Politik & Wirtschaft

Podcast Wir.Hear. - Mobiles Arbeiten

· Lesezeit 22 Minuten.
Eine Frau arbeitet mobil von zuhause.
Arbeiten von Zuhause: „Man kann auch über Distanz Nähe behalten und engen Kontakt pflegen“. Foto: bnenin - stock.adobe.com

Mobiles Arbeiten verspricht Freiheit und Flexibilität, doch es droht die Gefahr der sozialen Erosion. Wie lässt sich verhindern, dass das Sozialgefüge im Betrieb bröckelt oder die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben verwischen? Dr. Josephine Hofmann vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO erklärt in der neuen Folge des Podcasts Wir. Hear., wie sich der Zusammenhalt bewahren lässt. 

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Tobias Göpel: Mobiles Arbeiten ist überaus beliebt, keine Frage. Doch es hat auch klare Nachteile. Die soziale Erosion. Und, es kann auch nicht jeder tun. Was das heißt und was Arbeitgeber und Beschäftigte dagegen tun können, hören Sie in dieser Folge. Willkommen bei Wir.Hear., dem Podcast zur Chemieindustrie im Wandel. Mobiles Arbeiten ist gekommen, um zu bleiben. Das geht aus einer Studie der Chemie Sozialpartner hervor. Und darum geht es auch heute um das mobile Arbeiten. Eine Arbeitsform, die Freiheit und Flexibilität verspricht. Da zu arbeiten, wo man auch lebt, spart Zeit und bietet Komfort. Doch es stellt uns auch auf die Probe, zum Beispiel bei der Teambildung oder der Work-Life-Balance. Durchgeführt wurde die Studie durch das Fraunhofer Institut IAO, und ich freue mich besonders auf Josefine Hofmann vom Fraunhofer Institut. Sie ist Expertin für mobiles Arbeiten. Vielen Dank für Ihre Teilnahme an diesem Podcast.

Josephine Hofmann: Sehr gern.

Tobias Göpel: Was war für Sie besonders spannend oder interessant an dieser Studie?

Josephine Hofmann: An dieser Studie war für uns zum einen interessant, dass sie durch die Sozialpartner sehr partnerschaftlich getragen und durchgeführt wurde. Es war auch methodisch interessant durch die Auswahl der Betriebe, soweit ein bisschen Sozialwissenschaft. Inhaltlich fragen Sie mich eher, ob sich die Entwicklung, die wir auch in anderen Studien sehen, erneut bestätigt hat. Nämlich, dass einerseits mobiles Arbeiten sich großer Beliebtheit, hoher Nachfrage und guter Produktivität erfreut. Auf der anderen Seite, wenn man Führungskräfte und Mitarbeitende befragt, lesen wir zunehmend und auch in dieser Studie Dinge heraus, die wir mit dem Stichwort "soziale Erosion" überschrieben haben. Damit meinen wir eine Vielzahl von Indikatoren, die das zusammenfassen, was unser tägliches Miteinander in einem Unternehmen bei einem Arbeitgeber ausmacht und uns zu einer Sozialgemeinschaft macht. Ein Unternehmen ist auch ein sozialer Ort, wo ich mich hoffentlich gebunden fühle, etc. Und da haben wir einige Anzeichen für nachlassende Hilfsbereitschaft, das Nicht-mehr-mitbekommen, wie es den Kollegen geht. Das haben wir tatsächlich auch in dieser Studie wieder herausarbeiten können. Und das sind natürlich Dinge, die man im Blick haben muss, um die langfristige Entwicklung trotzdem gut zu gestalten.

Tobias Göpel: Also die Studie kann man auf der Website vom Fraunhofer nachlesen. Deswegen will ich mit Ihnen noch gar nicht alles durchgehen, sondern nur drei Punkte. Und die soziale Erosion ist für mich in der Tat auch so ein auffälliger Punkt. Wer zu Hause arbeitet, hat weniger Kontakt zu den Kollegen. Im Zweifelsfall kommt irgendwann die Frage, die man sich selber stellt, warum der Betrieb nicht der andere ist. Die Tätigkeit ist ja die gleiche, wenn wir jetzt Buchhaltung oder Ähnliches nehmen. Was bedeutet das aus Ihrer Sicht für das Team und wie sollten Führungskräfte darauf reagieren?

Josephine Hofmann: Man muss zum einen sagen, dass das nicht passieren muss. Man kann natürlich auch über Distanz gute Nähe behalten und engen Kontakt pflegen. Der Punkt ist, es findet einfach zum großen Teil nicht statt. Und was muss man tun? Man muss genau dem begegnen, an Arbeiten. Also man muss sich gut überlegen, wo und wie häufig sprechen wir uns vielleicht auch mal ohne Anlass? Wie gestalten wir vielleicht auch hybride Meeting-Formate, damit wir wirklich miteinander im Gespräch bleiben? Wie kann ich als Führungskraft dafür sorgen, dass meine Ansprechbarkeit trotz allem gleich gut bleibt? Dass ich auch wirklich weiß, die Leute können mich jederzeit zum Beispiel kontaktieren. Ich kann mich aber auch mal bei ihnen melden, auch mal ohne Grund, ohne dass sie einen Schreck kriegen, sondern einfach, um sozusagen in diesem täglichen Gespräch zu bleiben, was sonst verloren geht. Über die Distanz ist dieses Mal eben über den Schreibtisch reden, ist man eben an der Kaffeeküche sagen: "Mensch, habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Wie läuft eigentlich XY über Z?" Das sind genau die Gespräche, für die sie heutzutage keine Teams-Konferenz oder keinen Video-Call aufsetzen, sondern Tablets. Das machen sie halt nicht. Und in der Summe all dieser kleinen Gelegenheiten geht doch eine Menge an Anbindung, an vielleicht auch Austausch von Wissen, ganz sicherlich und ein Stückweit natürlich auch an zufälliger Begegnung und der Möglichkeit, gemeinsam neue Ideen zu entwickeln.

Tobias Göpel: Aus einem Mitgliedsunternehmen habe ich dann im Gespräch das Beispiel gehört, dass sie sich ganz bewusst treffen über Teams, also digital, um sich nur über Privates auszutauschen. Mal so 20 Minuten. Einerseits kann es gut sein, andererseits aber so gestellt. Ich weiß, an diesem Punkt muss ich plötzlich privat sein. Ist das denkbar? Oder hätten Sie da noch andere Ideen, wie man so etwas umsetzen könnte?

Josephine Hofmann: Sie sprechen schon wichtige Punkte an, die wir vor allem in der heißen Phase gesehen haben. Also da hat man von virtuellen Weihnachtsfeiern bis zu virtuellen Geburtstagsfeiern alles erleben dürfen, aus der Not heraus. Es ist auf jeden Fall eine gute Idee, glaube ich, für diesen privaten Austausch Zeit zu reservieren und nicht so im durchgetakteten Kalender durch den Tag zu hopsen und zu sagen, mit drei Minuten überzogen, eigentlich sind Sie schon wieder im nächsten Meeting und muss unbedingt raus, weil wir wissen, die wirklich interessanten Gespräche oft oder das Private. Das kommt so, wenn man seine Sachen zusammenpackt und zusammen sozusagen zum Aufzug läuft. Man kann, glaube ich, schon versuchen, das ein Stück weit zu institutionalisieren. Die virtuelle Kaffeeküche, da gibt es ja tausend Dinge. Ich glaube, man sollte sich von der Idee verabschieden, dass man da einmal etwas einführt und es immer funktionieren wird. Ich glaube, man muss da vor allem viel Kreativität aufbringen und auch viel ausprobieren. Und man muss es sich auch trotzdem damit abfinden, dass es bestimmten Leuten leichter fällt und andere Leute damit auch fremdeln. Also ich glaube auch die unterschiedlichen Grade in der Kommunikationsaffinität kommen natürlich noch mal etwas stärker zum Ausdruck. Aber was ich sagen will? Also dranbleiben und Kommunikation eben nicht als Zeitverschwendung betrachten, sondern als ganz wichtige Zutat für ein gutes Miteinander.

Tobias Göpel: Also dieser Gewöhnungseffekt, oder? Es ist nicht für jeden was, könnte ich mir vorstellen, dass die Jüngeren eher dazu tendieren zu sagen: "Hey, das ist okay, damit bin ich ja mehr oder weniger großgeworden," und die Älteren fremdeln eher damit. Ist das etwas, wo es passt oder nicht? Dass es gemischt.

Josephine Hofmann: Also bei diesem Thema gibt es eine Menge an Vorurteilen. Natürlich ist es so, dass Jüngere anders sozialisiert sind, vielleicht ein bisschen freier und schneller diese Vielzahl an Kanälen auch wirklich bespielen. Aber ich glaube, es ist vor allem auch eine Persönlichkeitsfrage. Ein Stück weit ist es aber auch eine Frage vom privaten Setting daheim, was ich da mache und was nicht. Wird es weniger an Altersgruppe festmachen, sondern wirklich eher an Persönlichkeitsmerkmalen, an persönlicher Lebenssituation? Und das wissen wir auch. Also ich sag jetzt mal die Mutter, die nebenher zwei Kinder betreut und einen sehr vollen Tag hat, die sitzt ganz anders auf Kohlen. Wie der Mittfünfziger, der daheim allein in seinem schönen Arbeitszimmer in Ruhe vor sich hin arbeiten kann. Was ich glaube, da ist ganz viel auch die private Lebenssituation entscheidend. Und wichtig ist auch, darüber im Gespräch zu bleiben und trotzdem immer wieder Gelegenheiten zu finden, sich zu sprechen und natürlich auch einen guten Mix aus persönlicher Begegnung und dann eben Arbeit über Distanz auch tatsächlich zu finden.

Tobias Göpel: Stichwort Teambuilding. Das ist jetzt eine Möglichkeit, das Team zusammenzubringen durch gemeinsame Aktionen. Viele Arbeitgeber befürchten, dass es wieder Zusatzkosten ergibt, weil man dann vielleicht einen Tag frei machen muss oder man am Wochenende unterwegs ist, dann etwas bezahlt, wo die Leute unterwegs sind. Kollegen machen von sich aus intrinsisch motiviert bowlen gehen oder sich mal so treffen abends zum Kochen. Können Sie dazu etwas sagen, was es da so für Tendenzen gibt, welche Bandbreite besteht und was gegebenenfalls auf Unternehmen zukommt?

Josephine Hofmann: Ja klar, es gibt Unternehmen, die so etwas auch großzügig sponsern. Da kann es natürlich auch eine Frage des Geldes sein. Und meiner Meinung nach ist Privatsache Privatsache. Wenn Kollegen dort etwas machen, dann ist es schön. Ich finde, man kann es nicht erzwingen. Was man, glaube ich, viel eher machen sollte, auch das ist, glaube ich, Ergebnis dieser Studie, ist sicherzustellen, dass man sich genau überlegt, was machen wir und wo? Und dass man dann zum Beispiel nicht nur im Team festlegt, dass alle zweimal die Woche reinkommen. Da kann es ja sein, dass man sich trotzdem sieht, weil der eine donnerstags freitags kommt und der andere dienstags mittwochs, sondern dass man sagt, wir treffen uns auf jeden Fall alle am mittwochs, dienstags. Und dass man dann aber auch überlegt, was machen wir an dem Tag? Also dann eben nicht auf die Idee verfallen zu sagen, wir kommen am Mittwoch, aber wir verschwinden alle in unseren Büros und machen auch ein Meeting nach dem anderen mit Menschen, die woanders sitzen. Sondern genau gucken, wie wollen wir diese gemeinsame Zeit so nutzen, dass wir auch dort einen Mehrwert erleben? Und da kann man dann, da muss man nicht abends bowlen gehen. Aber natürlich kann man da zum Beispiel einen verlängerten Jour fixe machen, sich mal ausführlicher über Projekte oder über spannende Sachen erzählen und dann natürlich einpreisen, dass man sagt, wir gehen auf jeden Fall alle miteinander Mittagessen in die Kantine oder wir bestellen reihum den Pizzaservice oder wir bringen reihum Kuchen mit. Oder wir machen einmal im Monat ein gemeinsames Frühstück und jeder bringt ein paar Sätze mit und einen Kaffee. Das sind alles Dinge, die haben nicht so einen wahnsinnigen Aufwand. Ich glaube, der ist auch gut. Aber man muss sich da schon auch drum kümmern. Also zu glauben, dass es von selber kommt, weil man irgendwo ein kommunikatives Naturtalent hat, darauf würde ich mich nicht verlassen.

Tobias Göpel: Die soziale Erosion betrifft ja nicht nur die Teams an sich, die zusammenarbeiten, sondern mit Blick auf die gesamte Belegschaft. In dem Betrieb gibt es auch die Situation, dass manche Mitarbeiter keine Option für mobiles Arbeiten haben, also die klassischen Produktion. Ist das aus Ihrer Sicht akzeptiert, dass es die einen mehr können als die anderen? Oder gibt es da eher ein Gefühl der Ungerechtigkeit nach dem Motto "Ich muss in den Betrieb und die anderen können zu Hause bleiben"?

Josephine Hofmann: Das ist auf jeden Fall ein Diskussionsthema, und es ist natürlich, glaube ich, schon sehr stark nochmal aufgetreten, besonders in dieser extremen Corona-Situation, wo ja auch noch ein paar andere Sachen dran hängen. Es ging nicht nur darum, dass die einen daheimbleiben dürfen und die anderen nicht, sondern auch darum, dass die einen in Europa einsteigen müssen und sich dort vielleicht infizieren. Das Ganze war auch durch andere Nebeneffekte überformt, die man in normalen, nicht pandemischen Zeiten nicht hat. Es ist jedoch so, dass Unternehmen mit gemischten Teams zunehmend überlegen müssen, was sie den Mitarbeitern bieten können. Natürlich können wir nicht die Klimaanlage ins Wohnzimmer stellen – das wird auch bis auf Weiteres nicht machbar sein. Aber vielleicht können wir darüber nachdenken, Produktionsnahe Tätigkeiten anders zu organisieren und zumindest ein wenig Flexibilität anzubieten. Es wird derzeit viel unternommen, um alternative Arbeitszeitformen und mehr persönliche Flexibilität anzubieten. Dies ist einer der Gründe, warum die Diskussion über die Vier-Tage-Woche derzeit so viel Aufmerksamkeit erfährt. Sie wird plötzlich auch für Pflegekräfte oder Klimaingenieure attraktiv, weil sie eine andere Flexibilität verspricht. Es ist natürlich eine immanent vorhandene Tatsache, und man muss schon sagen, dass man nicht erwartet, dass sich in zwei Jahren etwas ändert, wenn man seinen Dienst antritt. Aber das entbindet den Arbeitgeber nicht von der Notwendigkeit, gut zu überlegen, was er den verschiedenen Beschäftigtengruppen spezifisch anbieten kann, um Wertschätzung und Flexibilitätspotenziale zumindest in gewissem Maße anzubieten.

Tobias Göpel: Die Vier-Tage-Woche ist ein interessantes Stichwort. Der Eindruck, den ich habe, ist, dass alle sie am liebsten haben möchten, um mehr Zeit für sich zu haben. Das ist an sich okay, aber in Kombination mit Fachkräftemangel und der Notwendigkeit, Chemieanlagen vollständig auszulasten, entsteht die Herausforderung, dass die Schichten nicht voll besetzt werden können und die Anlagen noch immer vollständig ausgelastet sind. Inwiefern ist das betriebswirtschaftlich noch vertretbar? Haben Sie Lösungsansätze oder Ideen, wie man damit umgehen kann, insbesondere im Verhältnis zum Fachkräftemangel und der Notwendigkeit, die Anlagen vollständig auszulasten?

Josephine Hofmann: Zum einen muss man sagen, es gibt wirklich wenige belastbare empirische Studien dazu; sie laufen gerade erst an. Wir müssen das begleiten und es hängt auch von Mängeln und der Möglichkeit ab, überhaupt mit Personal zu jonglieren. Trotzdem bitte ich, Planungen so zu gestalten, dass Anlagen ausgelastet werden können. Manche Leute sprechen von der Vier-Tage-Woche mit Reduktion der Arbeitsmenge bei gleichem Gehalt. Andere verstehen darunter die Verteilung der Arbeit von fünf auf vier Tage. Das ist ein großer Unterschied, der betriebswirtschaftlich relevant ist. Ein Teil der Debatte geht darum, dass dies ein ungelöster Schritt in die Zukunft ist, den wir noch nicht kennen. Es gibt Befürworter, die sagen, die Vier-Tage-Woche hat das Potenzial, Teilzeit in Vollzeit zurückzuholen, wenn die Arbeit in diesem anderen Modus erledigt werden kann. Das ist eine Idee, die Charme haben könnte, aber ob sie wirklich greift, weiß niemand. Es sind noch nicht genügend Erfahrungen damit gesammelt worden. Man muss sich auch darüber im Klaren sein, dass dies eine Vielzahl von anderen Dingen nach sich zieht. Wenn beispielsweise eine Mutter statt fünf Tagen vier Tage arbeitet, aber dafür länger am Tag, benötigt sie längere Betreuungszeiten im Kindergarten. Es entsteht auch Fachkräftemangel. Daher sage ich nicht, dass dies im Grunde genommen keine richtigen Überlegungen sind. Wir müssen den Mangel intelligent organisieren. Einfach reflexartig zu sagen, dass dies nicht funktioniert, ist meiner Meinung nach nicht die Lösung. Daher befürworten wir Experimente, um zu sehen, welche Effekte sie haben, und dann können wir qualifiziert weiterdiskutieren.

Tobias Göpel: Okay, die Wahrheit liegt wahrscheinlich wie immer irgendwo in der Mitte, weg von den Extremen. Ich komme nochmal zurück zu den Blue Collar Workers. Ich habe mal den Tipp gehört, dass man die Mitarbeiter mit Schnitzel und Pommes motivieren kann, indem die Kantine zu einem Ort der Begegnung wird. Das war aus meiner Sicht allerdings eher scherzhaft gemeint und zeugte von einer gewissen Ratlosigkeit. Welche Empfehlung hätten Sie, um die Belegschaft als soziale Gemeinschaft zu fördern?

Josephine Hofmann: Also ich sage mal, wenn Sie in unsere Kantine schauen an den Tagen, an denen es Linsen mit Spätzle oder Schnitzel mit Pommes gibt, dann schauen Sie selbst, dass mehr Leute kommen. Ich würde schon sagen, dass da etwas dran ist. Es ist natürlich differenziert und gutes Essen hat eine positive Wirkung. Die Leute sparen Zeit und Geld und werden dennoch vernünftig ernährt. Es ist auch ein Zeichen von Wertschätzung, sowohl vom Arbeitgeber als auch vom Arbeitnehmer, wenn sich Mühe gegeben wird, gesundes und gutes Essen anzubieten. Natürlich muss man überlegen, ob es auch ein attraktives Ambiente gibt. Ich gehe gerne in eine Umgebung, in der der Arbeitgeber Wert darauf legt, dass sich die Mitarbeiter wohlfühlen, mit einer modernen Ausstattung und guten Lichtverhältnissen. Das kostet zwar Geld, aber es gibt auch Dinge, die man ohne hohe Kosten umsetzen kann, wie zum Beispiel bestimmte Veranstaltungen mit einem exklusiven Charakter, um die Präsenz zu fördern. Es gibt also eine Vielzahl von Möglichkeiten. Es ist bereits in vielen Diskussionen präsent, dass die Menschen ihre Arbeit an ihr Leben anpassen wollen und nicht umgekehrt. Dies ist durch Corona verstärkt worden, und Arbeitgeber müssen sich langfristig damit auseinandersetzen, dass Mitarbeiter abwägen, wenn der nächste Arbeitgeber nur einen Klick entfernt ist. Es gibt auch andere Tendenzen, insbesondere bei jungen Menschen, die andere Erwartungen an Arbeitgeber haben. Das ist eine Vielzahl von Faktoren, die zusammenwirken, und es ist eine große Aufgabe, der sich viele Arbeitgeber stellen müssen. Es wäre meiner Meinung nach nicht ratsam, einfach zu sagen, dass alle wieder vier Tage die Woche ins Büro kommen sollen. Das erzeugt erfahrungsgemäß den größten Widerstand, da den Menschen etwas genommen wird, ohne vernünftig zu argumentieren. Man muss gemeinsam überlegen, wie man das Miteinander gut gestaltet und attraktiv macht. Es ist nicht nur die Aufgabe des Arbeitgebers, sondern alle müssen dazu beitragen, Führungskräfte und Mitarbeiter, und in das Sozialkapital investieren. Es ist jedoch nicht einfach, den Menschen zu vermitteln, dass kurzfristige Nutzenmaximierung nicht immer die beste Lösung ist. Das ist eine Herausforderung, der wir uns auch in Zukunft stellen müssen.

Tobias Göpel: Das glaube ich auch. Die Botschaft finde ich schön, dass es nicht in der Verantwortung des Arbeitgebers liegt, alles zu tun, dass es passt, und dass jeder seinen Beitrag dazu leisten muss, damit die soziale Gemeinschaft im Betrieb erhalten bleibt. Ich würde eher weggehen vom Betrieb hin zum wirklichen Homeoffice. Stichwort Verantwortung. Diesen Blick auf die Entgrenzung, das wurde ja in der Studie ebenfalls angesprochen. Welche Risiken der Entgrenzung sehen Sie beim mobilen Arbeiten?

Josephine Hofmann: Es gibt Studien, die zeigen, dass die Burnout-Quoten generell steigen, insbesondere für Menschen in problematischen individuellen, sozialen oder familiären Situationen, auch für Alleinlebende. Es gibt Anzeichen dafür, dass sich dies durch die Entgrenzung verschärft hat. Diese Entgrenzung ist wirklich etwas, was immer stärker zu sehen ist. Das ist die Kehrseite der Flexibilität. Wenn ich zum Beispiel vom Kinderspielplatz aus schnell noch etwas erledigen kann, mischen sich private und berufliche Aktivitäten stark. Dies kann als Vorteil oder Belastung betrachtet werden. Arbeitsmediziner sagen, dass Menschen Pausen brauchen, um sich zu erholen, und dies muss stark sensibilisiert werden. Es geht auch um klare Erwartungen bezüglich der Erreichbarkeit und die Frage, ob es normal ist, Kalender mit zehn Meetings am Tag zu haben. Es ist eher eine Frage der Arbeitsverdichtung und Organisation im Allgemeinen als eine Frage des Arbeitsorts. Die Effekte sind meiner Meinung nach die gleichen.

Tobias Göpel: Arbeitsverdichtung ist durchaus ein Punkt. Aber was ich auch sehr oft höre, ist zu Hause kann ich mich um das kranke Kind kümmern, nebenbei noch die Wäsche waschen, dann habe ich die Bauarbeiter im Haus. Und das kann ja auch zu einer Art Entgrenzung und zu Stresssituationen führen, weil ich dann halt – das haben Sie ja vorhin gesagt – die Telekom ebenso Spülkastenrand, dass sich hier letztendlich Privates und Berufliches so stark vermische, dass ich dann abends um 21:00 total fertig da liege und nichts mehr mache. Hätten Sie da Hinweise, wie man Berufliches und Privates besser trennen kann?

Josephine Hofmann: Klassisches Thema von Zeitmanagement. Wobei ich muss ganz ehrlich sagen, natürlich, ich gehe auch mal zwischendurch runter, wenn ich daheim arbeite, auch mal zwischendurch eine andere Wäsche ein. Aber man muss schon auch mal festhalten: Wir reden hier von bezahlter Arbeit. Man kann nicht gleichzeitig ein Kleinkind hüten und konzentriert arbeiten – das geht einfach nicht. Das kann man mal in einer Notsituation machen oder wenn das Kind 14 ist und sich selber beschäftigt. Aber wir haben hier bezahlte Beschäftigung zu tun, und es sind auch altmodische Bilder, muss ich Ihnen sagen. Wenn man früher über Telearbeit geredet hat, da habe ich immer einen Hals bekommen. Wenn die Journalisten schöne Bilder ausgesucht haben für ihren Artikel, was haben Sie da drauf gesehen? Eine hübsche junge Mutti, die vor dem PC sitzt und ein pausbäckiges Baby auf dem Schoß hat. Da habe ich immer gedacht: Nein, das ist nicht die Idee von Telearbeit. Das ist weder für den Arbeitgeber eine gute Idee, der findet das nicht toll, und das Kind übrigens auch nicht. Also Flexibilität im Sinne von schneller mal irgendwo hingehen können, Ausnahmesituationen managen und Zeiten einsparen – alles völlig in Ordnung. Aber Arbeit ist Arbeit und Freizeit ist Freizeit, und das sollte nicht komplett ineinanderfließen. Zumindestens mal ist es eine medizinische Erkenntnis, dass Menschen Pausen brauchen. Aber auch da muss man ehrlicherweise sagen: Menschen sind sehr verschieden. Und sie sehen auch, dass in unterschiedlichen Lebensphasen sehr unterschiedliche

Tobias Göpel: Ich nehme für mich mit: Arbeitgeber sind tendenziell mehr in der Verantwortung zu prüfen, ob die Häufigkeit der Meetings wirklich noch so gut ist, ob die Arbeitsverdichtung okay ist, und die Beschäftigten sind auch mehr in der Verantwortung zu schauen, ob sie Berufliches und Privates wirklich sauber trennen und sich nicht selbst überfordern, indem sie zu viel auf einmal machen möchten.

Josephine Hofmann: Man muss natürlich auch als Arbeitgeber über Erreichbarkeitsgrenzen reden. Nur weil ich jetzt ein Diensthandy habe, heißt es nicht, dass ich abends um 20:00 auf jeden Fall noch die E-Mail beantworte, nur weil die Chefin um 7:30 etwas Ungeschicktes geschrieben hat. Da gibt es auch klare Absprachen zu treffen, und ich sage jetzt mal, die erwarteten Erwartungen zu klären. Also auch das ist schon die Pflicht des Arbeitgebers. Aber auch da muss ich Ihnen sagen, das kommt halt auch irgendwie auf den Job an. Wenn ich jetzt die persönliche Referentin vom Bürgermeister bin, der gerade in der Wahlkampfphase ist, dann habe ich ganz sicher andere Arbeitszeiten als wenn ich im Einwohnermeldeamt sitze. Und ich weiß nicht, wie kann ich mit Stereotypen hier um mich werfen. Aber es kommt auch auf den Job und auf die Verantwortung und natürlich dann auch noch auf die Bezahlung an. Das muss man alles sehen, aber auch. Da muss ich wieder betonen, da gibt es keine Pflichten des Arbeitgebers. Aber es gibt auch die Pflicht, finde ich, des Arbeitnehmers in der persönlichen Lebensgestaltung dafür zu sorgen, dass das einigermaßen funktioniert. Und das ist auch ein bisschen der Beobachtung, darf ich jetzt sagen, als sehr lange im Beruf Seiende mittlerweile. Ich sehe schon so ein bisschen die Tendenz, dass es dazu kommt, dass eigentlich ganz viel dem Arbeitgeber so ein bisschen aufgebürdet wird, für was der so alles verantwortlich ist. Ich finde nicht, dass der Arbeitgeber für private Lebenssituationen primär verantwortlich ist. Auch nicht. Also es ist wichtig, und jeder will, dass seine Mitarbeiter glücklich sind. Aber das muss schon erst mal die Privatperson, finde ich, hinkriegen. Also irgendwie muss man da auch gute Grenzen setzen. Was sonst ist es? Es ist schwierig, aber ich weiß genau, so mancher, der jetzt hier zuhört. Und wird sagen: Was reden die da? Das ist natürlich. Und so weiter. Man muss, finde ich, überlegen, wer ist für was verantwortlich, in welcher Sphäre entsteht es hier? Und man muss schon arbeitende Menschen, die in der Regel erwachsen und volljährig sind, auch davon ausgehen dürfen, dass die auch eine Selbstverantwortung tragen und dass die auch gerecht werden. Das, finde ich, muss man auch als Arbeitgeber erwarten dürfen.

Tobias Göpel: Meine Abschlussfrage geht auch mehr in die Richtung lebenslanges Lernen. Welche Kompetenzen werden für mobiles Arbeiten wichtiger, und wie kann aus Ihrer Sicht eine geeignete Weiterbildung aussehen?

Josephine Hofmann: Also, wenn man generell sagt, dass in diesen idealisierten Arbeitswelten, wo viel über Distanz und mit diesen Medien gearbeitet wird, ist sicherlich ein erweitertes Maß an Medien- und Kommunikationskompetenz erforderlich. Und es ist eben nicht nur: Ich kriege Teams an, sondern ich weiß auch, dass die Moderation eines Team-Meetings einer anderen Logik und vielleicht einer anderen Dynamik gehorcht als ein normales Meeting. Also nicht nur bedienen, sondern auch wirklich damit umgehen und befriedigende soziale Situationen schaffen. Ich glaube, man muss sich schon natürlich auch überlegen, was ist mein eigenes Medienverhalten ist gerade auch für Führungskräfte zum Beispiel extrem wichtig. Noch mal das Thema Ansprechbarkeit: Wie mache ich das eigentlich selber? Oder mache ich darauf, dass alle halt immer nur zu mir kommen? Und so weiter. Medienkonsum nicht. Aktionsfähigkeit, glaube ich, ist extrem wichtig, aber eben auch die Fähigkeit, das wirklich ist. Eine ganz große, der übergeordneten Kompetenz, sich gemeinsam über die Form von Arbeits- und Kommunikationsbeziehungen Gedanken zu machen. Also dieses Thema Verantwortlichkeit und so das gemeinsame Arbeiten an der Arbeit, da eine Bereitschaft und auch mehr Zeit mitzubringen und sich darauf auch einzulassen, das ist, glaube ich, auch etwas, was wichtig ist. Das ist keine klassische Kompetenz, aber es ist etwas, was wir sehen, was in Zukunft auf jeden Fall noch erforderlich sein wird. Und natürlich Selbstmanagementkompetenzen und all das, was wir eigentlich schon angesprochen haben.

Tobias Göpel: Mobiles Arbeiten ist gekommen, um zu bleiben. Liebe Frau Hofmann, vielen Dank für Ihre Zeit und Ihre Einblicke zu diesem Thema. Liebe Zuhörende, das war unsere Folge zum mobilen Arbeiten mit Josefine Hofmann vom Fraunhofer Institut für Arbeits, Wirtschaft und Organisation. Sie ist auch die Autorin der Studie "Mobile Arbeit der Sozialpartner". Den Link zur Studie finden Sie auch in den Shownotes zu dieser Episode.

 

 

 

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Wolfgang Höfling: Also die Vorgehensweise, die ich eben beschrieben habe, hat ihre klaren Grenzen. Wir glauben, dass wir darüber hinaus an der Seite einer sogenannten sicherheitsförderlichen Unternehmenskultur arbeiten müssen. Ich kann es nur an meinem Beispiel erklären. Wir glauben, dass das Sicherheitsbewusstsein durch mehrere Faktoren beeinflusst wird, die sowohl technische als auch organisatorische Aspekte umfassen. Ich denke, das ist sehr gut nachvollziehbar, dass das Verhalten der Führungskräfte eine große Rolle spielt für das Verhalten der Mitarbeiter. Wenn sich Führungskräfte vorbildlich verhalten und sich in Zielkonflikten für die Sicherheit oder sichere Vorgehensweisen entscheiden, beeinflussen sie ihre Mitarbeiter sehr positiv. Durch Kommunikation in Richtung sicheres Verhalten haben wir sicherlich schon mal einen Pluspunkt. Aber es gibt noch andere Aspekte der Kultur, die eine große Rolle spielen. Hier kommen die Teams ins Spiel. Wir glauben, dass das Verhalten auch durch die Normen und Regeln beeinflusst wird, informelle Normen und Regeln, die in einem Team herrschen. Eine Strategie zur Entwicklung einer sicherheitsförderlichen Kultur besteht darin, auf die informellen Regeln in einem Team Einfluss zu nehmen.

Tobias Göpel: Die informellen Teams. Ich habe jetzt einen Produktionsbetrieb vor mir mit verschiedenen Schichten. Das sind für mich dann verschiedene Teams, die jeweils ihre eigenen informellen Regeln haben. Und jetzt brauche ich auf einer gewissen Metaebene Normen oder Vorgaben zu dieser Sicherheitskultur. Wie kann ich mir das vorstellen? Wie kann man darauf Einfluss nehmen?

Wolfgang Höfling: Also einerseits gibt es die offiziellen Regeln, Normen, Vorschriften usw., die sicherlich einen Einfluss auf die informellen Regeln und Normen in einem Team haben. Es gibt jedoch unter der Wasseroberfläche Regeln, die sich in einem Team eigenständig bilden und die Aussagen darüber machen, wie man etwas an einem Arbeitsplatz erledigt, wie man es tut, wie man es macht. An diese Normen oder diese Regeln kommt man nur über Kommunikation. Sie benötigen ausführliche Sicherheitsgespräche, um darauf einzugehen. Sie benötigen Führungskräfte, die sich wirklich mit den Teams über solche Dinge austauschen. Sie benötigen Teamgespräche, in denen solche Diskussionen stattfinden können. Was wir vorschlagen, ist, dass Teams wenigstens ein- oder zweimal jährlich eine Diskussion darüber starten, wie die gelebte Sicherheitskultur aussieht. Wie verhalten sich Führungskräfte? Wie verhalten wir uns im Team? Werden die Werte der Sicherheit von allen im Team geteilt? Wie sieht die Kommunikation im Team konkret aus? Sprechen wir uns im Team über kritisches Verhalten und kritische Situationen an? Sichern wir uns gegenseitig? Haben wir eine Kultur, in der diese Ansprache, diese Kommunikation als kollegial empfunden wird und nicht als belehrend? Das sind Fragen, die in den Teams diskutiert werden sollten, wenn wir versuchen, eine Sicherheitskultur zu entwickeln. Nur über diese Ansprache der informellen Regeln im Team lässt sich tatsächlich Verhalten und Bewusstsein beeinflussen.

Tobias Göpel: Nochmal eine konkrete Frage dazu: Ich habe die Schicht mit dem Schichtführer. Für mich ist das eine Führungskraft am anderen Ende. Ganz oben gibt es den Werkleiter, und dazwischen sind sicherlich noch ein oder zwei Ebenen, je nachdem, wie groß der Betrieb ist. Wenn ich zentrale Vorgaben für eine sicherheitsförderliche Unternehmenskultur habe, ist das für mich wie der sichtbare Teil des Eisbergs, an dem sich alle orientieren können. Spätestens beim Schichtteam wird es dann mehr der unsichtbare Teil unter der Wasseroberfläche. Wie kann ich als Führungskraft dort Einfluss nehmen? Denn die Führungskraft im Schichtbetrieb ist für mich ein Teil der Schicht und gegebenenfalls Teil des Problems. Wenn es eines gibt, muss die übergeordnete Führung schauen, wie sie da steuert. Hospitiert sie? Läuft sie mit? Oder wie bekommt sie Informationen darüber, dass es gegebenenfalls Änderungsbedarf gibt?

Wolfgang Höfling: Generell versuchen Führungskräfte, Einfluss zu nehmen. Sie versuchen, dies durch vorbildliches Verhalten zu erreichen. Dazu führen sie ausführliche Führungskräfteschulungen durch, um das Bewusstsein und Verhalten der Führungskräfte zu beeinflussen. Was wir empfehlen, ist, ein- oder zweimal im Jahr in einem Team eine Art Assessment durchzuführen, das eine Bewertung der Sicherheitskultur im Team ermöglicht. Das Team erstellt ein Bild der Sicherheitskultur, indem bestimmte Handlungsfelder befragt werden, sowohl von einem Führungskräfteteam als auch von einem Mitarbeiterteam. Die Ergebnisse der Befragung können verglichen werden, und dabei wird deutlich, dass sowohl die Führungskräfte als auch die Mitarbeitenden in ihrer Einschätzung übereinstimmen. Man kann jedoch auch Unterschiede in der Beurteilung der Kultur erkennen. Diese Unterschiede werden diskutiert, und es wird überlegt, wo die Kultur steht. Befinden wir uns eher reaktiv oder proaktiv? Wo sehen wir Handlungsbedarf? Wo müssen wir uns weiterentwickeln, um unser Bewusstsein und Verhalten zu verbessern?

Tobias Göpel: Wenn in meinem Betrieb alles rund läuft und es keine Arbeitsunfälle gibt, könnte ich ja sagen: "Was soll ich damit? Brauche ich nicht, läuft ja alles." Sehen Sie das genauso oder sehen Sie das anders?

Wolfgang Höfling: Also ich habe ja mitunter, oder ich arbeite hier für ein Unternehmen, in dem das genau zutrifft, was Sie gerade sagen. Schauen Sie sich die offizielle Unfallstatistik an, dann sind Sie weit von der Zahl entfernt, die Sie ganz eingangs genannt hatten, die, die von den Berufsgenossenschaften bundesweit festgestellt wird. Wenn man aber das Ganze sieht wie einen Eisberg oder ein Eisbergmodell, dann haben Sie zwar oben einen kleinen Peak, der aus dem Wasser herausschaut und der die möglichen Unfälle mit Ausfallzeiten anzeigt. Sie haben aber unter der Wasseroberfläche eine Menge an kritischen Situationen oder Unfällen, Dinge, die durch Glück noch mal gut gegangen sind. Von diesem Geschehen können Sie nur bedingt Informationen erhalten. Also das, was versucht wird, um in der Kultur weiterzukommen, auch wenn scheinbar der Betrieb unfallfrei ist oder das Unternehmen unfallfrei ist oder nur wenige Unfälle aufweist, ist, dass man versucht, die kritischen Situationen zu betrachten und aus ihnen zu lernen und das systematisch auch zu tun. Auch da haben wir wieder übrigens eine Kulturfrage. Denn dahinter steckt die Frage: Wie gehen wir mit Fehlern um? Wie sieht unsere Fehlerkultur aus? Wie offen können wir uns zu den Fehlern bekennen, die zu kritischen Situationen führen? Wie ist die Kultur? Wie ist das Klima gestaltet, so dass Mitarbeitende ohne Angst vor Sanktionen oder ohne Angst vor Bloßstellung offen über diese Dinge sprechen können?

Tobias Göpel: Das ist ein guter Punkt. Führungskraft bin ich im Zweifel auch haftbar für unschöne Entwicklungen im Betrieb. Also muss es ja mein Interesse sein, das, was unter der Oberfläche brodelt, irgendwie zu erfahren, zu bekommen. Sie haben das vorhin angesprochen, dass man dann Mitarbeitende befragt, Führungskräfte befragt, guckt, wo das Ergebnis oder der GAP ist und wie man dann letztendlich damit umgeht. Aber wie so Ihr grundsätzliches Vorgehen? Also ich möchte das wissen. Ich möchte ehrliche Antworten haben von Mitarbeitern, dass sie keine Angst haben, dass da Repressalien passieren, das andere, aber auch. Wer fragt, bekommt Antworten. Was mache ich dann damit? Wie geht denn der nächste Schritt weiter, wenn die Ergebnisse vorliegen? Ich merke jetzt Handlungsbedarf.

Wolfgang Höfling: Zunächst einmal: Das Vorgehen sieht so aus, dass wir mit den Führungskräften im Führungskräftekreis diese Kulturfragen erst mal grundlegend diskutieren, also aufwerfen und diskutieren und ein Führungscommitment bekommen, dafür diese Kultur zu öffnen. Wobei in der Regel Ihnen jede Führungskraft sagen wird: "Wir haben eine offene Fehlerkultur, und bei uns kann man alles sagen. Frei raus, da passiert schon nichts." In der Regel sehen das die Mitarbeiter anders. Also der erste Schritt ist, dass wir in der Regel mit Workshops arbeiten, wo wir im Führungskräftekreis diese Kulturthemen, eben auch die Fehlerkultur, thematisieren. Auf der anderen Seite arbeiten wir instrumentell. Wir haben Methoden entwickelt, mit denen sich kritische Ereignisse sehr einfach analysieren lassen. Wir raten in der Regel dazu, dass diese Ereignisse nicht nur von Fachleuten oder alleine von Fachleuten analysiert werden, sondern dass das eine Team-Aufgabe wird, dass in den Teams mithilfe von einfachen Methoden die kritischen Situationen auch besprochen werden, so dass die Teams direkt auch daraus lernen können und so, dass auch der Betrieb daraus lernen kann. Also am weitesten sind wir da, wo Teams anonym kritische Ereignisse analysieren können und diese Learnings dem Betrieb verfügbar machen.

Tobias Göpel: Kommunikation haben Sie jetzt schon mehrfach angesprochen. Auch im Vorfeld haben wir schon darüber unterhalten, und da fiel auch öfter mal der Begriff "Narrative."

Wolfgang Höfling: Narrative spielen eine sehr, sehr große Rolle. Narrative sind Erzählungen, die wir bewusst oder unbewusst teilen, die unserem Leben einen Sinn geben, unserem Tun, unserem Arbeiten einen Sinn geben oder werden sehr wirkmächtige Narrative, die in unser Feld reinspielen. Ich habe da einfach ein Beispiel: Wenn ich in Führungsebenen gehe, dann gibt es so eine Standardfrage, die so versteckt irgendwann auftaucht, und die Standardfrage lautet: "Warum ist es wichtig? Warum ist Sicherheit für eure Firma, für euer Unternehmen, für euch selbst? Warum ist es wichtig?" Und die Antworten spiegeln die Narrative. Eine typische Antwort ist: "Ja, das ist ein wichtiger Punkt. Denn unsere Firma, unser Unternehmen, kann Geld sparen bei der für Sie, bei den Beiträgen, die Sie zur Unfallversicherung entrichtet. Je weniger Unfälle, desto mehr Geld spart, oder?" Manchmal bekomme ich die Antwort: "Ja. Dem Unternehmen ist das eben wichtig. Also ich werde von dem Unternehmen bezahlt, also mache ich das, auch wenn ich diese nicht unbedingt einsehe." Oder mir ganz schlimme Erzählung ist, wenn mir erzählt wird: "Ja, unser Vorgesetzter, unser Betriebsleiter, den mache ich ziemlich gern. Und der kriegt einen Eindruck, wenn der mal einen Unfall melden muss. Das möchte ich nicht." Also dann schauen wir, dass wir hier sicher arbeiten, dass da nichts passiert. Das sind solche Narrative, und Narrative haben einen riesigen Einfluss auf unser Verhalten, weil sie unser Bewusstsein prägen. Und die Narrative, mit denen ich zu tun habe, die würden wir klassifizieren. Die gehören zu einer sogenannten reaktiven Kultur. Also ich mache etwas, ich verhalte mich sicher, oder ich halte die Sicherheitsvorschriften ein, oder ich debattiere keine Sicherheitseinrichtungen, ich trage meine PSA. Ich mache das, weil es von mir gefordert wird. Ich mache es reaktiv. Und wie ich eingangs gesagt habe, ich mache es aus einer extrinsischen Motivation. Und wir sind der Auffassung, Sie können ein Chemiewerk, das eben diese gefährlichen Anlagen betreibt oder nicht, auf Dauer sicher betreiben, mit Menschen, die sich in einem solchen reaktiven Bewusstsein befinden, die die Dinge aus extrinsischer Motivation heraus erledigen, die nicht verstanden haben, dass man eine chemische Anlage mit hohem Gefährdungspotenzial nur betreiben kann, wenn alle Mitarbeitenden, alle Beschäftigten in dieser Anlage Sicherheit als wirklich an allererster Stelle sehen und sich jeder auch als Sicherheit stiftende Person oder als Sicherheitspersonal empfindet und so agiert und so handelt. Da spielen die Narrative eine große Rolle.

Tobias Göpel: Was wäre denn aus Ihrer Sicht ein positives Narrativ, das sich lohnt, auch wirklich nach vorne hin zu hängen für das Unternehmen?

Wolfgang Höfling: Also das Narrativ, was wir uns wünschen würden, wäre ein Narrativ, wo die Mitarbeiter sagen: "Wir sehen uns selbst als professionelle, sichere Macher, die dazu beitragen, dass wir selbst sicher sind, dass unsere Kollegen sicher arbeiten können, dass unsere Nachbarn sicher sind. Und das hängt von unserem eigenen professionellen Tun ab. Sicherheit ist ein Teil unserer Profession." Das wäre das Narrativ, was wir uns wünschen.

Tobias Göpel: Jetzt habe ich das neue Narrativ, was ich mir wünsche. Aber Sie haben jetzt auch Narrative in der Vergangenheit schon gesagt. Eher nicht so schöne, die sich wahrscheinlich in der Regel festgesetzt haben. Wir machen das, weil es kostet uns Geld, oder? Dieses paternalistische, was Sie angesprochen haben, wie kann ich jetzt bestehende Narrative aufbrechen, die dem Ziel dieser neuen Unternehmenskultur entgegenstehen?

Wolfgang Höfling: Schwierige Frage. Ich versuche, sie zu beantworten. Ja, was wir? Ich kann Ihnen sagen, was wir sehr praktisch tun. Also Narrative lassen sich im Sturmangriff nicht verändern. Im Gegenteil. Narrative sind Sinngebungen. Und deswegen geben sie mir innerlich eine Sicherheit. Ich kann nicht einfach aus der Erzählung aussteigen, die mir Sicherheit gibt. Insofern verteidige ich sie. Und der Sturmangriff führt dazu, dass ich mich in einer Abwehrhaltung, in eine Abwehrposition begebe. Also was wir versuchen ist, dass wir über Sicherheitskultur aufklären, dass wir mit den Leuten unterschiedliche Stufen der Sicherheitskultur diskutieren. Und wenn wir auf dieser Leiter, so nennen wir das, der Leiter der Kultur, agieren, dann kann man sehr schön deutlich machen: Wie tun wir die Dinge, die notwendig sind, um Sicherheit zu gewährleisten? Wie tun wir sie in einer reaktiven Kultur, beispielsweise? Wie sieht eine Unterweisung aus in einer reaktiven Kultur? Oder wie erledigen wir eine Gefährdungsbeurteilung? Und das machen wir in der reaktiven Kultur nur, wenn wir dazu gezwungen werden, wenn es Audits gibt. Wie sieht es in der proaktiven Kultur aus? Dann machen wir das aus eigener Motivation. Wir sind intrinsisch motiviert, wir sehen ein, dass wir uns damit schützen. Das ist ein notwendiger Teil unserer Arbeit. Also da gibt es unterschiedliche Qualitäten. Und genauso gut können Sie fragen: Wie erzählen wir denn? Oder: Wie sprechen wir über Sicherheit? Sehr viel einfacher. Wie sprechen wir über Sicherheit in einer gleichgültigen Kultur, in einer reaktiven Kultur, in einer proaktiven Kultur oder auch in einer sogenannten wertschöpfenden Kultur? Das hilft dabei zu erkennen: Wie sind denn die Erzählungen, in denen ich mich bewege, die mein Bewusstsein beeinflussen, als Mitarbeiter? Und möchte ich eigentlich die Dinge so erzählen, wie ich auf dieser Stufe, auf einer reaktiven Stufe beispielsweise, bewege? Viele werden Ihnen sagen: "Nein, nein, wir wollen präventiv handeln, wir wollen proaktiv sein." Und dann ist die Frage: Wie sieht denn die Erzählung aus? Wie sollen wir uns die Dinge erzählen? Wie wollen wir über Sicherheit sprechen in der Kultur, die wir anstreben? In dieser proaktiven Kultur.

Tobias Göpel: Kann das eine Führungskraft leisten oder bräuchte ich da im Zweifelsfall eine externe Person wie Sie oder vielleicht sogar eine extra geschaffene Stelle im Betrieb, die genau solche Sachen übernimmt?

Wolfgang Höfling: Genau. Also das ist eine Vorgehensweise, die auch im Coaching angewendet wird. Wir sind auf die Führungskräfte angewiesen, das muss ich deutlich sagen. Also wir brauchen die Führungskräfte, die diese Diskurse, die diese Kommunikation auch betreiben. Ich möchte jetzt vielleicht etwas weiter ausholen, aber ich muss mal einen kleinen Schlenker machen. Also in jeder guten Führungsausbildung und in jedem guten Führungsseminar lernen Sie, dass Führung mehr als nur Management bedeutet. Es geht nicht nur um organisieren, planen, koordinieren und Dinge auf den Weg bringen sowie Prozesse klären. Es hat auch etwas mit Coaching zu tun. Als Führungskraft muss man für Kommunikation sorgen, informieren, Mitarbeiter einbinden und Aufgaben, Verantwortungen sowie Mitarbeiter delegieren. Sie lernen also eine bestimmte Form der Kommunikation, die Sie befähigt, Gespräche zu führen, auch indirekte Gespräche. Auf jeden Fall, wenn Sie an einem Führungsseminar bei mir teilnehmen würden, dann würden Sie das lernen. Und bei der Kulturentwicklung ist das ein Teil der Führungskräfte-Ausbildung. Möchte aber noch mal ganz kurz auf das Narrativ zurückkommen. An sich ist das Schöne an dem Narrativ, dass es erreichbar ist durch ein Umdenken an meiner Stelle. Oder wenn Sie meine Erfahrung teilen, dann wird Ihnen oft gesagt: "Das ist alles wunderbar und schön. Aber jetzt haben wir die x-te Aktion, den nächsten Aktionsplan und die nächste aufwändige Maßnahme, für die wir überhaupt keine Ressourcen haben." Um deutlich zu machen, wie unser Narrativ aussieht, die Erzählung, in der wir uns bewegen, und welchen Einfluss sie auf unser Bewusstsein und Verhalten hat, ist ein Erkenntnisprozess. Den können wir in einem Gespräch erreichen, in dem wir darüber sprechen, wie man eine vernünftige Erzählung entwickelt, die uns voranbringt, die uns hilft, innerlich motiviert zu sein. Die uns stolz macht, weil wir Profis im Umgang mit Risiken sind. Wenn uns das bewusst wird, wie sähe denn eine solche Erzählung aus? Der Aufwand besteht in einem Umdenken. In einem Gespräch geht es darum, die Dinge einfach anders zu denken, neu zu denken. Das funktioniert in der Regel und kostet wenig Ressourcen.

Tobias Göpel: Was mich dann zu dem Ende des Prozesses bringt: Ich erkenne den Bedarf, habe die Mitarbeitenden mitgenommen, die Gespräche geführt. Aber KPIs als Erfolgsmeldung, das ist ja aus der Wirtschaft nicht wegzudenken. Kann man das messen? Wie kann man messen, dass ich Erfolg hatte bei einer solchen sicherheitsfördernden Unternehmenskultur?

Wolfgang Höfling: Also Sie können sicherlich nicht direkt eine Korrelation herstellen zu den Statistiken, den Zahlen, den sogenannten Inzidenzen, den kritischen Situationen usw. Sie könnten eventuell eine zeitliche Korrelation aufweisen. Aber was wir machen ist das – ich hatte Ihnen ja berichtet, dass wir eine Methode verwenden, wie wir Sicherheitsvorrichtungen mitnehmen. Das beinhaltet eine Selbsteinschätzung der Sicherheitskultur, bei der Führungskräfte, Teams und Mitarbeiter die Kultur anhand von 36 unterschiedlichen Aspekten bewerten. Sie können das natürlich vergleichen, periodisch vergleichen. Wie wird die Kultur Anfang 2023, im Sommer 2023, im Dezember 2023 oder im Frühjahr 2024 bewertet? Welche Veränderungen gibt es in der Bewertung der Kultur? Darüber führen wir Buch. Wir haben eine Statistik. Wir können die Zahlen vergleichen. Sie können also eine Veränderung der Kultur durchaus bewertbar oder messbar machen. Dafür haben wir Parameter. Aber ich würde lügen, wenn ich Ihnen sagen würde, wir könnten direkte Rückschlüsse ziehen oder eine direkte Korrelation zu den Unfallzahlen herstellen. Im günstigsten Fall, und das beobachten wir, gibt es starke Beeinflussungen. Aber das sind Schätzwerte. Ich kann Ihnen das nicht statistisch nachweisen.

Tobias Göpel: Vielen Dank für Ihre Zeit und das Gespräch. Ich hoffe, dass wir jetzt auch da draußen ein paar Führungskräfte erreicht haben, die jetzt Interesse daran haben und sich mehr mit dem Thema beschäftigen werden.

Wolfgang Höfling: Vielen lieben Dank, Herr Göbel. Vielen Dank für die Chance, hier sprechen zu dürfen. Das habe ich sehr gerne gemacht. Vielen Dank!

Tobias Göpel: Liebe Zuhörende, das war eine weitere Folge von "Wir hier". Zu Gast war Dr. Wolfgang Höfling, Berater und Coach für eine sicherheitsfördernde Unternehmenskultur. Wir haben über Narrative für mehr Sicherheit am Arbeitsplatz gesprochen. Wenn Sie Fragen, Hinweise oder sogar Lob haben, dann mailen Sie mir an Podcast@wir.hier.de. Vielen Dank und bis bald! Ihr Tobias Göbel.

Industrie-Beschäftigte mit Helmen. Foto: sittinan

Die chemische Industrie befindet sich in der Transformation. Wie verhindert man, dass die Menschen in den Betrieben sich dabei abgehängt fühlen? Die Kommunikationsberaterin Andrea Montua erklärt, worauf es für Unternehmen in der internen Kommunikation ankommt.  
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Tobias Göpel: Die chemische Industrie befindet sich in der Transformation. Das wirtschaftliche und politische Umfeld führt zu Herausforderungen, die vor wenigen Jahren noch undenkbar erschienen. Über Wandel, Unternehmenskultur und wie man die Menschen in den Betrieben dabei an Bord hält, spreche ich heute mit Andrea Montua. Sie ist Gründerin und Geschäftsführerin der Beratung MontuaPartner Communications in Hamburg, eine der ersten Agenturen, die sich auf interne Kommunikation spezialisiert haben. Hallo Andrea, schön, dass du da bist.
Andrea Montua: Guten Morgen. Freut mich. Hallo.
Göpel: Wir haben uns ja das erste Mal gesehen auf dem diesjährigen Barcamp Chemie, bei dem du uns begleitet hast. Das Thema war „Den Laden zusammenhalten“. Es ging um interne Kommunikation in Zeiten der Transformation. Du hast begonnen mit der Aussage: Die Zeiten sind wild, auch für Kommunikatoren. Was meinst du damit?
Montua: Ich fange mal vorne an. Wir sind jetzt fast 20 Jahre am Markt unterwegs und wenn ich mir anschaue, was so die letzten Jahre gebracht haben, dann ist das eine Veränderungsgeschwindigkeit und auch ein Veränderungsdruck, der ist schon enorm und das hat natürlich die Herausforderungen für Kommunikation einfach ziemlich massiv erhöht. Also wir brauchen ganz andere Skills, wir brauchen eine andere Resilienz, um gleich noch ein zweites Wort in den Raum zu werfen, was wir alle kennen. Und ja, wir müssen uns mit völlig neuen Themen auseinandersetzen und ich finde das manchmal ganz schön wild.
Göpel: Es ist ja meistens so: Wenn eine Krise kommt, wird geguckt, wo gespart wird. Die Kommunikation ist auch mit davon betroffen. Was kann Kommunikation im Change-Prozess bewirken? Also warum lohnt es sich dann, in diese verschiedenen Skills zu investieren?
Montua: Wie viel Zeit hast du? Also ich würde da gerne zitieren aus der Gallup-Studie. Jedes Jahr werden Unternehmen und die Mitarbeitenden in Unternehmen befragt, wie sie sich fühlen und wie sie eigentlich angedockt haben an der jeweiligen Organisation. Und die Zahlen, die verbessern sich nicht, sondern die verschlechtern sich eher. Die Mitarbeitenden sagen: Ich bin überhaupt nicht mehr so richtig dabei. Und wenn man das in Zahlen ausdrückt, dann sind da ganz viele Nullen dabei, wenn es darum geht, welchen Schaden das in den Organisationen anrichtet. Also sprich wenn wir nicht in Kommunikation, in Führung investieren, dann haben wir auf der einen Seite direkte Kosten, weil wir vielleicht uns mit anderen Themen auseinandersetzen müssen, neu antworten müssen, weil wir vielleicht Projekte nicht erfolgreich beenden können. Wir haben aber vor allem auch langfristige Kosten, wenn einfach demotivierte Mitarbeitende dabei herauskommen, die zwar dabei bleiben, aber die vielleicht einen Job machen und uns damit in Schwierigkeiten bringen.
Göpel: Gibt es in der Studie auch Hard Facts? Nach dem Motto: Einen Mitarbeiter zu halten kostet nur 2.000 Euro, einen zu verlieren kostet 6.000 Euro mit dem Recruiting-Prozess.
Montua: Da muss ich fast lachen über die Formulierung „Gibt es da denn auch Hard Facts oder ist das alles so weichgespült?“ So würde ja der Satz sozusagen weitergehen. Das ist nämlich das, was wir Kommunikatoren oder auch die HR-Kollegen ganz oft ja in dem Unternehmen erleben, dass sie sozusagen nach harten Fakten gebeten werden, Ausschau zu halten. Dabei empfinde ich die Rate an Fluktuation oder die Krankheitsrate oder eben solche Zahlen wie die Mitarbeitenden arbeiten, nine to five oder vielleicht überhaupt nicht mehr engagiert und motiviert, die empfinde ich als ganz schön hart. Es gibt das nicht runtergebrochen auf den einzelnen Mitarbeiter. Das wäre so, als wenn du zum Arzt und sagst: Mensch, mir tut der Kopf weh. Sagen Sie mir doch mal die eine Diagnose. Jetzt ist würde der sagen: Nee, das kann ich nicht, weil ich muss jetzt erst mal ein paar Fragen stellen. Und genau das tun wir auch, wenn wir in die Organisation gehen: Erst mal ein paar Fragen stellen. Woran liegt denn das? Vielleicht: Das Engagement hat nicht so, dass das bei Führung gerade ein Thema ist, dass nicht so motiviert gearbeitet wird. Also es gibt nicht die eine Lösung und deswegen kann man auch nicht die eine Zahl benennen und sagen: Also wenn Mitarbeitende nicht so richtig dabei sind, dann sind das 25.000 Euro. Die gibt es nicht.
Göpel: Na gut, aber KPIs mit Fluktuation, Krankheit, Schaden hast du ja schon genannt. Aber du sagst ja auch, dass Kommunikation nicht allein betrachtet werden kann, sondern eine deiner Thesen ist ja, dass der ganzheitliche Wandel nur dann gelingt, wenn die Bereiche Struktur, Führung, Kommunikation von Beginn an mitgedacht werden. Was genau kann ich mir darunter vorstellen?
Montua: Na ja, es hilft wenig, wenn wir und da sind wir dann wirklich bei dem weichgespülten, wenn wir uns nur das Feld Kommunikation angucken und vielleicht sagen: Kommunikation ist der alles rettende Faktor im Veränderungsprozess, in der Krise oder auch im Alltag. Das ist falsch, also da dürfte mich dann jeder CEO auch gerne wieder vor die Tür setzen. Es ist natürlich ein Konglomerat aus verschiedenen Faktoren und all die Faktoren, die du genannt hast, sind diejenigen, die dafür sorgen, dass eine Organisation erfolgreich sein kann. Das heißt, wenn wir reinkommen, man könnte jetzt erst mal sagen, na ja, mit Kommunikatoren, aber das ist gar nicht so, sondern ich habe BWL als Hintergrund. Bei uns haben viele Organisationsentwicklung, Ausbildung und viele andere kommen aus ganz anderen Feldern und gucken sich die Organisation dann strukturell an. Also da gibt es ganz, ganz viele Facetten, die wir einbringen, wenn wir in Organisationen gucken und uns diese verschiedenen Themenfelder anschauen. Und da sind eben solche Sachen wie Struktur, wie Führung, wie Kommunikation. Aber ich mache jetzt mal dieses Buch auf, die Altlast auch ein Riesenthema. Das heißt, eine Organisation, die schon durch fünf Jahre Prozesse gegangen ist, die vielleicht nicht so gut gelaufen sind, die musst du anders begleiten in einem Veränderungsprozess. Und dann musst du andere Themen aufmachen, andere Fragen stellen. Anders mit dem CEO arbeiten oder ihn anders positionieren als in einer Organisation, wo bisher alles super lief und jeder Change-Prozess war gut begleitet. Es gab vielleicht noch gar keinen großen, der jetzt auch irgendwie Wunden hinterlassen hat. Das sind alles Facetten, die du aufmachen musst und da siehst du schon, unser Feld ist halt eben nicht nur Kommunikation, sondern du bist ganz, ganz schnell bist du in einem Feld wie Neurowissenschaften, Psychologie, dann natürlich alles, was sich rund um das Feld Herz dreht, Führung. Also es sind so viele Themen, die da mit reinspielen und das macht es so komplex und hochspannend.
Göpel: Weil du Themen wie einen kurzen Exkurs Change ansprichst: Ich habe Pädagogik studiert mit Personal-, Organisationsentwicklung als Schwerpunkt, in Hamburg sogar. Und es gab Studien, die festgestellt haben, wenn man einfach mal die Wandfarbe verändert, hat das schon einen Effekt auf die Menschen, dass sie plötzlich anders arbeiten. Das ist dann zeitlich nicht so langfristig, aber es gab den Effekt. Also unterscheiden wir mal oder unterscheidest du zwischen Change, also ich sag mal leichten Veränderungen, Stichwort angemalte Wand – und Transformation, wo es also um wirklich strukturell umgreifende Geschichten geht? Also wie definierst du dann Change für dich oder Transformationsprozess?
Montua: Also es ist spannend, du machst wirklich so viele Felder auf, die wirklich auch in den Köpfen vieler Leute drin sind. Es ist halt der kleinere Veränderungsprozess, der spürbar ist für jemanden, der aber eben nichts Transformative hat. Wenn wir jetzt mal bei uns selber anfangen, es ist immer schön, so von sich selbst in das große Ganze, in Organisation oder die Gesellschaft, dann würden wir ja auch nicht sagen, wir transformieren uns, wenn wir einen kleinen Umzug haben, wenn wir in der Großstadt ziehen, von einer Kleinstadt und die Großstadt vielleicht plötzlich in Südamerika liegt und nicht in Deutschland, dann kann man vielleicht schon davon ausgehen, dass eher was Transformative passiert, weil das wird was mit mir machen auf ganz anderen Ebenen. Also deswegen, das Transformative verändert auf allen Ebenen im Normalfall und zieht wirklich auch eine große Verhaltens- und Strukturveränderung nach sich in den Organisationen. Das heißt, da bleibt kaum ein Stein auf dem anderen. Das Domino-Prinzip, das eine setzt das andere in Gang. Ein Change kann die angestrichene Wand sein, kann aber zum Beispiel auch das neue Intranet sein. Ist das neue Intranet ein in Anführungsstrichen kleiner Trend, der aber den großen Transformationsprozess Digitalisierung begleitet? Das ist so vom Kleinen ins Große und das kann ich vorher nicht sagen. Aber wenn mich jemand anruft, ein Kommunikationschef und sagt, wir wollen ein neues Intranet einführen, dann habe ich noch nicht im Hinterkopf, ob das ein Zentrum der Transformation ist und dann fragt man: Wie ist das eingebettet? Ist das Themenfeld Digitalisierung dabei? Welche Prozesse gab es noch so? Also daran siehst du schon, das ist so, wir denken so ein bisschen komplexer.
Göpel: Vielen Dank. Mein Postulat ist: Die Bereitschaft zur Veränderung ist ja meist minimal, außer der Leidensdruck steigt. Dass ich von meinem idyllischen Dorf dann doch in die Großstadt muss oder umgekehrt. Oder eine persönliche Leidenschaft treibt uns an, also die typischen Aussteiger, die sagen:  Ich verlasse jetzt Deutschland, ich gehe woanders hin. Also entweder Leidensdruck oder persönliche Leidenschaft. Wie kann man sich aber an Veränderung gewöhnen? Wie kann die Komfortzone überwunden werden, wenn der Leidensdruck und die Leidenschaft beide nicht so ausgeprägt sind, dass man Lust hat, sich zu verändern?
Montua: Oh, du machst so viele Felder auf. Also, das war toll. Du hast gerade sozusagen fürs Private das aufgemacht, was wir auch für das große Ganze mal aufmachen in den Organisationen, nämlich die Veränderungsformel. Und das ist entweder Leidensdruck. Das andere Wort, was da für uns mal mit reingehört, ist Vision. Du hast es jetzt als persönliche Leidenschaft gesehen. Wir sagen, es braucht eine Vision, also du brauchst Leidensdruck und Vision. Und dann brauchst du kleine, umsetzbare Schritte, damit wirklich Veränderung passiert. Das ist die Veränderung von dir. Wie können wir uns daran gewöhnen? Ich glaube, wir Menschen gewöhnen uns da nicht dran. Wir wollen möglichst wenig Energie aufbringen, um in irgendeinen anderen Zustand zu kommen. Das ist einfach so angelegt. Das heißt, grundsätzlich wollen wir das erst mal nicht. Und jetzt kommen aber die Punkte, die du gerade genannt hast. Wenn es meine Leidenschaft ist, umzuziehen, weil ich das cool finde, irgendwie neu, wenn man, um auch in dem Bild noch mal zu bleiben, neue Städte zu sehen oder was auch immer zu machen, dann kriege ich eine Energie, die ich brauche, um eben gegen dieses „Mein Körper will das eigentlich nicht und meine Psyche auch nicht“ etwas gegen setzen zu können. Und dann finde ich es wiederum gut. Das heißt, das müssen wir schaffen, wir müssen, wenn wir wollen, dass die Menschen sich verändern und gerne verändern, es für sie runterbrechen, warum es für sie persönlich spannend sein kann, in diesen Veränderungsprozess zu gehen. Und ehrlicherweise hilft dann nicht das Gießkannenprinzip. Also wir können nicht one for all nehmen und sagen Mensch, ist super, wenn die Wände jetzt plötzlich rosa sind, um im Bild zu bleiben, weil mindestens die Hälfte sagt: Rosa ist nicht meine Farbe. Was machen wir dann mit denen? Und deswegen ist es so wichtig zu gucken. Führung ist über die letzten Jahre, wo der Veränderungsdruck so zugenommen hat, immer individueller geworden. Das ist der Grund dafür, weil wir Menschen nur dann mitnehmen, begeistern, ja auch bei der Stange halten können. So, wenn wir sie da ansprechen, wo sie ihre Wünsche haben, also wo sie etwas brauchen, wo wir sie mitnehmen können. Und dafür muss ich das als Führungskraft natürlich erst mal wissen. Und natürlich, wir hatten auch über das Thema Komfortzone gesprochen, auch bei dem Barcamp. Und du hast es jetzt auch noch mal angesprochen. Was brauche ich, um aus meiner Komfortzone rauszukommen? Auch da brauche ich das. Warum? Also mir muss es jemand erklären. Es ist immer wichtig zu verstehen, warum soll ich mich überhaupt bewegen? Das können wir in der Kommunikation sehr gut, weil Kommunikation ist Energie. Und das Dritte ist: Es muss irgendwie zu meinen Leidenschaften passen. Also ich muss irgendwie danach mich besser fühlen als vorher. Und das muss eben geschafft werden. Deswegen ist Führung heute auch nicht mehr so einfach.
Göpel: Gehen wir mal zuerst auf die größten Hürden, weil du hast es gerade gesagt mit Farbe, gegebenenfalls die Wand rosa anmalen. Aber manchmal gibt es ja Notwendigkeiten im Betrieb, wo ich nicht fragen kann: Willst du ein rosa oder grün? Sondern das sage ich, das sind die Rahmenbedingungen und da müssen wir hin und daher werden dann halt Veränderungen im Betrieb selten bejubelt oder sofort umgesetzt, weil es heißt ja auch, dass zusätzlich Arbeit und Zeit investiert werden muss. Für Unternehmen, große und kleine, was sind aus deiner Sicht die größten Hürden, die bei allen irgendwie gleich sind?
Montua: Also ich würde gern erstmal zu diesem ersten Punkt noch was sagen, den du gerade angesprochen hast. Manchmal gibt es Dinge, die müssen gemacht werden. Ja, und zugleich wünscht sich jeder Mensch trotzdem, das Warum zu verstehen. Was nicht funktioniert in Veränderungsprozessen, ist, dass jemand sagt: Wir gehen jetzt nach links und los. Das funktioniert nicht mehr, weil ja auf der anderen Seite gerade allen Leuten versucht wird, beizubringen, dass sie unternehmerisch denken sollen, dass sie eigenverantwortlich handeln sollen, dass sie möglichst agil in die Projekte gehen sollen und dann jemand kommt und sagt: Ab jetzt geht's nach links. Selbst wenn es ein „Es geht gerade nicht anders, weil die Marktlage ist so oder unsere Zahlen sind schlecht“ oder was auch immer ist: Es braucht eben diese Offenheit und Transparenz. Das vielleicht einfach noch mal als Erklärung dazu. Wie kann man auch an dem Punkt sozusagen arbeiten? Das zweite, was du fragst, das ist der zweite Punkt. In dem Thema würden also Widerstände entstehen aus unterschiedlichen Facetten, die in einem Menschen passieren. Das kann Altlast sein. Also ich habe schon den Prozess erlebt, dass alles an die Wand gefahren wurde oder schlecht kommuniziert wurde. Dann habe ich auf den nächsten echt keinen Bock mehr und dann muss mir jemand mehr Energie da reingeben, damit ich aus diesem Widerstand, den ich dann habe, rauskomme. Wenn ich nicht verstehe, dann bewege ich auch nix, weil bevor ich was Falsches mache, das habe ich ja irgendwann mal gelernt, bewege ich mich dann lieber gar nicht, gehe ich in die Starre. Das ist dieser starre Widerstand, den man vielleicht auch ab und an mal kennt. Und das Dritte ist meine Persönlichkeit. Also wie bin ich selber strukturiert? Bin ich ein Unterstützer vom Typus oder bin ich eher jemand, der erst mal in einer abwartenden Position ist und ein bisschen mehr Infos braucht dazu und dann über andere vielleicht auch abgeholt wird? Oder bin ich vielleicht sogar ein Gegner? Es gibt viele Menschen, die einfach per se auch erst mal sagen: Nö, will ich nicht. Und all diese verschiedenen Varianten an Persönlichkeiten brauchen eben auch eine unterschiedliche Ansprache. Und die dürfen nicht unter- oder überschätzt werden. Wir tun gerne beides. Manchmal unterschätzen wir die Kollegen, manchmal überschätzen sie. Also deswegen, Widerstand kommt aus unterschiedlichen Ecken. Wenn wir mit Widerstand konfrontiert werden in den Organisationen, dann gucken wir uns immer erst mal an, wo kommt er her? Weil auch da gilt wieder: Ohne Analyse kannst du fast nur daneben liegen. Wir machen Interviews oder Fokusgruppen und fragen nach.
Tobias Göpel: Die Anforderungen an eine Führungskraft sind unwahrscheinlich gestiegen. Das hast du jetzt auch schon mehrfach gesagt. Das ist auch eine These von dir, dass Herausforderungen anders sind als noch vor zehn oder fünf Jahren. Kann das eine Führungskraft überhaupt schaffen? Also ich überspitzt mal wieder ein bisschen. Ich habe den BWLer, der die Zahlen kennt, der im Zweifelsfall dann sich da mathematisch durchhängt, Zusammenhänge sozusagen herstellt, wo andere schon längst ausgestiegen sind. Und ich habe den Chemiker, der die Formeln kennt und also alle sehr fachlich gut sind und dann aufgrund ihrer fachlichen Expertise dann eine Führungsverantwortung kommen und dann plötzlich Menschen führen sollen. Und jetzt sagst du: Hey, es gibt die und die und die verschiedenen Persönlichkeiten, auf die du eingehen muss, die musst du unterschiedlich ansprechen, die muss mitnehmen. Da gibt es den Change-Prozess. Parallel gibt es dann eine Überregulierung, es gibt wirtschaftliche Zwänge. Also als Führungskraft würde ich ja einfach sagen: Ihr könnt mich mal kreuzweise, ich habe keinen Bock mehr. Ich bin jetzt Aussteiger. Ich mache auf Malle irgendwie ein Reisebüro auf.
Montua: Also ehrlicherweise gibt es genau das. Reisebüro aufmachen weiß ich nicht, aber es gibt genug Kollegen, die sagen, also das mit der Geschichte, das jetzt hier ist nicht mehr meins, ich möchte bitte wieder woanders hin oder ich möchte ganz woanders hin. Und zugleich hast du natürlich total recht mit dem, was du sagst. Die Anforderungen sind hoch, die sind auch komplex und ich muss ein bisschen schmunzeln, als du es gerade aufgezählt hat, weil ich dachte ja, das ist genau der Grund, warum wir unseren dritten Bereich aufgemacht haben. Das ist exakt der Bereich, wo mit die meisten Themenfelder im Moment liegen, im Transformationsprozess sind, weil eben Führungskräfte entwickelt werden müssen. In Sachen Change, also was heißt das überhaupt? Wie verhalte ich mich in Veränderungsprozessen, in Transformationsprozessen? Was mache ich eigentlich mit mir selber? Und dann eben auch das Feld Kommunikation, weil genau wie du das sagst, wenn auf meiner Visitenkarte Leiter Einkauf steht, dann heißt das nicht automatisch, dass da drunter steht „Und ich bin der Beste in Kommunikation“. Oder ich bin Leiter von den Werten meiner Organisation und dann steht da auch nicht automatisch drunter, dass Kommunikation schon immer mein Lieblingsfach war. Ganz im Gegenteil, meistens ist man nicht Führungskraft geworden, weil ich irgendwelche fachlichen Themen gut konnte, aber nicht, weil ich besonders gut führen oder besonders gut kommunizieren konnte. Und da braucht es ganz viele verschiedene Dinge, nämlich einmal eine Erhöhung der Selbstreflexion bei den einzelnen Kollegen überhaupt erst mal anzuerkennen, das ist nicht mein Feld. Das ist aber nicht schlimm, weil ich kann versuchen zu lernen. Das hat aber damit zu tun, dass ich erst mal mir das eingestehen muss. Da ist tatsächlich immer noch ein ganz großer Punkt ehrlicherweise, dann muss ich es auch dürfen. Also ich muss es mir eingestehen dürfen und nicht sofort meinen Job verlieren. Das hat meistens den Führungskräften auch niemand gesagt, dass sie plötzlich kommunizieren können müssen, bloß weil sie jetzt in eine Führungsrolle gekommen sind und da braucht es dann eben wieder dieses Dürfen und das Können. Und da musst du dir dann Unterstützung holen. Entweder hast du intern gute Leute, die schulen können oder du nimmst dann eben jemanden dazu, der den Menschen das beibringt. Und das ist also ich glaube, das ist gerade noch so ein riesengroßer Weg von jedem einzelnen, aber auch von Organisationen, anzuerkennen: Ich bin jetzt nicht weniger wert oder ich bin nicht krank und ich brauche nicht ein Coaching, weil ich hier irgendwie ein mentales Problem habe, sondern ich lern einfach was. Also wenn ich Tennisspielen lernen will, dann sage ich ja auch nicht: Ab morgen kann ich das und spiele mit, sondern dann nehme ich mir erst mal ein paar Stunden, um irgendwie da reinzukommen. Und genau das braucht es dann eben auch bei den Führungskräften.
Göpel: Mitspielen ist ein Wort, das will ich aufgreifen, weil wir haben uns jetzt gerade auf die Führungskräfte konzentriert und es erweckt so den Eindruck, als ob auf denen die ganze Last liegt, was wahrscheinlich auch weitestgehend so ist. Aber mitspielen, Kommunikation, Dialog bedeutet ja auch, dass die Beschäftigten ja auch mitmachen. Und inwiefern kann ich so was voraussetzen? Soll ich so was voraussetzen, dass sie nicht nur dasitzen, sondern inwiefern kann ich auch voraussetzen, dass sie einen gewissen Erkenntnisgewinn durch Selbstreflektion schon vorher haben, dass dieser Wandel notwendig ist?
Montua: Wirklich gute Frage. Und tatsächlich auch eine Frage, die aus dem realen Leben kommt. Vielleicht erst mal so als generelle Antwort, auch wenn sie frustrierend ist: Voraussetzen kann ich erst mal gar nichts. Zum einen, weil die Mitarbeitenden völlig unterschiedlich ticken. Jeder Einzelne bringt eine eigene Historie mit und bringt eigene Wünsche, Bedürfnisse, Erwartungshaltung mit. Und das ist zum Beispiel was, was ich in der CEO-Positionierung oder in meiner Arbeit einbeziehe. Immer wieder zu erklären: Du musst darüber reden, was du willst. Also was ist deine Erwartungshaltung an deine Führungskraft, an deine Mitarbeitenden, an wen auch immer. Weil die können keine Gedanken lesen. Und in einer anderen Organisation waren die Erwartungshaltung vielleicht völlig andere. Oder bei dem CEO vorher waren es vielleicht völlig andere. Also es ist immer ein Feld von beidem. Das ist übrigens wie in Freundschaften oder in Partnerschaften, auch wenn ich nicht darüber rede, was ich als gut und richtig und als für mich wichtig erachte, dann kann der andere das nicht wissen. Und das andere ist, wenn ich darüber rede, muss ich auch damit leben können, dass mein Gegenüber sagt: Das kann ich nicht oder das will ich nicht. Also im Gespräch miteinander und das ist halt das Relevante und Wichtige. Also Führung ist nicht eindimensional, sondern im besten Falle ist es interaktiv miteinander. Und ja, der eine redet darüber, was er erwartet und dann guckt man, wie kommen wir da hin. Ich mache immer gerne beide Facetten auf. Wenn wir darüber reden, welche Erwartungshaltung wir haben, müssen auch Konsequenzen folgen, wenn sie nicht erfüllt werden. Was natürlich auch wichtig: Es gibt viele Organisationen, die haben keine gute Feedback-Kultur zum Beispiel. Also auch zu sagen okay, wenn das nicht passiert, dann gibt es auch Konsequenzen. Also das müssen wir tun, damit wir erfolgreich am Markt bestehen können.
Göpel: Bei dem Barcamp ist mir aufgefallen, dass viele der Teilnehmenden nach Lösungen gesucht haben, wie sie die Themen über welche Kanäle bespielen können. Da kommen wir auch noch gleich drauf. Aber das Warum haben sie komplett ausgeblendet. Ich interpretiere mal: Der CEO hat das ja so vorgegeben. Wie wichtig ist in deiner Beratung das Warum?
Montua: Also das Warum ist für mich, das merkt man vielleicht auch schon an den Antworten, für mich mit das A und O, also weil ich daran glaube, dass ich nur so Menschen mitnehmen kann, wenn sie das verstehen und wenn man mit ihnen auch diskutiert hat und sie sozusagen dann entweder überzeugt hat oder eines Besseren belehren konnte oder vielleicht auch einen gemeinsamen Kompromiss gefunden hat. Also Themen und Kanäle sollten auf jeden Fall nach dem Warum folgen und wir zum Beispiel fragen bei CEOs oder auch bei Führungskräften immer wieder auch nach: Warum wünscht ihr denn genau diesen Kanal oder dieses Format? Und das irritiert dann oft erst mal, also weil genau wie du sagtest na ja, ich habe das irgendwo anders gesehen und ich möchte jetzt, dass wir ein gutes Intranet haben, das ist für mich ganz persönlich in meiner Beratungsarbeit noch nicht das, was mich dann davon überzeugt zu sagen okay, dann ist es auch der richtige Kanal für euch, sondern man sollte dann einmal gucken: Zielt es auch in die richtige Richtung ab? Also braucht es wirklich gerade ein Intranet oder braucht es vielleicht eher etwas anderes? Und das hatten wir ja tatsächlich auch in dem Barcamp, dass es viel darum ging, zum Beispiel gewerbliche Kollegen und Kolleginnen abzuholen. So, und auch da würde ich immer fragen, warum? Also geht es darum sie zu erreichen, nur um sie zu erreichen? Geht es darum, dass Sie die Strategie verstehen sollen, weil sie eine bestimmte Rolle haben in diesem Prozess? Ja, dann muss ich sie natürlich erreichen. Oder möchte ich mehr Motivation erreichen, weil ich die Stimmung verbessern möchte? Oder das grundlegende Engagement, weil immer mehr Leute weggehen, woanders hin, dann ist das der richtige Weg. Da aber kommt dann vielleicht als Antwort naja, die Fluktuation ist grad so hoch, da würde ich auch da immer wieder fragen: Warum? Liegt das denn wirklich an mangelnder Kommunikation oder wünschen die sich mehr Geld oder kommen den Führungskräften grad nicht klar? Und daran siehst du schon, du kommst dann von Hölzchen auf Stöckchen und deswegen wird es dann komplex und muss dann wieder zusammengefasst werden zu einem gemeinsamen Ganzen.
Göpel: Ich bin ein Anhänger von einfachen Lösungen und der Kanal ist jetzt auch das, wo ich noch ein bisschen drauf rum reite. Wir haben die Situation, dass aus der Verwaltung, aus dem Vertrieb und Co. viele jetzt im Homeoffice arbeiten können, aber nicht in der Produktion. Also die Produktion ist ganz stark bei uns der chemische Industrie, die müssen ja weil sie Schicht arbeiten in den Betrieb kommen. Wir haben also so eine Art Ungleichgewicht auch. Und ich kenne Geschichten, dass auch Vorstände verzweifelt die Verwaltungsleute anhauen oder anschreiben: Bitte kommt doch auch mal wieder in die Firma, lasst euch blicken. Wir haben sogar Büros, die haben sich ganz schick gemacht. Also was sind aus deiner Sicht geeignete Kanäle, um die die Produktion und die Verwaltung zu erreichen?
Montua: Also das, was am meisten während Corona und auch danach dafür gesorgt hat, dass Menschen gerne wieder vor Ort sind, ist der persönliche Kontakt und der persönliche Austausch. Weil was man sich klar machen muss ist, dass ein Mitarbeiter im Kopf die Rechnung aufmacht: Was kriege ich auf der einen Seite und was steht dem entgegen? Zwei Stunden Fahrt. Eigentlich wollte ich heute noch die Wäsche machen nebenher. Ich wollte auch kochen für heute Abend nebenher. Meine Tochter kommt um zwei nach Hause. Okay, das ist nur die eine Seite. Das andere ist, ich will meine Kollegen wiedersehen. Aber wer ist denn heute da? Ach ja, nur Klaus. Hm. Also, was ist da passiert? Im Kopf Ganz, ganz viel. Das wissen wir aus Befragungen. Es ist faszinierend, was in den Köpfen der Menschen passiert. So, wenn sie diese Entscheidung treffen. Deswegen die Mail, um mal in deinem Beispiel zu bleiben, bringt nichts bis gar nichts. Wir können uns auch den erhobenen Zeigefinger sparen. Davon bin ich überhaupt kein Fan. Das heißt, ich würde nie mit dem Druck arbeiten wollen, sondern ich würde damit arbeiten wollen zu gucken, wie schaffe ich Momente oder ein Momentum vielleicht auch, dass sie gerne wieder reinkommen. Also ich sorg dafür, immer der Mittwoch, da wäre es schön, wenn alle da sind, weil dann haben wir hier volle Räume und wir finden Möglichkeiten dann auch, dass wir vielleicht noch einen After Work dran packen oder dass wir gemeinsam Mittagessen gehen, weil das sind diese sozialen Kontakte, die den Menschen im Homeoffice fehlen. Also du musst darüber kommen: Was haben Sie im Homeoffice nicht, was sie aber im Büro kriegen können? Und das ist ehrlicherweise nicht der schicke Rechner, sondern es sind im Normalfall die Menschen. Und es ist auch das: Ich habe wieder Austausch. Also ich kann an den Projekten anders arbeiten, weil ich kann ich mal eben zur anderen Tür gehen und den Kopf reinstecken und sagen guckt mal hier auf das Konzept. Ist das so? Also das sind die Momente, die ziehen. Das muss ich aber erfragen. Da sind wir wieder bei Führung in meinem Team. Zu fragen, was die brauchen, damit sie gut arbeiten können, ist total relevant, in den Austausch zu gehen. Du hast aber nach Formaten gefragt. Ich würde Formate wählen wie eine Town Hall zum Beispiel. Das ist Information und auf der anderen Seite vielleicht auch noch Begegnung. Das können sich natürlich auch Leute zuschalten, aber es ist immer schöner, gemeinsam vor Ort zu sein oder eben an ein Team-Event noch irgendwas anderes dran zu koppeln, eine Informationsveranstaltung oder irgendwas. Also so um Mehrwert zu schaffen. Das würde ich für die Leute versuchen, die in den normalen Büros unterwegs sind. Bei den anderen Mitarbeitern müssen wir eher darauf gucken, zu sagen, wie gleichen wir ihren gefühlten Schmerz aus, sozusagen, dass sie diese Chance gar nicht haben. So, und auch da muss es uns wieder gelingen, sozusagen etwas zu erschaffen. Und das können vielleicht auch da gemeinsame Treffen sein mit einem Bier nach Feierabend in den Werken oder dass man irgendwie den Leuten irgendwelche Austausch Formate ermöglicht, wo sie mal einen Blick über den Tellerrand haben oder wo wir in der Kantine irgendwelche Highlights haben. Also ich bin auch da immer Fan von einmal nachfragen und das kostet nicht viel Zeit, weil das klingt immer so nach großer Analyse, aber man muss nur mal mit seinen Leuten reden.
Göpel: Wenn jetzt ein Unternehmen sagt okay, ich will gescheit in den Transformationsprozess rein, Was sind deine drei Learnings aus anderen Prozessen, wo du sagst: Bitte, das ist so Basisarbeit, macht das unbedingt? Und dann hat es auch eine Chance, was zu werden.
Montua: Also ich würd mal sagen, holt euch interne oder externe Hilfe. Also wir haben wirklich meistens auch super interne Kollegen, die schon Transformationsprozesse begleitet haben. Oder holt euch externe Unterstützung, die euch strukturiert sozusagen. Also wenn ihr wisst, ein Change steht an, fangt nicht erst an dem Tag an, wo er verkündet wird. Denkt vorher drüber nach, macht eine Roadmap und macht einen Meilenstein-Plan und redet sozusagen darüber, wie es dann am Ende laufen soll. Das ist das eine. Wenn ihr das tut, denkt darüber nach, welche Altlasten es gibt und guckt euch an, wie man die aus der Welt schaffen kann, damit man sozusagen möglichst neutral zumindest sich auf den Weg machen kann. Dann guckt euch auch vorher an, welche Formate habt ihr schon eingeführt, die nachher nutzen können? Weil wir haben immer wieder Organisationen, die rufen uns irgendwo mitten im Change an und sagen: Wir merken gerade, wir haben nicht die Formate, um das richtig zu kommunizieren. Also so ein bisschen, ich nenne es mal Planung, das ist vielleicht so Analyse und Planung, also das ist das eine. Und dann guckt ihr euch an, das ist vielleicht das zweite Feld: Mit wem hast du's eigentlich zu tun? Also wer sind deine Mitarbeitenden? Welche Zielgruppen hast du da und wie gut sind deine Führungskräfte gestärkt, um in diesem Prozess zu gehen? Oder musst du an der Stelle noch irgendwas tun? Das wäre vielleicht so der zweite große Bereich. Und dann bin ich ein Riesenfan von Offenheit und Transparenz im Prozess, dass, wenn du nichts zu sagen hast, sage, dass du nichts sagen kannst oder willst. Vertrauen schaffen ist das Wichtigste in einem solchen Prozess und dafür braucht man Offenheit und Transparenz. Und das übrigens, das sagen aktuelle Studien gerade, wird oft dem CEO zugeschrieben. Der hat eine riesen Stellung in Veränderungsprozessen, zurzeit auch größer als noch vor ein paar Jahren. Deswegen bin ich ein Riesenfan von CEO-Positionierung nach innen und nach außen.
Göpel: Liebe Andrea, vielen Dank, dass ich dir heute zuhören durfte. Ich lass das jetzt bewusst so stehen, auch mit Blick auf die Uhr. Zum Abschied bitte ich auch Dich um einen oder zwei Titel für meine Playlist. Bei welchen Songs kannst du am besten entspannen, wenn es wieder sehr sportlich geworden ist, oder welche Titel hörst du, wenn ein Projekt so richtig gut gelaufen ist?
Montua: Also ich habe nicht den einen Titel oder so, sondern ich bin ein ganz großer Fan von lateinamerikanischer Musik. Ich tanze nämlich, um meinen Kopf ab und an ein bisschen abschalten zu können: Und da gibt es eine Playlist, die wirklich nur zum Tanzen ist. Und dann gibt es eine Playlist, die ist eher für genau solche Momente, wie du es gerade beschrieben hast.
Göpel: Liebe Andrea, herzlichen Dank für das heutige Gespräch. Liebe Zuhörende. Das war eine weitere Folge von Wir. Hear. Zu Gast war Andrea Mantua, Inhaberin von MontuaPartner Communications, eine Beratungsagentur für interne Kommunikation in Hamburg. Wir haben über den Wert der internen Kommunikation in der Transformation gesprochen.

Frau mit Smarthpone und Mail-Symbol. Foto: oatawa - stock.adobe.com

Mails, Videocalls, Meetings: Jeder fünfte Beschäftigte ist mit der Informationsflut am Arbeitsplatz überfordert. Was lässt sich dagegen tun? Der Mainzer Medientrainer und Journalist Jörg Michael Junginger erklärt, wie man es schafft, sich auf die wirklich relevanten Infos zu beschränken.
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Tobias Göpel: Herzlich willkommen zur heutigen Podcastfolge. Mails, Posts, Chats, dazu Anrufe, Videocalls und Meetings. Täglich kommunizieren wir auf verschiedenen Wegen zu verschiedenen Themen wie Marketing, Einkaufen, Vertrieb, Kommunikation oder einfach nur die interne Organisation. Manche Infos dürfen an Beschäftigte oder Kunden sofort raus, andere erst später. Die Arbeitswelt ist sehr stark geprägt von umfangreichen Informationen und vielfältigen Kommunikationswegen. Das laugt aus. Jeder fünfte Beschäftigte gibt an, mit den Informationen am Arbeitsplatz überfordert zu sein. Das ergab eine Studie, die im Auftrag der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin erstellt wurde. Wie eine Lösung durch gezielte Information aussehen kann, dazu spreche ich heute mit Jörg Michael Junginger. Er ist Medientrainer und Journalist aus Mainz. Hallo Herr Junginger!
Jörg Michael Jungiger: Hallo Herr Göpel! Hallo liebe Zuhörer. 
Göpel: Wie kommt diese Informationsflut aus Ihrer Sicht zustande?
Junginger: Ein Wort in Ihrer Anmoderation hat mich nachdenklich gemacht. Information laugt aus. Ausgelaugt sein heißt erschöpft werden, weil man überinformiert ist. Wir werden zugeschüttet mit Reizen. Das heißt für meine persönliche Kommunikation und die von Führungskräften: Ich muss relevant sein, bedeutsam für mein Publikum, und vom Publikum her meine persönliche Kommunikation gestalten. Das allerdings machen die wenigsten, weil sie zuvor nicht drüber nachdenken, wenn sie reden oder schreiben.
Göpel: Wir machen ja bisher in dem Podcast auch zielgerichtete Information an Führungskräfte. Aber ich glaube, dass dieses Phänomen der Überinformation nicht nur Führungskräfte betrifft. Denn alle Beschäftigten gestalten ja Information und sind Leidende und Verursacher gleichermaßen. Wenn Sie also sagen, es geht um Relevanz: Was können wir – ich nehme mich da mal mit rein – aus Ihrer Sicht gegen die Informationsflut tun und für mehr Relevanz der eigenen Information sorgen? 
Junginger: Also noch mal, ich glaube, dass mehr als nur jeder fünfte ausgelaugt ist. Relevanz, Bedeutsamkeit, und jetzt kommt der alte Nachrichtenjournalist Junginger ins Spiel, heißt, dass ich meine Information strukturiere. Strukturieren heißt, ich muss mich fragen, jetzt im Journalismus: Welches Angebot? Wann? Wo? Wer? Wie? Was? Wodurch? Warum? Als Unternehmenssprecher, als Führungskraft: Was ist für meine Zielgruppe, für mein Publikum von höchster Bedeutung? Also konkret in der Handlungsanweisung: Information sortieren. Wichtig, unwichtig. Durch diesen Prozess schaffe ich Substanz. Das Wichtigste muss ganz oben hin, zu Beginn der Nachricht. Am besten in eine persönliche Headline. So macht's der Headliner bei Boulevardmedien wie Bild oder Express in Köln. Das heißt, es muss spitz stehen wie eine Pyramide, damit ich unter den vielen Reizen – 10.000 täglich – überhaupt reinkomme in mein Publikum. Rein wollen viele, und die allermeisten fliegen raus. Das ist mir die Arbeit persönlich nicht wert. Also vorher: das Wichtigste in Kürze auf den Punkt. So funktioniert es. Ich wiederhole mich: Meistens steht die Pyramide auf dem Kopf. Es wird breit begonnen, lang geredet oder geschrieben und die Position oder der Standpunkt kommt leider erst zum Ende. Erschöpfend, auslaugen, ermüdend.
Göpel: Da kann ich mir aber gut vorstellen, dass das ein Knackpunkt ist. Also was ist für mich als Sender relevant? Was ist für die Menschen, die sich das anhören, dann relevant? Da kann es ja durchaus zu Friktionen kommen. Haben Sie Tipps: Wie kriege ich das, was mir wichtig ist, rüber undgut verpackt und habe dann aber auch Informationen, die die Zielgruppe dann als relevant bewertet wird. 
Junginger: Der erste Leitsatz, der eherne Leitsatz ist: Alles vom Publikum her denken, von meinen Zuhörern, von meinen Lesern, von denen, die diesen Podcast anhören. Was ist substanziell? Ich wiederhole mich da gerne. Ich muss meine innere Wahrheit, welches Gefühl zu meiner Information entwickle ich, damit ich diese Information mit einer beherrschenden Idee an mein Publikum transportieren kann. Mach den Punkt, indem du auf ihn kommst, also denke nach, bevor du redest oder schreibst, was für die, die es empfangen, wohl das wichtigste. Oder andersrum formuliert: Komm auf den Punkt, indem du ihn machst. Das bedingt wiederum die Kürze. Wenn Sie überlegen, im digitalen Bereich, tägliche News: 4 bis 7 Sekunden ist die Aufmerksamkeitsspanne. Das heißt, wer es nicht schafft, mit seinem Post, News, Tweet in vier Sekunden den Pflock zu setzen, ran und rein zu kommen, der wird mit dem Daumen sofort weggewischt. Die allermeisten werden gekillt. Das ist die Mühe, die Arbeit und die Leidenschaft, die dahintersteckt, einfach nicht wert. Das ist so schade. Ich will es aber vielleicht noch am Beispiel verdeutlichen. Die meisten Menschen, Führungskräfte leben nicht in der Welt der Medien, die von Emotionen bestimmt wird. Das sind sachorientierte Menschen, hochgradig fachkompetent und sachkundig. Also das Beispiel: Ein Erfinder, ein Diplomingenieur erfindet einen Wasserfilter mit einer doppelosmotischsuboptimalen Membran, der das Schwermetall Blei aus allen Wohnungen in Mainz, in Frankfurt, in Berlin herausfiltern kann. Er ruft alle Medien an in seinem Einzugsbereich und sagt: Ich habe die beste Erfindung gemacht, die es gibt, mit einem Purifikationsgrad von 99,9 % mit einem doppelosmotischdiffundierenden Reaktionsprinzip, das das Schwermetall Blei herausfiltert. Jeder CvD, jeder leitende Redakteur, jeder Medienvertreter wird sagen: Ja, lieber Herr Junge, Ihr Filter ist ja gut und schön, hier rufen 1000 täglich an, die glauben, das Wichtiges erfunden zu haben, was ist denn die Story? Was ist denn die beherrschende Idee? Die Relevanz? Warum sollten wir darüber was sind, machen, schreiben? So. Hätte der gute Mann den Bezug zum Publikum, zu den Hörern sich bedacht, wäre er ins Medium gekommen, der nämlich da lautet: Krebsrate sinkt, Konzentrationsstörungen bei Schülern gehen zurück, Potenzstörungen bei Männern werden weniger, Haarausfall bei Frauen gemindert. Das ist die Relevanz zum Publikum seiner Erfindung, also der klebrige thematische Faden im positiven Sinne, die Verbindung. Jetzt sagen alle Journalisten: Was, sowas hast du erfunden? Krebsrate gemindert, Konzentrationsstörungen und Haarausfall geht zurück. Das ist Relevanz für Publikum. Und dann funktioniert's. Diesen Kniff und diese Klarheit haben leider die wenigsten. Und es ist relativ einfach.
Göpel: Ich versuch das mal zu übertragen mit Ihnen gemeinsam auf die chemische Industrie. Wir sind im Wandel. Der Wandel bedeutet ja auch Unsicherheit mitunter. Und auch Chefs wissen nicht zwingend, wo es hingeht. Aber trotzdem sollen sie und wollen sie kommunizieren. Sie passen an, sie werden effizienter. Aber meistens bedeutet ja Effizienz und Anpassungen für Beschäftigte: Mein Arbeitsplatz könne in Gefahr sein. Also wie würde ich dann so was verpacken können? Wie kann ich eine Botschaft daraus generieren, die dann auch positiv klingt, den Mehrwert bietet und die Leute mitnimmt?
Junginger: Eine Botschaft ist dann überzeugend, wenn der Empfänger spürt, dass der Sender authentisch ist. Authentisch sein heißt, zu meiner Botschaft, die relevant ist, die ich sortiert habe, zur Information gesellt sich eine stimmige Emotion während des Sprechens. Ich hoffe, dass ich auf Sie, auf die Zuhörer, genau diese Verbindung momentan, während des Sprechens darlege. Das heißt, der Diplomingenieur mit seinem Wasserfilter darf nicht nur die Sache, den tollen Reinigungsgrad und das Prinzip der Reinigung bemühen, er muss sie anreichern mit der Relevanz. Was heißt das für meine Menschen draußen, die meinen Filter kaufen, nämlich gesünder, weniger krank, konzentrierter und hübscher. So, das ist die Verbindung. Das muss ich bei jeder Information, auch in der chemischen Industrie, fragen: Wie ist die Relevanz, die Bedeutsamkeit, der Zugang? Die Sinnhaftigkeit liegt nicht sofort auf der Hand. Das ist oftmals ein schwieriger Prozess, die Sinnsuche, aber sie ist möglich. Und wer sie geht, der wird die Verbindung finden und schaffen. Und wer sie hat, der wird frei sprechen. Der braucht keine Teleprompter, der braucht keine Spickzettel, der braucht keine Aufschriebe. Das ist so entscheidend in der Wirkung nach außen. Wenn Sie an Herrn Scholz denken, der da acht Minuten dran steht und vom Prompter die Neujahrsansprache abliest: Es ist ein Grauen
Göpel: Ich bin ein Fan von möglichst einfachen Darstellungen, und wenn ich es richtig verstanden habe, kann ich mich bei der Struktur meiner Botschaft an der klassischen Pressemitteilung orientieren mit den Fragen. Und wenn ich als CEO, als Führungskraft im ersten Schritt den Mehrwert meiner Botschaft für das Unternehmen sehe, müsste ich mich dann auch fragen: Was ist der Mehrwert für die Beschäftigten? Wenn ich Beschäftigter bin in einem Team, müsste ich nicht nur schauen, was ist der Mehrwert im Rahmen des Projektes, sondern wie können letztendlich dann auch die anderen Teammitglieder davon profitieren? Habe ich das so richtig zusammengefasst?
Junginger: Im Prinzip ja. Und ich ergänze: Ich bin auch ein großer Freund von Einfachheit. Deshalb noch mal runtergebrochen: Die Nachricht muss klar sein Die Nachricht muss relevant, bedeutsam für den Empfänger sein. Das können Mitarbeiter, Kunden, Medien, das können spezielle Zielgruppen sein. Die Relevanz unterscheidet sich, aber sie muss immer gefunden werden. Je einfacher, desto mehr verstehen es, kapieren es. Wer mehrheitsfähig sein will, muss so einfach wie möglich sein. Zu schlicht, für Unterforderung ist noch niemand bestraft worden, für Überforderung schon. Insofern ist die Schlichtheit das Entscheidende. Was der schlichte Geist kapiert, kapiert der Gescheiteste auch. Der fühlt sich vielleicht unterfordert, aber kapiert hat er's dennoch. Die drei Qualitäten sind: Sage und schreibe, spreche etwas sofort Begreifbares. Wenn dein Sprechen oder dein Schreiben begreifbar ist, hat er die Chance, in die Köpfe, in die Hirne reinzukommen. Das dritte ist: Wenn es im Kopf drin ist, wird es, wenn die Emotion im Spiel war, von Mitarbeitern weitererzählt werden. Hast du den Göppel gehört mit der Pressemitteilung bzw. der Ansprache im Meeting? Dann wird die Bewegung, die Sie ausgelöst haben wird, zum Weitererzählen führen. Und letzte Geschichte: Warum treten wir eigentlich öffentlich auf? Da gibt es nur eine schlüssige Antwort: Um beim Publikum in Erinnerung zu bleiben Wer diesen Anspruch nicht hegt und pflegt, kann seinen öffentlichen Auftritt knicken. Um es ganz einfach zu sagen. 
Göpel: Ich habe den Anspruch, in Erinnerung zu bleiben. Ich habe auch den Anspruch, dass meine Argumente akzeptiert werden. Und jetzt gibt es ja meist unterschiedliche Perspektiven auf einen Sachverhalt. Haben Sie vielleicht einen Tipp, wie ich da über einen Sparringspartner oder ähnliches schauen kann, ob das, was ich mir vorgenommen habe, auch wirklich wirkt oder ob da noch Nachholbedarf ist und dass ich ein bisschen fein schleifen muss?
Junginger: Der Anspruch, der in der Frage mitschwingt, ist ein bisschen zu hoch formuliert für mein Verständnis, also dass meine Argumente überzeugen. Das liegt letztlich nicht bei mir. Eins tiefer heißt, dass meine Argumente oder mein Vortrag verstanden wird. Das ist die Pflichtschwelle. Ob er dann überzeugend zu einer Folgehandlung führt, hängt davon ab, ob die zweite Qualität, dass ich ins Hirn reinkomme, erfüllt wird und dass ich emotional meinen Empfänger so in Bewegung versetze, dass er sagt: Mensch, hast du den Göpel oder sonst wen gehört, der hat das und das gesagt. Dann wird die Nachricht weitererzählt. Neudeutsch: geht viral in digitalen Zeiten. Also die Emotionalisierung des Publikums hat stattgefunden, weil eine Bedeutsamkeit definitiv rübergekommen ist, die eine Information verbindet. Information ohne Emotion ist medial völlig wertlos. Das haben die meisten nicht verstanden. Sage es einfach verständlich und nimm die Leute mit. Das ist das Thema, das wir haben.
Göpel: Das ist übrigens ein guter Punkt. Also es gibt ja häufig, ich nenne es mal Marketing-Sprech oder es werden Fachbegriffe verwendet, die auf andere nerdig wirken könnten. Und die versperren meist den Blick auf die Kernbotschaft. Sie sind ja schon Medientraining seit langer, langer Zeit. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht, wenn Sie Menschen trainieren, auf den Punkt zu kommen? Was ist eigentlich das größte Hemmnis?
Junginger: Das Hemmnis ist die Scheu vor sich selbst. Die Scheu vor sich selbst heißt, den Blick in den Spiegel zu wagen. Was ist meine Emotion zu meiner Information, die ich in meiner Pressemitteilung schreibe, die ich in meiner Ansage, in meinem Vortrag, in meiner Rede, in meiner Präsentation zum Ausdruck bringen möchte? Meistens gibt es gar keine Kernbotschaft. Dieses Wortgeklingel, dieses Geblubber, das ist alles Drumherum, das letztlich psychologisch Angst und Unsicherheit dokumentiert und klug klingen soll, aber verschleiert. Wenn Sie sich selbst als Rezipient, als Konsument, also als Zuschauer oder Zuhörer oder Leser mal gestern, vorgestern Abend auf die Couch zurückdenken, um Tagesschau, Tagesthemen, irgendein Format angucken: Den meisten, die dort stattfinden, höre ich zu und übersetze innerlich, während ich zuhöre. Was will er mir denn sagen, der Herr Lindner zu seinem Haushaltsentwurf und den Kürzungen? Alles viel drumherum, wenig substanzielle Verdichtung. So schade. Politik, sage ich noch ganz klar, hat den Anspruch, verstanden zu werden, in großen Teilen verloren.
Göpel: Wenn ich jetzt richtig verstanden habe, je verschwurbelter eine Person redet, umso weniger weiß sie selber, was sie sagen will. Aber dann macht es ja Sinn, gar nichts zu sagen. Richtig?
Junginger: Das wäre manchmal viel besser. Richtig. Oder sich die Mühe zu machen, wenn ich tatsächlich meine Empfänger wertschätze, also Stichwort wertschätzende Kommunikation: Die höchste Wertschätzung, die Sie Ihrem Publikum geben können, ist verständlich zu sein. Ob ich dann Ihrer Meinung bin, Ihnen folge oder zustimme, ist eine zweite Qualität. Die meisten wissen das gar nicht zu trennen, die meisten schaffen es auch nicht und schaffen es nicht verständlich zu sein, den Prozess der Simplifizierung, der Vereinfachung auf das Wesentliche. Und im Wort Wesen steckt auch Wesen drin, also mein Naturell, mein Charakter, meine Persönlichkeit. Letztlich, und das ist mir in den letzten 30 Jahren zunehmend auch klar geworden als Medientrainer: Medientraining ist Persönlichkeitsentwicklung, die Fähigkeit, in einer Welt, die kaum mehr Zeit hat, wo wir überflutet sind, mit Informationen, noch zum Publikum durchzudringen. Was im leidenschaftlichen Appell gipfelt: Sei kurz, zwingend. Wenn du lang bist, ist das nur noch fürs Symposium im Elfenbeinturm. Da hocken Fachleute und hören sich lange zu. Für die große, breite Geschichte, den Mainstream völlig untauglich.
Göpel: Was mir dann durch den Kopf schießt, ist, wenn ich jetzt an mir feile und trotzdem kurz und knapp auf den Punkt komme, ich kenne das aus dem Militärischen: Wenn ich eine klassisch militärisch kurze Information weitergebe, stößt das auch im zivilen Bereich öfter mal auf Unverständnis, weil ihnen dann wieder Hintergrundinformationen fehlen. Und genau da fängt für mich also das Abwägen an: Was ist zu viel, was ist zu wenig? Haben Sie da Tipps, an denen man sich orientieren kann?
Junginger: Also in elektronischen Medien, Radio und Fernsehen, was nicht sofort verstanden wird, Level, Erkenntnis, Vorwissen, Allgemeinbildung nehme ich jetzt mal als Standard, wie auch immer man den definiert. Was nicht sofort verstanden wird: weglassen. Bei intellektuelleren Medien, sprich Gedrucktes, kann ich denen das Zitat von Herrn Göpel einmal nachlesen, ein zweites Mal und auch ein drittes Mal. Da bestimme ich das Aufnahmetempo der Information durch meine Lesegeschwindigkeit. In den anderen Fällen diktiert mir Radio und Fernsehen das Tempo. Das ist eine gänzlich andere Geschichte. Und wenn ich den Göpel oder auch den Junginger beim dritten Mal nicht verstanden habe, dann werde ich die Zeitung weglegen und sagen: Was ist das? Was redet der daher? Völlig verschwurbelt und kompliziert. Die Verdichtung, Verbalisierungstalent, also man kann ja über Boulevard denken was man will, aber die verdichten in der Headline maximal. Dass da vieles an Details wegfällt, ist doch ganz klar. Aber der Kern der Story ist oben drin und diese Qualität muss persönliche Kommunikation haben, vor allem im neuen Medienverständnis. Immer weniger Raum, Platz und Zeit. Also wer breit ist oder glaubt über die Sache informieren oder überzeugen zu können, ist völlig falsch gepolt. Um es ganz klar zu sagen: Die Welt ist draußen eine andere. Die Konkurrenzsituation ist, dass sie innerhalb von 4 bis 7 Sekunden den Punkt machen oder rausfliegen.
Göpel: Es geht ja darum, wenn ich Sie richtig verstanden habe, dass man schon auf den Punkt kommt, kurz und knapp formuliert und dann am Anfang mit den Kernbotschaften kommt und dann nach hinten gegebenenfalls ergänzend Information gibt. Korrekt?
Junginger: Ja, ich nehme nochmal das geometrische Bild, das Symbol der Pyramide, die Spitze der Pyramide. Oben ist meine persönliche Headline in meinem Zitat, in meinem O-Ton. Diese Headline muss ich bilden, innerlich gerne noch mal aus der Information und der stimmigen Emotion des Sprechers oder Schreibers. Das ist die Spitze. Wer keine persönliche Headline hat, wird viel quasseln, weil er während des Quasselns auf der Suche ist: Was ist die Headline ? Das erleben Sie tagtäglich. Wer eine Headline hat, kann ein Argument oder zwei drunter setzen. Dann ist aber mit 20 Sekunden schon zeitlich voll. Mehr geht nicht. Und wer jetzt noch mehr redet, liefert Journalisten, und ich bin einer seit 40 Jahren, viel Schnittmaterial, aus dem ausgewählt werden kann. Meistens wird dann aber nicht das genommen, was der Sender wünscht. Fehler beim Sender. Viele Sprecher machen den großen Fehler und während wir hier reden, findet das in Deutschland wieder statt. Ich werde das mein Lebtag nicht verstehen, wie Unternehmenskommunikation das zulassen kann. Nachrichten, Steuerung, Präzision. Ich bin auch militärisch vorbelastet als Gebirgsjäger. Der militärische Befehl hat Eindeutigkeit, er hat keinen Interpretationsspielraum. Wenn ich meine Botschaft eindeutig setzen müsste, ist die Verdichtung „Rechts um“ so klar, dass alle rechts um machen. Wenn ich über den Diskurs der Dislozierung deutscher Verteidigungskräfte, ein robustes Mandat der internationalen Gemeinschaft philosophiere, wenn ich sagen möchte, wir hauen ab oder ziehen uns aus Mali zurück, dann ist das Gequassel so, wo ich, wenn ich zuhöre, mir ständig überlegen muss und Millionen andere auch: Was will die oder der mir eigentlich sagen? Warum macht er sich nicht die Mühe, mich gut mit einer verständlichen Aussage zu bedienen? Hat er keinen Standpunkt, will er keinen einnehmen, sind ihm Positionen fremd? Und ich könnte Ihnen noch zehn weitere Deutungsmöglichkeiten sagen, die alle nicht im Sinne dieses PR-getriggerten Worts Nachrichtensteuerung ist. Nein, Fehlanzeige.
Göpel: Die letzten rhetorischen Fragen, finde ich, sind auch ein gutes Schlusswort. Das Dreieck merke ich mir auf. Lieber Herr Junginger, wir wollen auch hier auf den Punkt kommen. Mit dem Podcast von 20 bis 30 Minuten liegen wir locker drin. Vielen Dank also bis hierher. Zum Abschied bitte ich Sie auch wie meine anderen Gäste um einen oder zwei Titel für meine Wir. Hear.-Playlist. Also, bei welchen Songs können Sie am besten entspannen oder welche Titel hören Sie, wenn ein Projekt richtig gut gelaufen ist?
Junginger: Singen oder mitsingen heißt es ja, zeugt dann von einem frohen Herz. Also: Ich singe gern bei Hannes Wader mit. Heute hier, morgen dort. Das ist ein schönes Lied. Stellvertretend für unser Leben, stellvertretend für unseren Tun. Aber mit einer Leichtigkeit, die mir persönlich guttut und wo ich einfach herzlich gerne aus freien Stücken und vollem Mund mitsingen.
Göpel: Vielen Dank für den Song. Ich werde ihn gleich mal recherchieren. Und auch herzlichen Dank, dass Sie hier heute im virtuellen Studio bei wir hier waren.
Junginger: Aber gerne doch. Ich hoffe, dass die, die uns lauschen werden, substanziell für ihre persönliche Kommunikation einiges mitgenommen haben. Vielen Dank.
Göpel: Das hoffe ich auch. Liebe Zuhörende, das war eine weitere Folge von Wir. Hear. Zu Gast war Jörg Michael Junginger, Medientrainer und Journalist aus Mainz. Wir haben darüber gesprochen, wie wir schneller auf den Punkt kommen und die Informationsflut bändigen. Wenn Sie Fragen, Hinweise oder sogar Lob haben, dann mailen Sie mir. Vielen Dank und bis bald.

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