Eigentlich hat er heute frei. Trotzdem ist Naceur Rahmouni an diesem Montag mit seinem Rucksack im Unternehmen unterwegs. „Weil heute Unterricht ist!“, sagt der 50-Jährige. „Wir schreiben einen Test.“ Mit „wir“ meint er sich und zehn Kollegen bei Sun Chemical in Ludwigshafen. Sie drücken schon seit elf Monaten neben ihrem Job die Schulbank.
Mitarbeiter werden genau passend fürs Unternehmen qualifiziert
Ihr Arbeitgeber, der Pigmente beispielsweise für Farben und Lacke herstellt, bietet nämlich eine interessante Weiterbildung an, die es sonst nirgends gibt. Das Unternehmen hat sie gemeinsam mit dem Bildungsträger Pfalztechnikum selbst entwickelt, um Mitarbeiter genau passend für die eigene Produktion zu qualifizieren.
Sun Chemical produziert am Standort Ludwigshafen Pigmente in allen möglichen Farben und je nach Kundenwusch mit speziellen Eigenschaften. Zum Beispiel dunkle Pigmente für Sport-Segelboote, die Wärme absorbieren. Oder Pigmente, die hautfreundlich, leitfähig oder halal sind.
„Eine super Gelegenheit, meine Fachkompetenz zu steigern“
Als Rahmounis Schichtführer ihn fragte, ob er an der Weiterbildung Interesse habe, musste der gelernte Industriemechaniker nicht lange überlegen. Als einer der Ersten nimmt er an dem Lehrgang teil. „Es ist eine super Gelegenheit, meine Fachkompetenz zu steigern“, sagt er. Drei- bis fünfmal pro Monat ist mehrere Stunden Unterricht, die Zeiten sind an den Schichtrhythmus angepasst, in dem Rahmouni und die Kollegen arbeiten.
Wer die insgesamt 14 Monate mitmacht und am Ende die Abschlussprüfung besteht, darf sich „Chemisch-Technischer Anlagen-Spezialist“ nennen und ist Experte für die Herstellung von Pigmenten. Mit dem Abschluss haben die Teilnehmer die gleichen Entwicklungschancen und Karrieremöglichkeiten wie Chemikanten.
Spezialwissen ist in der Pigmentherstellung wichtig
Gerade weil die Kundenwünsche sehr individuell sind, ist für die Herstellung der Pigmente Spezialwissen wichtig. Ausbildungsleiter Marcel Günther erklärt: „Wir haben unseren eigenen Zertifikatslehrgang genau deshalb entwickelt, um ausgewählten Kolleginnen und Kollegen dieses Know-how zu vermitteln.“
Dazu zählen zum Beispiel Grundlagen der Chemie und der Prozessleittechnik sowie Grundoperationen der Verfahrenstechnik. Der Kurs basiert auf Teilen der Chemikanten-Ausbildung. Auch ein Laborpraktikum gehört dazu.
Viele Kollegen sind Quereinsteiger
Der Hintergrund: Genau passend qualifizierte Menschen sind auf dem Arbeitsmarkt nicht leicht zu finden. Also sind viele Kollegen Quereinsteiger. So wie Rahmouni. Der gelernte Industriemechaniker arbeitet jetzt an großen Pressen, mit denen Schlämme aus bestimmten Rohmaterialien zu Presskuchen verarbeitet werden. Das heißt, das Wasser wird herausgepresst. In Rahmounis Bereich werden Pigmente aus Peroxycarbonsäuren und Perylenen produziert. Mit Anlagen hatte er schon als Industriemechaniker zu tun – nicht aber mit Chemikalien und den speziellen Produktionsprozessen.
In der Weiterbildung lernt Rahmouni zum Beispiel, wie aus dem feuchten Pigment-Presskuchen ein trockenes Pulver wird. „Heute schreiben wir einen
Test über Trocknungsverfahren“, erzählt er. „Und über Wärmetauscher. Die haben wir bei uns in der Produktion.“ Das Ziel: Wenn in seiner Schicht mal ein Wärmetauscher ausfällt, kann er künftig leichter die Ursache finden.
Die Weiterbildung sorgt auch für ein besseres Miteinander
Die Weiterbildung bringt außer höherer Fach-Qualifikation noch etwas: ein besseres Miteinander. Denn die Teilnehmer kommen aus verschiedenen Produktionsbereichen und hätten sich ohne die Schulung wohl nie kennengelernt. Das Unternehmen wollte gezielt die Interaktion zwischen den Unternehmensbereichen fördern. Und das klappt gut, wie Rahmouni bestätigt: „Wir sind in der Klasse eine lustige Truppe und machen schon mal einen Ausflug zusammen.“
Hausaufgaben gibt es zwar nur selten. Lernen müssen die Teilnehmer trotzdem. Für Rahmouni ist es kein Problem, Zeit dafür zu finden: Er lebt allein, seine Tochter ist schon 22 Jahre alt. Und für sein Hobby hat er trotz Schulung noch Zeit: „Rad fahren“, schwärmt er, „aber eher Langstrecken.“ Darunter versteht er zum Beispiel Touren nach Paris. Oder Freiburg: Dort besucht er dann seine Tochter.
Einen langen Atem braucht er auch für seine Weiterbildung. Rahmouni ist zuversichtlich und findet: „Es macht stolz, wenn man so etwas durchzieht.“