Arbeiten in der Chemie

KI im Arbeitsalltag: Die neue Schlüsselqualifikation?

· Lesezeit 7 Minuten.
Der Wirtschaftswissenschaftler Christoph Metzler ist beim IW Köln auf Ausbildung, Fachkräftesicherung und Digitalisierung spezialisiert.
KI in der Weiterbildung: Der Experte für Ausbildung und Digitalisierung, Christoph Metzler vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW), sieht in Künstlicher Intelligenz (KI) eine neue Basistechnologie, für die wir in Job und Privatleben wichtige Kompetenzen benötigen. Der kritische und sorgfältige Umgang mit Daten gehört dazu. Foto: IW

Wie wichtig wird es für Beschäftigte sein, sich mit KI auszukennen?

Es ist davon auszugehen, dass sich der Umgang mit KI zu einer Grundlagentechnologie entwickelt und uns im Alltag – privat wie beruflich – begleitet. So wie wir heute Handys mit unseren Fingern bedienen, werden wir viele KI-Anwendungen über Sprachbefehle steuern. Dafür braucht es eine gewisse Übung. Zudem wird es Funktionen geben, die sich nicht über allgemeine Sprachbefehle abbilden lassen. Mit analytischem Denken und einer gewissen Logik – Kompetenzen, die in der Chemieindustrie weit verbreitet sind – lässt sich vieles erschließen. Es müssen nicht künftig alle programmieren können! Am Ende braucht es kritisches Denken, um Daten einordnen zu können. Es werden mehr Daten verfügbar sein als je zuvor – und die Gefahr, diesen Daten blind zu vertrauen, wird größer. 

Welche neuen Weiterbildungsangebote brauchen wir dafür? 

Es lassen sich zwei Ansätze unterscheiden: Zum einen praxisorientierte Formate, die auf den Umgang mit spezifischen Tools abzielen. Zum anderen langfristig angelegte Qualifizierungen, die analytisches Denken und technisches Verständnis nachhaltig aufbauen. Klassische Aufstiegsfortbildungen wie der neue Meisterabschluss „Vernetzte Industrie“ können beim Kompetenzaufbau im zweiten Bereich unterstützen. Sie eignen sich jedoch nur bedingt, um auf technologische Entwicklungen flexibel zu reagieren.

Das Angebot an kurzfristigen KI-Weiterbildungen ist inzwischen sehr breit – und die Versprechungen vieler Anbieter mitunter ambitioniert. Ich empfehle, bei der Auswahl stets mit einer gesunden Portion Skepsis vorzugehen. Es gibt allgemeine Prinzipien, die im Umgang mit KI hilfreich sind. Diese Prinzipien müssen jedoch auf den Einsatz im industriellen Umfeld übertragen werden. Genau das sollte eine Trainerin oder ein Trainer leisten.

Bei betriebsspezifischen Tools wird es häufig keine Weiterbildung von der Stange geben. Hier gilt es, eigene Mitarbeitende so zu qualifizieren, dass sie das erworbene Wissen weitergeben können. Ist das nicht möglich – etwa weil die KI-Expertinnen und -experten in der Lehre unerfahren oder unmotiviert sind – braucht es Unterstützung durch pädagogisches Personal.
 

Es ist oft sinnvoller, wenige Tools wirklich gut zu beherrschen, statt viele nur oberflächlich zu kennen. Tipp: Nach den ersten Erfolgen beim Einsatz von KI besser den Umgang mit ihr perfektionieren, statt bequem zu werden und es bei mittelprächtigen Ergebnissen zu belassen.“ 

Christoph Metzler, Experte für Ausbildung, Fachkräftesicherung, Digitalierung beim IW Köln. Foto: privat

Wie können Beschäftigte KI nutzen, um sich weiterzubilden?

Ich empfehle, mit den zahlreichen KI-Tools einfach mal eigene Erfahrungen sammeln, diese zu reflektieren und sich mit anderen auszutauschen. Im Internet gibt es dafür eine Vielzahl an Foren. Für jedes Niveau ist etwas dabei. Bei unternehmensspezifischen Tools, etwa in Forschung und Entwicklung, sollte der Austausch allerdings nicht mit Externen erfolgen. Hier bieten sich interne Lernzirkel an.

Wichtig ist es, neugierig zu bleiben. Die Entwicklung im Bereich KI ist rasant. Daher ist es oft sinnvoller, wenige Tools wirklich gut zu beherrschen, statt viele nur oberflächlich zu kennen. Gerade über Chatbots ergibt sich die Möglichkeit, sich auch fachlich weiterzubilden. Hier ist jedoch Vorsicht geboten: Je spezifischer die Fragestellungen – und das ist besonders im naturwissenschaftlichen Bereich oft der Fall – desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, belastbare Antworten zu erhalten. Die Ergebnisse basieren auf allgemeinen Trainingsdaten und ersetzen keine fundierte Fachquelle.

Ein KI-Einsatzbereich liegt zudem in der Möglichkeit, personalisierte Lernpfade zu gestalten. Lernende könnten Angebote erhalten, die ihrem individuellen Kenntnisstand entsprechen. Einige Plattformen setzen dies bereits um – mit Lernempfehlungen auf Basis von Nutzerverhalten, Kompetenzen und Lernzielen. Gerade im Betrieb stellt sich dabei allerdings die Frage, welche Daten dafür verwendet werden dürfen: Können etwa Selbsteinschätzungen von Mitarbeitenden oder Beurteilungen durch Vorgesetzte als Grundlage dienen? Diese Diskussion wird uns begleiten.

Auf welche Kompetenzen kommt es dabei an?

Egal, wie viel Fachwissen man mitbringt – ein gewisses Maß an Offenheit und Selbstreflexion ist entscheidend. Mit KI-Tools lassen sich oft schnell erste Erfolge erzielen. Und genau dann neigen wir dazu, es uns bequem zu machen. Dabei steckt gerade in der Formulierung und Anpassung von Sprachbefehlen riesiges Potenzial: Für fast jede Situation lässt sich eine passende Antwort finden. Dafür braucht es die Fähigkeit, einer Maschine zu vermitteln, wie die konkrete Situation im Arbeitsalltag tatsächlich aussieht. Ich empfehle, sich dabei vorzustellen, man würde es einem Familienmitglied erklären, das in einer völlig anderen Branche arbeitet. 

Eine KI wird nur auf das reagieren, was wir ihr anbieten. Das können selbstgeschriebene Befehle, aber auch unsere Nutzerdaten sein. Ohne eigene Lernmotivation und ein Bewusstsein, welche Lernziele wir eigentlich verfolgen möchten, geht es nicht. 

Können Sie ein Beispiel nennen, wie eine Person aus der Chemieindustrie sich mit KI weiterbilden kann?

In der Chemiebranche ist die Neigung, auf betriebsspezifische Lösungen zurückzugreifen, besonders ausgeprägt. Die Forschungs- und Produktionsprozesse und die damit verbundenen Anforderungen sind mitunter recht komplex und die Betriebsabläufe zudem stark reguliert. Daher ist der direkte Ansprechpartner für die passende Weiterbildung am besten die eigene Führungskraft. Ein KI-Tool, das sich übergreifend einer gewissen Beliebtheit erfreut, ist Microsoft 365 Copilot. Das ist eine KI-Assistenz, die in sämtlichen Anwendungen von Microsoft 365 bereitsteht. Dadurch kann KI zum Beispiel direkt in Excel genutzt werden. So können Industriekaufleute fragen: „Zeig mir die Reaktoren mit der höchsten Kapazitätsnutzung in der vergangenen Woche“, woraufhin Copilot automatisch eine entsprechende Auswertung aus internen Daten einer bestehenden Excel-Tabelle erstellt. Zudem lassen sich Daten ohne Fachkenntnisse nach Mustern durchsuchen oder zusammenfassen. Und Berichte sowie Diagramme können mit wenigen Klicks generiert und flexibel angepasst werden. Das ist eine echte Erleichterung, insbesondere für Mitarbeitende, die nicht tief drin sind im Arbeiten mit Formeln. Microsoft bietet dazu selbst zahlreiche Weiterbildungen an und arbeitet dabei auch mit den Bildungswerken der Wirtschaft zusammen. 

Welche Regeln müssen Beschäftigte dabei beachten?

Die betrieblichen Rahmenbedingungen sind zu beachten, und die können ganz unterschiedlich ausfallen. Der erste Ansprechpartner ist dabei die IT-Abteilung. Das gilt insbesondere vor dem Einsatz eines neuen KI-Tools. Personenbezogene Daten, etwa von Kundinnen und Kunden, und Produktionsdaten bedürfen eines besonderen Schutzes. So wie man nicht mal eben auf Facebook ein Bild von sich vor einer Maschine posten würde, wo im Hintergrund der Tagesverbrauch einer Chemikalie zu sehen ist, so empfiehlt es sich nicht, ein öffentlich verfügbares KI-Tool zu Optimierungsvorschlägen des entsprechenden Produktionsprozesses zu fragen. Gerade bei betriebsspezifischen Daten ist Vertraulichkeit wichtig, auch beim Speicherort der Daten. Im angesprochenen Microsoft Copilot werden die eingegebenen Daten in der Regel innerhalb der geschützten Unternehmensumgebung verarbeitet, sofern die IT-seitigen Sicherheitsvorgaben korrekt eingerichtet sind. Es gilt, für jeden Einzelfall genau hinzuschauen.

Worauf müssen die Sozialpartner gemeinsam achten, wenn Betriebe künftig KI-gestützt arbeiten? 

Es gibt mindestens drei zentrale Handlungsfelder. Erstens die Anpassung der Kompetenzprofile: Beschäftigte und Führungskräfte könnten verunsichert sein, ob und wie sich ihre Arbeitsbereiche durch KI verändern. Ein regelmäßiger gemeinsamer Blick auf bestehende Kompetenzprofile kann helfen, Herausforderungen zu erkennen. Diesen gilt es dann mit klarer Kommunikation, Coaching und Weiterbildungen zu begegnen. 

Zweitens die Umsetzung gesetzlicher Vorgaben in der Praxis: Neue gesetzliche Rahmenbedingungen, etwa der EU-AI-Act, müssen in den betrieblichen Alltag übersetzt werden. Die Sozialpartner sollten gemeinsam dafür sorgen, dass Regelungen zu Transparenz, Mitbestimmung und ethischen Standards angewendet werden.

Drittens die Förderung einer nachhaltigen Weiterbildungskultur: Damit Beschäftigte mit der Entwicklung Schritt halten können, braucht es ausreichend Zeit für kontinuierliche Weiterbildung. Das kann je nach Abteilung unterschiedlich aussehen. Die Gestaltung liegt in Hand der Sozialpartner.



Zur Person

Der Wirtschaftswissenschaftler Christoph Metzler ist auf Ausbildung und Fachkräftesicherung spezialisiert. Als Senior Economist forscht er am Institut der deutschen Wirtschaft in verschiedenen Projekten zu dualer Berufsausbildung und Personalpolitik in Zeiten der Digitalisierung. In dem Projekt Netzwerk Q 4.0 erhalten Ausbildende kostenlos Tipps und Informationen zu KI.
 

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