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Brexit: Folgen für die Chemie

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Brexit: Folgen für die Chemie
Verhandelt über den Austritt ihres Landes aus der EU: die britische Premierministerin Theresa May. Foto: dpa

Die Wahrscheinlich ist groß, dass Großbritannien am 12. April 2019 die EU mit einem harten Brexit verlässt. Sicher ist es nicht. Die verschiedenen Möglichkeiten, ob das Vereinigte Königreich die EU mit oder ohne Deal verlässt oder gar nach einem zweiten Referendum doch Mitgliedsstaat bleibt, sorgen für große Ungewissheit. Insbesondere in der deutschen Chemiebranche, für die der Brexit eine besondere Bedeutung hat.

Welche Auswirkungen haben die drei möglichen Szenarien auf die Chemieunternehmen in Rheinland-Pfalz und wie bereiten sich diese vor? 

Harter Brexit oder „No-Deal-Brexit“: die Auswirkungen auf die Chemieunternehmen

Ein unkontrollierter Brexit würde bedeuten, dass das Vereinigte Königreich ab dem 12. April 2019 um Mitternacht ein Drittstaat wäre – ohne vertragliche Regelung und ohne Übergangsphase. Dies hätte für die chemisch-pharmazeutische Industrie unmittelbare und schwerwiegende Folgen. Ein Beispiel ist die EU-Chemikalienverordnung Reach: Bei einem unkontrollierten Brexit dürften alle chemischen Stoffe, die im Vereinigten Königreich für den Vertrieb in der EU registriert wurden, nicht mehr ohne Weiteres in der EU verkauft werden – mit spürbaren Auswirkungen auf die Lieferketten der Chemieunternehmen. Laut Verband der Chemischen Industrie (VCI) ist das Vereinigte Königreich der achtgrößte Handelspartner der deutschen Chemie- und Pharmaindustrie. Deutsche Unternehmen exportierten 2018 nach Schätzung des VCI Produkte im Wert von 10,2 Milliarden Euro nach Großbritannien und importierten chemische Erzeugnisse für 5,8 Milliarden Euro von dort. Ein harter Ausstieg würde also die grenzüberschreitenden Handelsbeziehungen und Wertschöpfungsketten beschädigen.

VCI-Hauptgeschäftsführer Utz Tillmann weist zudem darauf hin, dass die Chemie- und Pharmaindustrie bei Zollverfahren und -kontrollen große Probleme befürchtet: „Chaotische Zustände an den Grenzen würden zahlreiche Lieferketten erschweren oder gefährden. EU-Kommission und Bundesregierung müssen dafür sorgen, dass die Unternehmen bereits vor dem Austrittsdatum Vorkehrungen zur Zollabwicklung treffen können.“ Das sagte Tillmann bereits am 30. Januar, einen Tag, nachdem die britische Premierministerin Theresa May eine erneute Abstimmungsniederlage im Unterhaus kassiert hatte. Im Anschluss forderte sie Nachverhandlungen mit der EU, die Brüssel aber prompt ablehnte. Bis Ende März 2019 ist sehr viel passiert, Klarheit über einen EU-Ausstieg Großbritanniens und die Konditionen gibt es immer noch nicht.

Die Europäische Kommission hat zwar aktualisierte Notfallpläne für einen wahrscheinlicher werdenden No-Deal-Brexit vorgestellt. Diese sind dem Chemie-Branchenverband VCI aber zu unspezifisch: Tillmann bedauerte, dass darin weiterhin keine Vorkehrungen gegen negative Auswirkungen auf die Chemiebranche enthalten seien. Er appellierte an die Kommission, so schnell wie möglich spezielle Übergangslösungen für den Industriezweig mit der größten Wertschöpfung in der EU zu erstellen

Die von „Wir. Hier.“ befragten Unternehmen aus Rheinland-Pfalz gehen von einem harten Brexit aus und sehen vor allem logistische Versorgungsprobleme als mögliche Folge. Durch verschiedene Maßnahmen wie die Bildung von Arbeitsgruppen aus Logistikexperten, den Aufbau von Beständen, um Engpässe zu vermeiden, und direkten Kontakt zu Kunden fühlen sich die Unternehmen allerdings gut vorbereitet. Besonders wichtig sind den Befragten im Falle eines harten Brexits klare vertragliche Absprachen der politischen Entscheidungsträger, um Rechtssicherheit zu schaffen und den Waren- und Güteraustausch möglichst wenig zu beeinträchtigen.

 

Geregelter Brexit: Chemie hofft auf konkrete Regelungen

Auf einem geregelten Ausstieg des Vereinigten Königreiches inklusive einer Übergangsphase liegen die Hoffnungen der Chemieunternehmen. So könnten sich die EU und Großbritannien auf konkrete Ausgestaltungen des künftigen Verhältnisses einigen und die gewünschten klaren Absprachen treffen. Für die Chemiebranche wäre eine Einbindung Großbritanniens in die EU-Chemikalienbehörde ECHA nach dem Brexit wichtig, um Zollschranken zu vermeiden, Lieferketten aufrecht zu erhalten und gleiche Standards bei der Produkt- und Chemikaliensicherheit zu gewährleisten. 

Verbleib in der EU: Sicherheit durch Bestehendes

Rechtlich gesehen ist ein Rücktritt vom EU-Austritt möglich – bis zu zwei Jahre nach Verkündung des Austrittswunsches oder wenn es kein Austrittsabkommen gibt. Sollte es zu einem zweiten Referendum kommen, wüssten die britischen Wähler im Unterschied zum ersten EU-Mitgliedschaftsreferendum im Jahr 2016 bereits eine ganze Menge darüber, wie ein Brexit aussähe. Würde sich die Mehrheit der Briten für ein „Remain“ aussprechen, wäre Großbritannien wieder EU-Mitglied zu unveränderten Bedingungen hinsichtlich seines Status als Mitgliedsstaat, wie es in einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs heißt. Für die Chemieunternehmen wäre dies der sicherste Weg, da bestehende Handelsbeziehungen, Versorgungswege und Lieferketten erhalten blieben. Ob ein EU-Verbleib Großbritanniens, das auch künftig in der öffentlichen und politischen Debatte immer wieder am Rande eines Brexits stehen dürfte, im Sinne eines vereinten Europas wäre, ist allerdings fraglich. 

HInweis der Redaktion: Dieser Artikel wurde zuletzt am 28.03.2019 aktualisiert.

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