brexit ohne Vertrag. „Das wäre eine Riesenherausforderung für die Chemieindustrie.“ Auf alle ex- und importierten Chemieprodukte würden Zölle fällig; zusätzliche Kosten von 200 Millionen Euro im Jahr entstünden. Zudem könnten Stoffe ihre Zulassung verlieren. Das gefährde die Wertschöpfungsketten. Ob und wie der Austritt vonstatten geht, war zu Redaktionsschluss noch nicht klar.
Der Handelskrieg
Die USA und China belegen immer größere Teile ihres Handels mit Abgaben. Die USA erheben Strafzölle auf China-Importe im Wert von 250 Milliarden Dollar (das ist die Hälfte der Einfuhren), China auf US-Waren für 110 Milliarden Dollar. „Das belastet die Wachstumsprognosen für die Weltwirtschaft“, sagt Van Bylen. Und es bedroht das Erfolgsmodell der exportorientierten und global produzierenden deutschen Chemieindustrie: den freien Welthandel.
China
Die Volksrepublik setzt mit ihrer Wirtschaftsstrategie jetzt verstärkt auf höherwertige, innovative Chemieprodukte. Damit greift sie die deutsche Chemie in ihrer Domäne Spezialchemie an, die Wachstum und höhere Gewinne verspricht. 2018 war sie die einzige reine Chemiesparte mit Produktionsplus. Hier dürfte der Wettbewerb also härter werden.