Arbeiten in der Chemie

Corona: Führen aus der Ferne

· Lesezeit 1 Minute.
Screenshot von Harald Schaub am Schreibtisch im Homeoffice
Im Homeoffice: Die Technik steht, vom Wunschzettel des Chefs fehlt nur noch ein höhenverstellbarer Schreibtisch. Foto: Harald Schaub

Keine Meetings mehr, keine Reisen, keine persönlichen Kontakte: Corona macht auch vor Führungskräften nicht halt. Harald Schaub, Sprecher der Geschäftsführung des Chemiespezialisten Budenheim, macht das Beste daraus: Vom Homeoffice aus steuert er seit Monaten das international aufgestellte Unternehmen mit weltweit 1.300 Mitarbeitern.

„Wir waren gut vorbereitet mit zwei Betriebsvereinbarungen für Pandemie und mobiles Arbeiten“, erzählt Schaub, der Produktion, Finanzen und Personal verantwortet. Über 1.000 Produkte stellt das Unternehmen für rund 3.000 Kunden weltweit her, von der industrietechnischen Anwendung bis zum Lebensmittel, von der feinsten Beschichtung bis zum Betonpfeiler einer Autobahnbrücke.

„Geht nach Hause, traut euch!“

Seit 1908 gibt es den Produktionsstandort in Budenheim am Rhein. Doch vor Ort sind die beiden Geschäftsführer, die für das Unternehmen global verantwortlich sind, aktuell eher selten: „Wir müssen die persönlichen Kontakte reduzieren. Als Vorbild sind wir mit Beginn der Pandemie sofort ins Homeoffice gegangen“, sagt der Top-Manager. An Standorten wie Mexiko oder den USA habe Covid-19 zudem ganz andere Dimensionen als in Deutschland: „Hier wie dort gelten strenge Hygieneregeln, Tätigkeiten werden eingeschränkt, Meetings und Reisen gestrichen.“ Schaub rief seiner Mannschaft zu: „Ihr habt alle Laptops, geht nach Hause, traut euch!“

Anfangs habe es noch ein wenig „gerumpelt“, räumt Schaub ein. Doch schnell sei klar gewesen, die Geschäftsführung meint es ernst. Die Abteilungen begannen, sich selbst zu organisieren, nutzten Videos für Zusammenkünfte: „Man sieht sich, winkt aber nur aus der Ferne“, so Schaub. Alle zögen an einem Strang: „Wir wollen produzieren. Und nicht wegen Corona behördliche Auflagen bekommen, den Betrieb ganz oder zeitweise zu schließen.“

Wie aber führt man dauerhaft aus der Ferne? „Es ist eine Mischung aus Anweisungen und Vertrauen“, meint Schaub, „ich gebe zwar den Rahmen vor, sage aber, macht einfach mal.“ Im Grunde gehe es um Vertrauen, besonders Selbstvertrauen: „Ich selbst habe den Mut, ins Homeoffice zu gehen und gebe alte Gewohnheiten auf. Weil ich weiß, ich kann das. Dann lasse ich los – mit dem inneren Wissen, die Mitarbeiter können das ebenfalls.“ Es geht um viel: „Wir wollen in Lohn und Brot stehen, ohne betriebsbedingte Kündigungen. Das wäre der Albtraum – das Virus breitet sich aus und wir können Kunden wie die Lebensmittel- oder Pharmaindustrie nicht beliefern.“

Der Erfolg gibt Schaub recht, es sei „erstaunlich“, wie gut es läuft. Der Firmenlenker geht noch einen Schritt weiter: „Covid-19 ist da, jetzt müssen wir das Beste daraus machen und alte Pfade verlassen. Vielleicht etwas gewaltsam am Anfang, aber es ist auch eine grandiose Einladung, Dinge zu verändern.“ Die Pandemie sei ein Beschleuniger in Sachen Digitalisierung und Nachhaltigkeit: „Ich bin sicher, dass ich künftig weniger reise. Da wir jetzt gut vernetzt sind, können wir Inhalte weltweit sehr schnell miteinander teilen, nicht nur am runden Tisch.“ Wenn er mit jemandem spricht, nutzt er PC-Programme für Video- oder Telefonkonferenzen. Schaub: „Wenn man online bei jemandem ins Homeoffice und damit in die Wohnung schaut, verbindet uns die Pandemie als gemeinsames Thema in gewisser Weise neu und anders.“

Portraitfoto von Budenheim-Chef Harald Schaub
Aus der Ferne vor Ort: Harald Schaub, Sprecher der Geschäftsführung, kommuniziert gerne via Kamera und Internet. Foto: Kilian Schwarz, Budenheim.

Weniger Text, mehr Präsenz

Im Zuge eines internen Umzugs werden bei Budenheim jetzt klassische Telefone abgeschafft und Abläufe neu organisiert: „Wir kommen ins ‚modern work‘ und teilen uns Arbeitsplätze und Räume.“ Auch hier geht die Geschäftsführung voran: „Mein Kollege und ich teilen uns einen Schreibtisch und ein Büro, das kleiner ist als vorher“, berichtet Schaub. „Wir alle nutzen Besprechungsräume oder Flex-Büros, stimmen uns anders ab und haben kaum noch direkt zugeordnete Einzelarbeitsplätze. Wir werden mehr teilen, mehr unterwegs sein, mehr von zu Hause arbeiten.“

Trägt die Mannschaft das mit? Schaub nickt: „Sicher. Manche sind vielleicht weniger begeistert, das verstehe ich. Es wird Diskussionen geben, die müssen wir führen und aushalten.“ Wo aber muss er ansetzen, um solche großen Prozesse anzustoßen? Schaub überlegt nicht lange: „Bei mir selbst.“ Er will jetzt auch anders mit der Belegschaft kommunizieren, weniger Text, mehr Präsenz: „Also trete ich vor eine Kamera und spreche frei.“ Das sei ungewohnt, aber spannend: „Per Videobotschaft können mich 1.300 Budenheimer weltweit hören und sehen“, sagt er. „Wenn sie möchten …“

Wie ein Wirtschaftspsychologe die neue Führungskultur einschätzt. Und hier finden Sie Beispiele für neue Führungsideen und Führungsmodelle bei Unternehmen in Rheinland-Pfalz.

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