Arbeiten in der Chemie

„Wir kämpfen für das Tierwohl“

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„Wir kämpfen für das Tierwohl“
Erforscht, wie der Einsatz von Versuchstieren minimiert werden kann: der Leiter des TARC in Mainz, Jan Baumgart. Foto: Alessandro Balzarin

Tierversuche sind trotz Alternativen unverzichtbar, wenn es zum Beispiel um Grundlagenforschung oder die Bekämpfung von Krankheiten geht. In Deutschland kamen 2017 dafür 1,37 Millionen Mäuse zum Einsatz, ebenso wie 225.449 Ratten, 92.661 Kaninchen, 3.472 Affen oder 3.330 Hunde. Wie sieht es in der Praxis mit den Versuchstieren aus? Das erläutert Jan Baumgart (39). Der Veterinärmediziner leitet das „Translational Animal Research Center“ (TARC), Dienstleister für die Forschungseinrichtungen der Universitätsmedizin Mainz. Zusammen mit seinem 90-köpfigen Team kümmert er sich vorrangig um Zucht, Haltung und Transport von Versuchstieren.

Herr Baumgart, wie viele Tiere leben in der Einrichtung?

Rund 50.000 Tiere, 98 Prozent davon sind Mäuse. Wir halten sie in sozialen Gruppen in ausreichend großen Käfigen, die abwechslungsreich ausgestattet sind. Jedes Tier wird tierärztlich betreut, unsere Pfleger versorgen sie mit Futter und Wasser und schauen täglich, ob es ihnen gut geht.

Warum ausgerechnet Mäuse?

Sie sind gut zu halten und haben eine hohe Zahl an Nachkommen. Obwohl es sich um kleine Säuger handelt, sind sie groß genug, um Fragen der Gesundheitsforschung zu klären. Da sich Mäusegene nur wenig vom Menschen unterscheiden, sind diese Tierversuche vielversprechend: Was der Maus etwa gegen Alzheimer hilft, könnte dies auch beim Menschen tun.

Wer regelt den Umgang mit den Versuchstieren?

Die EU-Tierversuchsrichtlinie und das nationale Tierschutzgesetz. Sie besagen, dass jedes Versuchstier – egal ob Nager, Fisch oder jede andere Tierart – nur dann zu wissenschaftlichen Experimenten und Bildungszwecken eingesetzt werden darf, wenn es keine Alternative gibt. Wir beraten unsere Forscher sehr sorgfältig, ob für ihre Versuche überhaupt Tiere nötig sind. Jeder Versuch muss genehmigt werden.

Sie sehen sich als Tierschützer …

Bei uns gilt das 3R-Prinzip: „Refine“, „Reduce“ und „Replace“. Das heißt: Wir wollen das Wohlbefinden der Versuchstiere verbessern, die Anzahl reduzieren und sie ersetzen, wo immer dies möglich ist. Dabei hilft unser gut ausgebildetes Team von Tierärzten, Biologen, technischen Assistenten und Tierpflegern. Da sich Tierversuche wohl nicht so schnell durch Alternativmethoden ersetzen lassen, konzentrieren wir uns derzeit auf das Wohlbefinden der Tiere. Manche Mäuse bevorzugen überdachte Bereiche, andere bewegen sich gerne. Wir trainieren zudem unsere Mäuse, sie sind handzahm und wechseln ohne Scheu den Käfig, das erspart ihnen viel Stress. 2018 haben wir zwei Tierschutzpreise für unsere Arbeit bekommen.

Sehen Sie eine Möglichkeit, die Zahl der Versuchstiere zu reduzieren?

Ja! Wenn wir zum Beispiel bei der Zucht ansetzen. Die Wissenschaftler arbeiten aus Gründen der Vergleichbarkeit meist mit Tieren im gleichen Alter. Dafür setzt man mehrere Mäuse zusammen, die sich nur in rund 50 Prozent der Fälle paaren. Nach kurzer Zeit trennt man sie wieder. Wir bevorzugen dagegen die Familienstruktur, wo bestimmte Gruppen dauerhaft zusammen sind. Die Mäuse fühlen sich wohler, und die Nachzuchtraten sind höher. Das heißt, man benötigt weniger Tiere für die Zucht. Das Problem hierbei ist lediglich, genau zu bestimmen, welche Maus wann Junge haben wird. Dafür haben wir jetzt mithilfe eines 3-D-Druckers eine Lösung entwickelt.

Wie kann ein 3-D-Drucker helfen?

Wir haben originalgetreue Mäuseembryonen gedruckt, die optisch wie physikalisch dem Original entsprechen. Tierpfleger können an den Silikonmodellen üben und tasten, wie viele Embryonen in welchem Entwicklungsstadium im Uterus eines Muttertiers sind. Das erfordert Fingerspitzengefühl und Erfahrung, unsere Pfleger schaffen das nach dem Training in Sekunden. Durch die höhere Nachwuchsrate können wir Hunderte Zuchttiere einsparen. Rechnet man das auf die Tiere aller Versuchsstationen hoch, hätte das ein enormes Einsparpotenzial.

Jan Baumgart vom TARC in Mainz zeigt einen Mäuseembryo aus dem 3D-Drucker. Foto: Alessandro Balzarin

Was könnte noch helfen?

Meist publizieren Fachzeitschriften nur Erfolge, dabei wären die Misserfolge besonders spannend. Man könnte sich alle Versuche sparen, die woanders schon nicht funktioniert haben. Zudem sind viele Publikationen in der jeweiligen Landessprache verfasst. Würde alles weltweit auf Englisch dokumentiert, könnte man auf eine gigantische Datenbank zurückgreifen und doppelte Tierversuche vermeiden.

Was passiert am Ende mit den Mäusen?

Gentechnisch veränderte Tiere, an denen Versuche stattfinden, werden oft histologisch und molekularbiologisch untersucht und überleben nicht. Wir haben auch genetisch unveränderte Versuchsmäuse, die überlassen wir kostenlos Zoos oder Falknereien als Futtertiere. Würden das alle machen, wäre die Futtertierindustrie überflüssig. Andere Tiere wiederum geben wir im Versuch befindlichen Tieren zur Gesellschaft. Die vermitteln wir über das Tierheim an private Halter.

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