Politik & Wirtschaft

Energiewende – jetzt erst recht oder erst mal nicht?

· Lesezeit 4 Minuten.
Energiewende – jetzt erst recht oder erst mal nicht?
Energiewende: Noch mehr Strom wird aus Wind und Sonne kommen müssen. Foto: Soonthorn - stock.adobe.com

„Die Energiewende darf keine Arbeitsplätze kosten. Deshalb müssen wir die ganze Bandbreite nachhaltiger Technologien fördern.“

Jan-Philipp Groth. Foto: privat
Jan-Philipp Groth. Foto: privat

Jan-Philipp Groth, 17, Gründer und Inhaber von Digitally Agency (Mainz)

Wir müssen das ganze Bild sehen: Einerseits müssen wir unsere Wirtschaft als Grundlage für unser aller Wohlstand im Blick haben, andererseits können wir Umweltschutz und Nachhaltigkeit nicht vernachlässigen. Wo wir die Energiewende sinnvoll durchführen können, sollten wir sie vorantreiben. Aber Unternehmen dürfen durch die hohen Energiekosten nicht zu drastischen Sparmaßnahmen gezwungen sein. Es geht um den Schutz der Arbeitnehmer. Hier ist der Staat gefragt.

Die Energiewende könnte dennoch Fahrt aufnehmen. Es gibt viele Technologien, die bislang kaum Beachtung finden. In der öffentlichen Debatte geht es meist um Energie und Mobilität. Aber auch bei Konsum oder Lebensmitteln können wir viel mehr tun: So gibt es in der Agrarwirtschaft ein hohes Potenzial für Kreislaufwirtschaft, die nachhaltig ist und Energie und andere Ressourcen spart. Ich arbeite mit meiner Mutter an einem Konzept für die Futtermittelindustrie, bei dem wir Abfälle zu Proteinen verarbeiten. Aber auch in der Mobilität geht noch mehr, etwa mit alternativen Kraftstoffen. Subventionen müssen die technologische Vielfalt viel stärker fördern, statt nur auf Themen wie Solarenergie oder Windkraft zu setzen. Das gilt auch für die Frage, wie wir radioaktiven Müll nachhaltig entsorgen. Ist sie gelöst, sollten wir Atomkraft als CO2-neutrale Energiequelle einbeziehen.

Klar ist, dass der Energiebedarf durch die Energiewende wachsen wird. Auch hier müssen wir die vielfältigen technologischen Möglichkeiten fördern: Durch welche Prozesse können wir noch Energie gewinnen? Wenn E-Autos bremsen, könnten wir beispielsweise bereits Energie zurückgewinnen.

Natürlich stehen bei der Wende auch die Unternehmen in der Verantwortung. Sie müssen ihren Betrieb auf sämtliche Sparpotenziale abklopfen: Wie können Lieferketten nachhaltiger und emissionsärmer werden, kann in der Logistik noch mehr über die Schiene laufen oder Energie für Büros durch hybrides Arbeiten gespart werden?

„Der Strukturwandel durch Dekarbonisierung trägt zu einer größeren Unabhängigkeit von den fossilen Krisenenergien bei.“

Etienne Denk. Foto: Rudi Merkl
Etienne Denk. Foto: Rudi Merkl

Etienne Denk, 21, Student und Aktivist bei Fridays for Future

Oft wird gesagt, unsere Gesellschaft könne nur eine Krise gleichzeitig bearbeiten, da unsere kollektive Aufmerksamkeit sonst überfordert sei. Blickt man auf die letzten 15 Jahre zurück, hätten insbesondere Umweltaktivistinnen und -aktivisten viel Grund, daran zu glauben. Denn seit der Finanzkrise 2008/09 wurden sie immer damit vertröstet, dass Umwelt natürlich auch irgendwie wichtig sei, jetzt jedoch gerade eine andere angeblich wichtigere Krise einen Sachzwang darstelle, hinter dem die Bearbeitung der Umweltkrise zurücktreten müsse.

Doch es gibt gute Gründe zu glauben, dass das nicht stimmt. Es ist wahr, dass ein Diskurs nur begrenzte Aufmerksamkeit hat und einer Gesellschaft nur begrenzte (politische) Ressourcen zur Verfügung stehen. Es ist jedoch nicht wahr, dass die Bearbeitung der Umweltkrise daran scheitern würde, dass die Möglichkeiten ausgeschöpft wurden und nicht ausreichten. Vielmehr war es bequemer oder opportuner, dieses große und schwierige Thema mit gelegen kommenden Ausreden aufzuschieben.

Seit es diese Ausreden gibt, argumentieren Umweltaktivistinnen und -aktivisten, dass es keiner der multiplen Krisen gerecht wird, sie gegeneinander auszuspielen. Vielmehr sollten Synergien erkannt und genutzt werden. In der aktuellen Energiekrise ist dieses Argument umso einleuchtender: Wir erleben eine geopolitische und wirtschaftliche Krise der fossilen Energien, die so schnell wie möglich aus dem Energiemix entfernt gehören. Dabei wirkt der Hochlauf der Erneuerbaren preisdämpfend. Und während zwar der Strombedarf durch die Dekarbonisierung wachsen wird, wird der Energiebedarf durch Effizienzgewinne in der Industrie, durch Dämmen von Gebäuden oder Elektrifizierung von Wärme und Verkehr sinken. Zwar bleibt die Aufgabe, einen gelungenen Strukturwandel von fossilen Branchen in zukunftsfähige zu meistern – doch dieser Strukturwandel trägt zu einer größeren Unabhängigkeit von den Krisenenergien bei. Es gibt also keinen Grund, Krisen gegeneinander auszuspielen. Mit dem notwendigen Willen und durch das Nutzen von Synergieeffekten wären diese Krisen in großen Teilen gemeinsam bearbeitbar.

  • Like
  • PDF
Schlagworte

Das könnte Sie auch interessieren

Katherina Reiche, Bundesministerin für Wirtschaft und Energie.

Energiewende ja, aber anders
Wirtschafts- und Energieministerin Katherina Reiche will den Ausbau erneuerbarer Energien und die Kosteneffizienz neu ausbalancieren. Betreiber von Ökostrom-Anlagen sollen sich Ihrer Meinung nach künftig an der Finanzierung des Netzausbaus beteiligen.
Wie die Frankfurter Neue Presse meldete, möchte Reiche Ende des Sommers einen „Realitätscheck“ zur Energiewende vorlegen. „Wir brauchen zwingend mehr Steuerbarkeit, um die Volatilität der Stromerzeugung durch erneuerbare Energien ausgleichen zu können“, sagte sie demnach. „Auch Speicher spielen zum Ausgleich eine Rolle. Sie sind Teil der Lösung, aber reichen allein nicht aus. Wir werden uns die Ergebnisse genau anschauen, und dann werden wir die notwendigen Schlüsse daraus ziehen.“ 
Der Ausbau der Stromnetze geschieht zu langsam
Reiches Vorgänger Robert Habeck (Grüne) hatte mit verschiedenen Maßnahmen den Ausbau des Ökostroms vor allem aus Wind und Sonne vorangetrieben. Die erneuerbaren Energien sollen eine Schlüsselrolle spielen, damit Klimaziele erreicht werden. Der Ausbau der Stromnetze hält aber nicht Schritt. Wegen fehlender Netze müssen erneuerbare Anlagen immer wieder gedrosselt werden. Ausgleichsmaßnahmen gegen Netzengpässe kosten Geld. Um den vor allem im Norden produzierten Windstrom in den Süden zu leiten, sind zusätzliche Stromleitungen erforderlich. Ein Großteil ist aber noch nicht fertig.
Mehr Kosteneffizienz als Ziel
Mit Blick auf geplante Entlastungen der Stromkunden bei den Netzentgelten, mit denen unter anderem der Netzausbau finanziert wird, sagte die Ministerin: Momentan würden Kosten vom Stromkunden in die öffentlichen Haushalte und damit auf den Steuerzahler verschoben. „Wir lösen damit nicht das grundlegende Problem. Die Entlastungen bei der Stromsteuer, die Abschaffung der Gasspeicherumlage, die teilweise Übernahme der Netzkosten und die Übernahme der schon länger in den Haushalt verlagerten EEG-Kosten machen zusammen rund 30 Milliarden Euro aus.“ Die Energiewende müsse kosteneffizienter werden. „Und das geht auch.“
Zweifel am prognostizierten Stromverbrauch
Eine wesentliche Kenngröße sei der prognostizierte Stromverbrauch, sagte Reiche. „Die letzte Regierung hat angenommen, dass der Stromverbrauch schon 2030 auf bis zu 750 Terawattstunden steigt, bis 2035 gibt es Prognosen von 1.000 Terawattstunden.“ Das wäre eine Steigerung von fast 50 Prozent innerhalb weniger Jahre. „Seriöse Studien zweifeln, ob diese Steigerungen der Realität standhalten. Wir werden eine deutliche Zunahme der Elektrifizierung sehen, insbesondere im Bereich der Wärmepumpen, der Elektromobilität, der Digitalisierung. Ob in den von der Ampel angenommenen Größenordnungen, darf bezweifelt werden.“
Ökostrom-Betreiber sollen sich an Kosten für Netzausbau beteiligen
Betreiber von Anlagen erneuerbarer Energien müssten mehr Systemverantwortung übernehmen, meint Reiche. Sie sollten sich an der Finanzierung des Netzausbaus beteiligen. „Systemverantwortung heißt, dass die Kosten für den Netzausbau nicht mehr nur über die Netzbetreiber und die allgemeinen Netzentgelte von den Stromkunden zu bezahlen sind“, sagte Reiche. Die Kosten für den Netzausbau liegen bisher voll beim Netzbetreiber und werden über die Netzentgelte von den Stromkunden bezahlt.

Wechseln zur Seite International Articles Wechseln zur Seite Newsletter