Politik & Wirtschaft

Lieferketten schützen: Das kann die Chemie- und Pharmaindustrie tun

· Lesezeit 3 Minuten.
Jasmina Kirchhoff, Pharmaexpertin am Institut der deutschen Wirtschaft, Köln.
Ad hoc einen Produktionsstandort verlagern – eher nicht: Denn das ist in der Pharmabranche mit ihren langen Innovations- und Produktionszyklen nicht ohne Weiteres möglich, betont die Pharma-Expertin Jasmina Kirchhoff vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Um auch bei unvorhergesehen Ereignissen lieferfähig zu bleiben, ist eine langfristige Strategie nötig. Foto: Uta Wagner/IW

Was steht für die deutsche Chemie- und Pharmaindustrie durch die US-Zollpolitik auf dem Spiel?

Vorprodukte sind von den geltenden Zollerhöhungen schon jetzt betroffen. Zusätzliche Zölle auf Arzneimittel wären für den Standort Europa sehr unerfreulich. Dazu muss man wissen: Vor allem die Pharmaproduktion ist global stark vernetzt. Die Lieferkette bis hin zum fertigen Produkt umfasst mehrere Importe, Exporte und Re-Importe. Somit verteuern Zölle die Produktion. Weil zum Beispiel in Deutschland die Arzneimittelpreise gedeckelt sind, verringern höhere Produktionskosten die Gewinnmargen. Das ist nicht gut für die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Anbieter.

Sind deswegen Jobs in Deutschland gefährdet?

Noch ist unklar, in welcher Form und in welchem Umfang US-Zölle auf uns zukommen und Deutschland ist ein wichtiger Pharmastandort. Die Nachfrage nach Medikamenten ist ja relativ stabil. Das unterscheidet sie von konjunkturabhängigen Produkten wie Autos oder Kühlschränken, deren Anschaffung man aufschieben kann.

Hilft es, einen Standort in den USA aufzubauen?

Eine Pharmaproduktion aufzubauen, das dauert Jahre und ist teuer. Denn die Innovations- und Produktionszyklen in dieser Branche sind lang. Ad-hoc-Entscheidungen sind daher nicht möglich. Ein solcher Schritt würde im Übrigen kleine und mittlere Unternehmen komplett überfordern. Zumal fraglich ist, ob er sich lohnt. Die neue US-Preispolitik bei Medikamenten ist noch unklar und zusammen mit der Zollpolitik widersprüchlich. Das schafft Unsicherheiten, und verunsicherte Unternehmen investieren erstmal nicht.

Könnten Sie Beispiele erfolgreicher Diversifizierungsstrategien nennen?

Die Unternehmen dieser Branche haben ein großes Interesse, lieferfähig zu sein. Lieferketten breiter aufzustellen – Diversifizierung – bedeutet jedoch Kosten. Das ist immer zu berücksichtigen, weil die Arzneimittelpolitik vieler Länder häufig den günstigsten Anbietern den Zuschlag gibt. Dieser Preisdruck hat unter anderem zur Abwanderung der Generika-Produktion nach Asien geführt. Daher konzentrieren sich viele Lieferketten auf diese Region – mit entsprechenden Abhängigkeiten. Eine Gegenstrategie wäre, verstärkt andere Regionen in Betracht zu ziehen, etwa Lateinamerika. Diese Strategie heißt Multishoring und wird im Arzneimittelbereich auch schon angewendet.

Welche Strategien gibt es noch?

Das Multisourcing setzt auf mehrere Lieferanten oder Extra-Poduktionskapazitäten, auch in derselben Region, um den Ausfall eines einzelnen aufzufangen. Allerdings: Jeder Zulieferer, den Sie dazu holen, kostet Geld, unter anderem, weil er sich zertifizieren lassen muss.

Diversifizierung bezieht sich außerdem auf die Logistik. Es ist hilfreich, schnell auf andere Transportwege ausweichen zu können, zum Beispiel bei der Havarie im Suezkanal im März 2021, durch die Hunderte von Seefrachtern aufgehalten wurden. Um gefährdete Lieferungen kompensieren zu können, empfiehlt sich außerdem der Aufbau von Sicherheitsbeständen.

Welche Absatzmärkte sollten Unternehmen der Chemie- und Pharmaindustrie ins Auge fassen, um ihre Abhängigkeit von unsicheren Märkten zu reduzieren?

Die EU verfolgt schon länger das Ziel, die Zusammenarbeit mit Dritten zu stärken. Dazu zählen Handelserleichterungen mit lateinamerikanischen Ländern durch das Mercosur-Abkommen oder Vereinbarungen mit Japan und Kanada. Auch die EU-Strategie „Global Gateway“ zielt darauf ab, Investitionspartnerschaften mit Drittländern zu schließen. Der Bereich Pharma und Gesundheit ist ein Bestandteil des Programms.

Zugleich sollte die EU-Zusammenarbeit enger werden. Bereits jetzt finden die meisten Im- und Exporte der deutschen Chemie- und Pharmaindustrie innerhalb des Binnenmarktes statt. Dabei bleiben die USA als Partnerland von Bedeutung. Um zu dem notwendigen Handelsfrieden zu gelangen, kann uns die Stärkung der EU nur helfen.
 

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