Politik & Wirtschaft

Chemieindustrie kämpft gegen CO2

· Lesezeit 3 Minuten.
Chemieindustrie kämpft gegen CO2
Bereit für den Bau in der Nordsee: Riesige Rohre für den Turm einer Windanlage warten aufs Verladen. Foto: Vattenfall/Jorrit Lousberg.

Deutschland will schneller klimaneutral werden: Schon im Jahr 2045 statt 2050 soll die Bundesrepublik netto kein Klimagas CO2 mehr ausstoßen. Und bis zum Ende des Jahrzehnts sollen die Emissionen nun bereits um 65 Prozent gegenüber 1990 abnehmen. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz hat die Regierung die Ziele verschärft.

Der Chemieverband VCI kritisiert das Gesetz: „Es fehlt der Plan, mit welchen konkreten Maßnahmen Treibhausgasneutralität verlässlich umgesetzt und gleichzeitig die Industrie vor Wettbewerbsnachteilen geschützt werden kann“, moniert VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup. „Die neuen Klimaziele stehen fest, aber der Weg dahin bleibt im Nebel.“ Die Branche benötige für das neue Ziel enorme Mengen Grünstrom, rund um die Uhr und zu wettbewerbsfähigen Preisen.

BASF und der Energiekonzern RWE wollen Windpark in der Nordsee bauen

Der Chemiekonzern BASF packt die Herausforderung deshalb nun selbst an. „Wir wollen endlich vom Reden zum Machen kommen“, sagt Konzernchef Martin Brudermüller, startet erste Projekte und holt dafür die Energiekonzerne RWE und Vattenfall mit ins Boot. Das Ziel der Ludwigshafener: Eigenen Ökostrom aus Windanlagen in der Nordsee beziehen.

BASF und RWE haben jetzt eine Absichtserklärung für den Bau eines Mega-Offshore-Windparks unterzeichnet. Er soll mit zwei Gigawatt Leistung von 2030 an überwiegend die BASF mit Grünstrom beliefern. Dadurch könnten im Werk Ludwigshafen bis zu 2,8 Millionen Tonnen CO2 vermieden werden; der Standort emittiert 8 Millionen Tonnen im Jahr. Mit einem Fünftel des Stroms will RWE grünen Wasserstoff erzeugen. Der Essener Konzern beziffert die Gesamtkosten des Projekts auf rund 4 Milliarden Euro. Eine Förderung wollen die Partner von der Politik nicht, nötig seien aber eine frühere Ausschreibung von Windanlagenflächen in der Nordsee und ein Anschluss ans Übertragungsnetz. Zudem solle der Strom nicht mit der Ökostromumlage belastet werden.

Chemieindustrie benötigt 2045 über 600 Milliarden Kilowattstunden Strom

Die BASF hat noch ein Projekt: Für 1,6 Milliarden Euro kauft sie von der schwedischen Vattenfall knapp die Hälfte des Windparks Hollands Kust Zuid. 140 Turbinen werden dort bereits von 2023 an Strom erzeugen und damit unter anderem das BASF-Werk in Antwerpen beliefern.

Windpark im Meer: Die BASF kooperiert auch mit dem schwedischen Energiekonzern Vattenfall. Foto: Vattenfall/Jorrit Lousberg
Windpark im Meer: Die BASF kooperiert auch mit dem schwedischen Energiekonzern Vattenfall. Foto: Vattenfall/Jorrit Lousberg

Übrigens: Auch VW kooperiert mit RWE und will in Wind- und Solarparks investieren – um Stromtankstellen für E-Autos zu beliefern. Der Reifenhersteller Michelin hat in den Werken Bad Kreuznach, Homburg und Karlsruhe in den letzten Jahren 125.000 Quadratmeter Solarfläche zugebaut. Durch die verschärften Klimaziele stehen Firmen unter Druck, eigene Quellen für Grünstrom zu erschließen.

Eine Herausforderung sind da energieintensive Anlagen. Wie etwa die beiden riesigen Steamcracker der BASF, die bei 850 Grad Celsius aus Rohbenzin Chemiegrundstoffe erzeugen. Statt mit Erdgas sollen sie künftig mit Ökostrom beheizt werden. Das erfordert viel Entwicklungsarbeit und enorme Investitionen. Und das nicht nur in Ludwigshafen. Bundesweit betreiben zehn Unternehmen 14 dieser Anlagen. Für ein klimaneutrales Deutschland müssten sie alle elektrifiziert werden – und Hunderte andere Chemieanlagen dazu. Am Ende wird die Branche über 600 Milliarden Kilowattstunden Grünstrom benötigen. Das ist mehr, als ganz Deutschland 2020 verbraucht hat. Und zeigt die gewaltige Aufgabe. Auf der Agenda der kommenden Bundesregierung dürfte sie weit oben stehen.

Lesen Sie zum Thema auch den Kommentar von Patrick Graichen, Direktor der Denkfabrik Agora Energiewende.

  • Like
  • PDF
Schlagworte

Das könnte Sie auch interessieren

Katherina Reiche, Bundesministerin für Wirtschaft und Energie.

Energiewende ja, aber anders
Wirtschafts- und Energieministerin Katherina Reiche will den Ausbau erneuerbarer Energien und die Kosteneffizienz neu ausbalancieren. Betreiber von Ökostrom-Anlagen sollen sich Ihrer Meinung nach künftig an der Finanzierung des Netzausbaus beteiligen.
Wie die Frankfurter Neue Presse meldete, möchte Reiche Ende des Sommers einen „Realitätscheck“ zur Energiewende vorlegen. „Wir brauchen zwingend mehr Steuerbarkeit, um die Volatilität der Stromerzeugung durch erneuerbare Energien ausgleichen zu können“, sagte sie demnach. „Auch Speicher spielen zum Ausgleich eine Rolle. Sie sind Teil der Lösung, aber reichen allein nicht aus. Wir werden uns die Ergebnisse genau anschauen, und dann werden wir die notwendigen Schlüsse daraus ziehen.“ 
Der Ausbau der Stromnetze geschieht zu langsam
Reiches Vorgänger Robert Habeck (Grüne) hatte mit verschiedenen Maßnahmen den Ausbau des Ökostroms vor allem aus Wind und Sonne vorangetrieben. Die erneuerbaren Energien sollen eine Schlüsselrolle spielen, damit Klimaziele erreicht werden. Der Ausbau der Stromnetze hält aber nicht Schritt. Wegen fehlender Netze müssen erneuerbare Anlagen immer wieder gedrosselt werden. Ausgleichsmaßnahmen gegen Netzengpässe kosten Geld. Um den vor allem im Norden produzierten Windstrom in den Süden zu leiten, sind zusätzliche Stromleitungen erforderlich. Ein Großteil ist aber noch nicht fertig.
Mehr Kosteneffizienz als Ziel
Mit Blick auf geplante Entlastungen der Stromkunden bei den Netzentgelten, mit denen unter anderem der Netzausbau finanziert wird, sagte die Ministerin: Momentan würden Kosten vom Stromkunden in die öffentlichen Haushalte und damit auf den Steuerzahler verschoben. „Wir lösen damit nicht das grundlegende Problem. Die Entlastungen bei der Stromsteuer, die Abschaffung der Gasspeicherumlage, die teilweise Übernahme der Netzkosten und die Übernahme der schon länger in den Haushalt verlagerten EEG-Kosten machen zusammen rund 30 Milliarden Euro aus.“ Die Energiewende müsse kosteneffizienter werden. „Und das geht auch.“
Zweifel am prognostizierten Stromverbrauch
Eine wesentliche Kenngröße sei der prognostizierte Stromverbrauch, sagte Reiche. „Die letzte Regierung hat angenommen, dass der Stromverbrauch schon 2030 auf bis zu 750 Terawattstunden steigt, bis 2035 gibt es Prognosen von 1.000 Terawattstunden.“ Das wäre eine Steigerung von fast 50 Prozent innerhalb weniger Jahre. „Seriöse Studien zweifeln, ob diese Steigerungen der Realität standhalten. Wir werden eine deutliche Zunahme der Elektrifizierung sehen, insbesondere im Bereich der Wärmepumpen, der Elektromobilität, der Digitalisierung. Ob in den von der Ampel angenommenen Größenordnungen, darf bezweifelt werden.“
Ökostrom-Betreiber sollen sich an Kosten für Netzausbau beteiligen
Betreiber von Anlagen erneuerbarer Energien müssten mehr Systemverantwortung übernehmen, meint Reiche. Sie sollten sich an der Finanzierung des Netzausbaus beteiligen. „Systemverantwortung heißt, dass die Kosten für den Netzausbau nicht mehr nur über die Netzbetreiber und die allgemeinen Netzentgelte von den Stromkunden zu bezahlen sind“, sagte Reiche. Die Kosten für den Netzausbau liegen bisher voll beim Netzbetreiber und werden über die Netzentgelte von den Stromkunden bezahlt.

Wechseln zur Seite International Articles Wechseln zur Seite Newsletter