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Warum Deutschland die Chemieindustrie braucht

· Lesezeit 5 Minuten.
Steamcracker der BASF, Foto: BASF SE
Energieintensiver Riese: Im sogenannten Steamcracker erzeugt die BASF bei etwa 850 Grad Celsius aus Rohbenzin Grundstoffe wie Ethylen und Propylen. Die Großanlage hat eine Fläche von 13 Fußballfeldern. Foto: BASF SE

Die Chemieindustrie ist in Bedrängnis: Teure Energie und Rohstoffe, Umsatzeinbruch und hohe Arbeitskosten machen ihr zu schaffen. Unternehmen bauen Stellen ab, wollen verstärkt auswärts investieren. Beschäftigte bangen um Jobs. Und dann werden auch noch Stimmen laut, die fordern, Produktionsanlagen stillzulegen und so Energie zu sparen.

„Die Chemieindustrie muss weniger produzieren“, verlangt etwa die Umweltschutzorganisation BUND in der im Herbst vorgelegten Studie „Blackbox Chemieindustrie“. BUND-Geschäftsführerin Antje von Broock sagt: „Zukunftsfähig wird die Branche nur, wenn sie ihren Energie- und Ressourcenverbrauch drastisch und absolut senkt.“ Man müsse darüber reden, „welche Art von Produktion wirklich nötig ist“. Im Fokus der Kritik: energieintensive Großanlagen.

Die Forderungen gehen einfach darüber hinweg, dass die Chemieindustrie für den Standort Deutschland enorm wichtig ist. Sie bietet Hunderttausende gut bezahlte Arbeitsplätze, versorgt andere Branchen mit unverzichtbaren Vorprodukten und treibt Recyclingverfahren erfolgreich voran. Wichtige Fakten im Überblick. 

Der Standort braucht Grundstoffe 

Auch wenn die Erzeugung von Grundstoffen in Großanlagen energieintensiv ist, wie der BUND kritisiert: Auf Basischemikalien, Ethylen und Propylen (für Kunststoffe), Chlor (für Synthesen) oder Ammoniak (für Düngemittel), ist fast die ganze Industrie angewiesen. „Die Großanlagen können wir deshalb nicht einfach so abschalten“, warnt Henrik Meincke, Abteilungsleiter Volkswirtschaft beim Verband der Chemischen Industrie (VCI). „Viele Branchen brauchen diese Chemikalien und ihre Folgeprodukte. Eine Wertschöpfungskette mit 30.000 Substanzen baut darauf auf.“

Dazu gehören Kunst- und Schaumstoffe, Synthese-Kautschuk, Textilfasern, Lacke und Farben. Auto-, Reifen-, Elektro-, Möbelfabriken nutzen die Produkte, Hersteller von Verpackungen, Textilien und Baustoffen sowie die von Wasch-, Reinigungsmitteln, Arzneien, Kosmetik.

„Stellen wir Grundstoffe nicht selbst her, müssen wir sie oder die Folgeprodukte einführen“, sagt Meincke. „Das erhöht Transportkosten und Lieferrisiken. Damit ist für das Klima nichts gewonnen: Die Energie wird trotzdem verbraucht, nur anderswo.“ Und das wahrscheinlich weniger klimaschonend.

Und schließlich lässt sich auch wegen der Verbundproduktion eine Großanlage zur Grundstoff-Produktion nicht einfach abschalten. Denn ihre Produkte werden oft am selben Standort in weiteren Prozessschritten zu Tausenden Verkaufsprodukten weiterverarbeitet. Die Produkte einer Fabrik dienen an anderer Stelle als wertvoller Einsatzstoff. Die BASF nutzt diese Verbundproduktion zum Beispiel in Ludwigshafen

Chemie geht klimaneutral 

Der BUND kritisiert, dass sich gar nicht so viel Grünstrom in Deutschland erzeugen lasse, wie für eine klimaneutrale Chemieproduktion nötig wäre. „Das muss auch nicht sein“, hält Jörg Rothermel, Bereichsleiter Energie beim VCI dagegen. Und erklärt: Strom benötige die Chemieindustrie in Zukunft für zwei Dinge. Erstens, um Anlagen elektrisch statt mit Gas, Öl oder Kohle zu beheizen. „Dafür ist Ökostrom vor Ort nötig“, sagt Rothermel.

Zweitens brauche sie Strom, um den Energieträger Wasserstoff herzustellen und das Klimagas CO2 als Rohstoff zu nutzen. „Diesen Wasserstoff wird man auch zu großen Teilen in sonnen- und windreichen Ländern erzeugen und hertransportieren.“ Das vermindert den Strombedarf der Chemie hierzulande massiv.

Ohne auswärts hergestellten Wasserstoff wäre der Strombedarf in der Tat riesig: 460 bis 500 Milliarden Kilowattstunden benötigte die Chemie dann im Jahr. Das wäre so viel, wie Deutschland derzeit jährlich verbraucht. Und der Bedarf wächst ohnehin durch E-Autos und Wärmepumpen. Deshalb muss die Politik ihren Beitrag dazu leisten, dass genug grüner Wasserstoff nach Deutschland gelangt. 

Übrigens: Bereits von 1990 bis 2022 hat die Chemieindustrie ihren Ausstoß von Treibhausgasen um enorme 55 Prozent zurückgefahren, den Energieverbrauch um 22 Prozent. Trotzdem hat sie zugleich die Produktion um 61 Prozent gesteigert.

Chemie treibt Kreislaufwirtschaft voran

Der BUND kritisiert auch den Verbrauch an Verpackungen und fordert mehr unverpackte Ware und Mehrweg-Lösungen. Tatsächlich treibt die Chemieindustrie mit großem Einsatz die Kreislaufwirtschaft voran. Recycling ist der Schlüssel, um die Vorteile von Verpackungen mit nachhaltiger Wiederverwertung zu kombinieren. Denn klar ist: Einfach auf Verpackungen zu verzichten, widerspricht den Lebensgewohnheiten der heutigen Gesellschaft.

Viele Verbraucher (85 Prozent) wollen schnell und effizient einkaufen, ergab eine Umfrage in der Schweiz. Das dürfte hierzulande sehr ähnlich sein. Dafür sind Einwegverpackungen die komfortabelste Lösung. Luftdicht verpackte Lebensmittel halten dreimal so lange wie die ohne Schutz. Das erleichtert die Bevorratung und verringert Lebensmittelabfall um 80 Prozent. Und ist besser fürs Klima: Im Schnitt 97 Prozent der Klimagas-Emissionen eines Nahrungsmittels entstehen bei dessen Erzeugung, durch die Verpackung nur 3 Prozent.

Unternehmen wie Werner & Mertz (Marke „Frosch“) oder die BASF verbessern das Kunststoff-Recycling immer weiter. Bis 2045 wird der Rezyklat-Anteil bei Verpackungen laut einer Studie auf über 50 Prozent steigen. Aktuell sind 81 Prozent der Kunststoff-Packungen recycling- oder mehrwegfähig.

Chemie schafft Wohlstand 

Der geforderte Abbau von Industrie führt zu Wohlstandsverlusten. Die Chemie (ohne Pharmahersteller) bietet 354.000 gut bezahlte Arbeitsplätze und erzeugt 53 Milliarden Euro Wertschöpfung, weiß VCI-Chefvolkswirt Meincke. „Rechnet man die indirekte Wertschöpfung bei Zulieferern und die angestoßene durch die Kaufkraft der Beschäftigten hinzu, steht die Branche für riesige 100 Milliarden Euro Wertschöpfung.“ Dem Staat beschert das rund 25 Milliarden Euro an Steuern und Sozialabgaben. Doch das ist noch nicht mal der Hauptvorteil, wie Meincke betont: „Vor allem aber bringen die Chemieunternehmen Top-Produkte für die Erfolge unserer Industrie auf dem Weltmarkt.“

Solarparks und Biomasseheizkraftwerke – die Chemieindustrie unternimmt große Anstrengungen für mehr Umwelt- und Klimaverträglichkeit. Wie die Chemieindustrie in Rheinland-Pfalz 2024 in grüne Energie investieren will, erfahren sie hier.

Chemie kann helfen, Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Wie Wasserspezialist Kurita in Ludwigshafen Lösungen für die Herausforderungen der Zeit präsentiert, lesen sie hier.

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