Politik & Wirtschaft

Atomkraft – ja, bitte?

· Lesezeit 4 Minuten.
Der Kühlturm eines Atomkraftwerks.
Vor der Abschaltung: Das Atomkraftwerk Isar in Niederbayern. Foto: picture alliance/Sven Simon.

Zur Frage, wie Deutschland unabhängiger von russischer Energie wird, ist die Laufzeitverlängerung von Atommeilern im Gespräch. Wirtschafts- und Umweltministerium haben zwar abgelehnt. Doch die Diskussion ist damit nicht vom Tisch. Wie Befürworter und Gegner argumentieren.

„Ja, bitte“:

Befürworter argumentieren mit zuverlässiger Lieferung, Klimaschutz, der Nutzung aller Optionen – und mit Alternativlosigkeit

Wirtschaftswissenschaftler wie Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts, und Michael Hüther, Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft, raten der Regierungskoalition zum Beispiel dazu, bei der Atomkraft zu prüfen, was möglich ist. Sonst sei die Zukunft des Industriestandorts Deutschland gefährdet und eine Chance vertan, das Energiesystem stabil zu halten.

Um unabhängiger von russischem Gas zu sein, brauche es kurzfristig Verlängerungen der Laufzeiten von Kohlekraftwerken und AKWs, bis genug Gas aus anderen Quellen und mehr Erneuerbare verfügbar seien, erklärte Fuest zuletzt.

Hüther weist bei seiner Empfehlung, den Weiterbetrieb der drei verbliebenen deutschen AKWs über das Jahresende hinaus zu prüfen, allerdings darauf hin, dass Wartungsverträge neu geschlossen und Brennstäbe geordert werden müssten. Deshalb rede man nicht von einem Jahr, sondern eher fünf Jahren Laufzeitverlängerung. Alternativ die Laufzeit für Kohlekraftwerke zu verlängern, hält Hüther mit Blick auf die Klimaziele für keine gute Idee.

Weitere Befürworter einer Verlängerung argumentieren, dass Atomstrom das Klima kaum belaste. Zudem sei er billig, sagt etwa Bayerns Ministerpräsident Markus Söder mit Blick auf das Ziel, dass Energie für Unternehmen und Verbraucher bezahlbar bleibt. Kohlestrom dagegen mache Deutschland abhängig, sagt Söder – zum Beispiel von Kohlelieferanten.

Tesla-Chef Elon Musk nennt es gar „verrückt“, jetzt Atomkraftwerke abzuschalten. Deutschland sollte nicht nur die noch laufenden Anlagen nicht abschalten, sondern auch die abgeschalteten wieder in Betrieb nehmen.

Worin sich wohl alle Befürworter einig sind: Atomkraft fließt zuverlässig, auch im dunklen Winter. Also in der Jahreszeit, in der Deutschland bislang besonders abhängig ist vom russischen Gas. Die Versorgung mit Erneuerbaren schwanke dagegen abhängig von der Witterung.

„Nein, danke“:

Zu teuer, zu spät, ungeeignet, riskant und klimaschädlicher als erneuerbare Energien, warnen die Gegner

Zum Beispiel die Wirtschaftsweise Veronika Grimm: Die meisten Kraftwerke sind bereits abgeschaltet. Der Rückbau habe bei den meisten begonnen, die Lieferverträge für Brennstäbe seien gekündigt: Alles wieder aufzuschnüren, sei teuer, argumentiert sie.

Zeitliche Bedenken äußerte Finanzminister Christian Lindner: Neuer Brennstoff müsse eingekauft und neue Genehmigungen müssten erteilt werden. Mit einem Beitrag zur Energieversorgung wäre zumindest nicht für den kommenden Winter zu rechnen. Auch Atomkonzerne selbst sagen, dass neue Brennelemente erst in etwa eineinhalb Jahren zur Verfügung stehen würden.

Wirtschaftsminister Robert Habeck hält einen Weiterbetrieb erst ab einem Zeitraum von drei bis fünf Jahren für sinnvoll – und für diesen geht er wie Umweltministerin Steffi Lemke davon aus, dass bessere Alternativen zum Ausgleich des Gasmangels gefunden sein werden.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) weist wiederum darauf hin, dass grundsätzliche Fragen wie die Entsorgung des Atommülls noch immer nicht gelöst seien. BDI-Präsident Siegfried Russwurm hält es deshalb für sinnvoller, den Kohleausstieg zu verschieben.

Auch Umweltschutzverbände wie der Naturschutzbund Deutschland sehen die ungeklärte Frage der Atommüllentsorgung. Zudem sei der für Atomkraft erforderliche fossile Rohstoff Uran nur begrenzt verfügbar. Seine Förderung und der Import zerstörten erheblich die Natur und seien teuer. Ganz abgesehen von dem gewaltigen Risiko eines Reaktorunfalls durch Fehler, Katastrophen oder Krieg, den viele zu bedenken geben.

Und Atomkraft sei keineswegs klimaneutral, betonen zum Beispiel die Grünen: Bei Gewinnung, Transport und Aufbereitung von Uran entstehen Emissionen, ebenso beim aufwendigen Bau der Kraftwerke. Wie viel das im Vergleich zu anderen Energiequellen ist, variiert zwar je nach Analyse. Aber, so die Grünen: Unflexible Atomenergie verstopft die Netze und verhindert so die volle Nutzung erneuerbarer Energien.

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