Politik & Wirtschaft

„Wir haben Nachholbedarf“

· Lesezeit 1 Minute.
Interview Wirtschaftsminister RLP Volker Wissing ©Jan Hosan

Im Gespräch: Wirtschaftsminister Volker Wissing

Herr Minister, Rheinland-Pfalz liegt zentral – ist dadurch aber auch Transitland, was die Infrastruktur entsprechend belastet. Wo ist der Investitionsbedarf besonders hoch?
Wir haben Nachholbedarf beim Straßenausbau. Lange Zeit wurde wenig investiert, die Bundesmittel zur Ertüchtigung der Bundesfernstraßen und Bundesstraßen sind zurückgegangen. Jetzt aber laufen die Investitionen hoch, alleine für Rheinland-Pfalz von gut 356 Mio. Euro 2016 auf gut 433 Mio. Euro dieses Jahr – das sind fast 22 Prozent Plus, das ist gigantisch. Und wir stehen vor der schwierigen Aufgabe, das ganze Geld des Bundes auch zu verbauen. Auf Landesebene haben wir uns darauf verständigt, die Mittel für den Landesstraßenbau deutlich zu erhöhen, auf 120 Mio. Euro pro Jahr. Die reinen Bauausgaben (ohne Grunderwerb, Planungskosten etc.) liegen bei 95 Millionen Euro pro Jahr, das sind zehn Millionen Euro mehr als noch im Jahr 2016. 2017 kommen wir mit Bundes-, Landes- und kommunalen Mitteln dann insgesamt auf 573 Mio. Euro, die in unsere Straßen fließen – das ist die höchste Summe in der Geschichte des Landes.

Interview Wirtschaftsminister RLP Volker Wissing © Jan Hosan

„Beim Straßenbau gibt es eine Toleranzgrenze von Bürgern und Unternehmen.“

Erwarten Sie, dass Sie die Bundesmittel für 2017 ausschöpfen werden?
Das ist unser Ziel. Aber auch andere Bundesländer, wie zum Beispiel Bayern haben Probleme, das zu tun. Es wird immer versucht, das mit der jeweiligen Regierung in Verbindung zu bringen. Daher zur Erläuterung: Viele fragen, warum wir statt 76 nicht 176 Ingenieure einstellen. Weil 433 Mio. Euro Auftragsverwaltung für den Bund sind. Wenn der mir garantieren würde, dass dieses Geld die nächsten 20, 25 Jahre fließt, wäre es für uns einfacher, mehr Ingenieure einzustellen. Der Bund garantiert das aber nur für einen kurzen Zeitraum. Wer geht denn so ein Risiko ein? Das Personal für ein Jahr aufzubauen und nicht zu wissen, ob man im Folgejahr den gleichen Auftrag kriegt.

Sie setzen 120 Mio. Euro Landesmittel für den Straßenbau ein, es gibt aber schon Forderungen nach 160 Mio. Euro, der Landesrechnungshof beziffert den Investitionsstau auf 1 Mrd. Euro.
Die rheinland-pfälzische CDU fordert die 160 Mio. Euro erst, seit ich auf 120 Mio. Euro erhöht habe. Vorher lag sie unter 120 Mio. Euro. Glaubwürdig ist das nicht. Meines Wissens betragen die Mittel in NRW 200 Mio. Euro. Wenn Sie das pro Kopf umrechnen, liegt Rheinland-Pfalz beim fast Dreifachen an Straßenbaumitteln. Da sind wir schon wahnsinnig gut. Und mehr Landesstraßenbaumittel kann ich auch nicht verbauen. Die Zahlen des Rechnungshofs beziehen sich im Übrigen auf eine sofortige perfekte Sanierung sämtlicher Straßen. Aber das sind theoretische Betrachtungen. Der geforderte Betrag kann schließlich nicht in einem Jahr umgesetzt werden.

Was den Straßenbau angeht, wurden früher indes auch Entscheidungen getroffen, die heute anders ausfielen: Ich glaube, Ludwigshafen würde heute keine Hochstraße mehr bauen. Damals war das eine mustergültige Verkehrsführung, kreuzungsfrei, mit dem Auto über allem. In Koblenz und hier in Mainz gibt es solche Hochstraßen auch. Sie sehen grauenhaft aus, darunter entstehen tote Räume – und durch diese unnötigen Brücken laufen wir auf ein wahnsinniges Sanierungsproblem zu. Rückblickend war das ein eingeschränkt kluger Gedanke.
 

„Ziel bleibt die flächendeckende Glasfaserverkabelung“

Interview Wirtschaftsminister RLP Volker Wissing © Jan Hosan

„Wir sehen durch die Digitalisierung neue Chancen für den ländlichen Raum.“

Im Frühjahr haben in einer Umfrage mehr als 90 Prozent der befragten Unternehmer im Land den Breitbandausbau als wichtigste Anforderung an die Regierung benannt. Welche Rolle spielt für Sie der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit, gerade auch der Unternehmen im ländlichen Raum?
In Rheinland-Pfalz kommen 30 Prozent der Wertschöpfung aus der Industrie. Und wir sind Mittelstandsland mit 95,5 Prozent kleineren und mittleren Unternehmen. Wir sind ein Land der Chemie, Pharmazie und von Automotive. Aber wir sind auch das Land von Industrie 4.0. Die ist an der Uni Kaiserslautern entwickelt worden, der Begriff stammt aus Rheinland-Pfalz und hat die ganze Welt und eine Zukunftstechnologie geprägt. Von dieser führenden Rolle wollen wir profitieren und in der Industriewelt 4.0 das Bruttoinlandsprodukt steigern. Dazu brauchen wir Start-ups, kreative Gründungen. Und die sind nur möglich, wenn die Regionen ans Breitbandnetz angebunden sind. Darauf richten wir die Wirtschaftspolitik aus: Wertschöpfung und digitale Transformation auch im ländlichen Raum.
 

Situation im Mittelrheintal ist „ein enormes Problem“

Interview Wirtschaftsminister RLP Volker Wissing © Jan Hosan

„Siedeln Sie mal ein Huhn um, das Sie nicht finden.“

Für die chemische Industrie sind auch die Wasserstraßen sehr wichtig. Wie ist der Status der Rheinvertiefung?
Ich bin im engen Dialog mit meinen Verkehrsministerkollegen aus Nordrhein-Westfalen, Hessen und Baden-Württemberg. Wir wollen die Vertiefung, sie ist aus vielerlei Gründen sehr wichtig für uns: Für die chemische Industrie und andere Industriebereiche spielt der Zugang zum Hafen Rotterdam eine entscheidende Rolle. Und durch die Vertiefung können wir die Abladetiefe so optimieren, dass wir günstiger und mit weniger CO2-Emissionen transportieren können. Jedes Binnenschiff könnte mindestens 200 Tonnen mehr Ladung transportieren. Das macht die Wasserstraßen attraktiver und entlastet die Straßen. Allerdings ist der Bund über die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung für die Vertiefung zuständig – und hat dort leider „vergessen“, die Planungskapazitäten auszubauen.

Erwarten Sie beim Infrastrukturausbau mehr Engagement von Unternehmen?
Ich reklamiere das immer wieder bei der Breitbandversorgung: Die ist nicht in allen Fällen Aufgabe des Staates. Ich finde es bemerkenswert, dass wir mit einem großen gesellschaftlichen Konsens den Telekommunikationsmarkt privatisiert haben – und nun Teile der Wirtschaft immer zuerst den Staat beim Breitband in der Verantwortung sehen. Natürlich muss die Versorgung möglichst von privater Seite geleistet werden. Nur dort, wo sich das nicht rechnet, muss der Staat sie unterstützen.

Hier erfahren Sie, wie die Chemieindustrie in Rheinland-Pfalz investiert

Warum der Mittelstand in Rheinland-Pfalz investiert, lesen Sie hier.

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