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Podcast Wir. Hear: Wasserstoff - Energieträger der Zukunft?

· Lesezeit 30 Minuten.
Podcast Wir. Hear: Wasserstoff - Energieträger der Zukunft?
Hoffnungsträger: Grüner Wasserstoff ist mitentscheidend für die Energiewende. Foto: peterschreiber.media - stock.adobe.com

Die neue Folge unseres Podcasts Wir. Hear. ist erschienen. Diesmal im Fokus: grüner Wasserstoff als Energieträger der Zukunft. Auch in Rheinland-Pfalz soll grüner Wasserstoff Erdgas ablösen und dazu beitragen, dass das Land seine Klimaschutzziele erreicht.

 

Gastgeber Tobias Göpel spricht mit Dr. Thomas Riede, Vice President Energy Transformation bei BASF in Ludwigshafen, und Dr. Martin Robinius, Head of Energy Policy and Systems bei der Agentur Umlaut, darüber, Wie das gelingen kann und was die chemische Industrie für diese Transformation tut und künftig noch tun muss.

 

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Tobias Göpel: Herzlich willkommen zum Podcast Wir Hear. In dieser Folge dreht sich alles um Wasserstoff. Der flexibel einsetzbare Energieträger soll Erdgas ablösen und so helfen, dass Rheinland-Pfalz seine Klimaschutzziele erreicht. Was so einfach klingt, ist eine Transformation großen Ausmaßes. Auch für die chemische Industrie. Wo stehen wir? Was muss passieren? Und welchen Umfang hat diese Transformation? Darüber spreche ich mit Thomas Riede und Martin Robinius. Herr Riede arbeitet in der BASF mit einem Team an der Energietransformation in Ludwigshafen und Herr Robinius hat als Experte von der Agentur Umlaut an der Wasserstoff-Roadmap für das Land Rheinland-Pfalz mitgearbeitet. Hallo, Herr Riede und Herr Robinius! 

 

Riede: Hallo Herr Göpel!  

 

Robinius: Hallo! 

 

Göpel: Am 15.11.2022 hat die Landesregierung Mainz die Wasserstoffstudie präsentiert. Erstellt wurde die Studie von der Agentur Umlaut in Kooperation mit einem Expertenrat aus Politik und Wirtschaft mit insgesamt 196 Seiten. Herr Robinius, diese Seiten durchzulesen ist sehr zeitintensiv. Deshalb meine Frage: Wie lautet die Essenz dieser Studie aus Ihrer Sicht? 

 

Robinius: Die Wasserstoff-Wertschöpfung in Rheinland-Pfalz kann funktionieren und wird auch einen wichtigen Beitrag liefern, damit die Wertschöpfung im Land behalten werden kann. Man muss auch nicht durch alle Seiten gehen. Wir haben eine schöne Zusammenfassung geschrieben, das heißt, wer sich nicht durch die durch das ganze Wust der Seiten durchkämpfen will, wird in der Zusammenfassung glaube ich die wichtigsten Messages lesen können. Aber auch hier: Wie gesagt ist es auch auf jeden Fall noch mal, dass mit Wasserstoff die Energiewende gelingen kann und die ambitionierten Ziele auch umgesetzt werden können, die das Land dann auch hat. 

 

Göpel: Ambitioniert sehe ich die Ziele auch. Herr Riede, die BASF ist mit Abstand der größte Abnehmer von Wasserstoff in Rheinland-Pfalz. Nicht der einzige, aber der größte. Sind Sie, oder sind wir aus Ihrer Sicht mit der Studie auf dem richtigen Weg? 

 

Riede: Also das würde ich bejahen. Wir sind auf jeden Fall auf dem richtigen Weg. Und es ist gut, dass Rheinland-Pfalz diese Studie gemacht hat. Vor allen Dingen deshalb, einfach um Transparenz zu schaffen. Was sind die Bedarfe in Rheinland-Pfalz? Wie können wir sie befriedigen? Ein wichtiges Ergebnis dabei war ja, Herr Robinius, dass wir gesagt haben, wir müssen dringend in die Wasserstoff-Infrastruktur investieren. Dazu muss man vielleicht sagen: Wasserstoff ist schwer transportierbar oder schlecht transportierbar. Also per LKW kann man nur kleine Mengen transportieren. Deshalb ist es wichtig für ein großes Unternehmen wie uns, aber auch für viele andere Betriebe, ans Wasserstoff-Pipeline-Netz angeschlossen zu werden. Ich glaube, das wurde ganz gut herausgearbeitet. Wir werden es nicht schaffen, in Rheinland-Pfalz alleine den Wasserstoffbedarf zu decken, sondern wir werden auch von Importen abhängig sein. 

 

Göpel: Das werden wir noch ein bisschen herausarbeiten. Ich möchte noch mal auf die Ziele und die Zeitachse eingehen. Rheinland-Pfalz will in Fragen des Klimaschutzes schneller sein als im Bund. Wie herausfordernd ist das vor dem Hintergrund, dass Rheinland-Pfalz ja keine Insel ist, sondern Teil eines Energienetzes, in Deutschland als auch in Europa. Also sind wir da zu schnell, zu fix oder sind wir schon die Vorreiter, die die anderen mitziehen? 

 

Robinius: Also ich würde es mal so definieren: Es ist wichtig, dass man Ziele setzt, die man dann auch realistisch umsetzen kann. Und ich glaube, die Ziele sind ambitioniert, aber man kann sie umsetzen. Aber es erfordert schon eine gewaltige Kraftanstrengung. Das gesamte Pariser Klimaschutzabkommen ist ambitioniert, wenn wir uns anschauen, wo wir gerade stehen. Aber ich glaube, das Wichtige ist eher: Was wäre die Alternative zur Zielerreichung? Und die Alternative ist, dass wir halt deutlich stärkere Umbrüche erwarten müssen wegen dem Klimawandel. Von daher denke ich, dass die Ziele ambitioniert sind. Aber es ist auch wichtig, dass es einzelne Bundesländer gibt, die auch Vorreiter sein wollen. Und das ist definitiv bei Rheinland-Pfalz mit den Zielen so gegeben. 

 

Göpel: Wie sieht es mit der BASF aus? Der größte Verbundstandort ist ja hier in Ludwigshafen, aber die BASF hat ja auch noch andere Standorte. Denken Sie das auch so in Insellösungen oder denken Sie die BASF-Standorte dann eher als Gemeinsames in Deutschland? 

 

Riede: Na ja. Zum einen hat die BASF ein globales Ziel und das globale Ziel heißt Dekarbonisierung im Jahr 2050 global, für Deutschland 2045. Wichtig ist bei dem allem glaube ich, dass wir definiert haben, was sind die Schritte dorthin. Und wenn wir als BASF - wir stellen organische Stoffe her, die bestehen aus Kohlenstoff, also wir werden weiterhin Kohlenstoff brauchen, auch in einer dekarbonisierten Welt, sonst haben wir keine Produkte mehr. Und die bestehen aus Wasserstoff und noch Stickstoff und Sauerstoff. Und weil eben dieser Wasserstoff drin ist, ist diese Wasserstoff-Strategie so wichtig für uns. Wir werden auch Produktionsverfahren umstellen müssen auf neue Einsatzstoffe. Wir stehen heute vor allem auf Erdgas und Naphta, und bis jetzt waren es die idealen Ausgangsstoffe. Wir werden zukünftig hier viel mehr in Recycling denken müssen, in CO2-Wiederverwertung und so weiter und so fort. Und dafür braucht man Wasserstoff. Deshalb ist es so wichtig - ich bin ein bisschen vielleicht vorweg gesprungen -, dass wir zunächst mal diese Pipelineversorgung haben mit Wasserstoff, dass man dann anschließend immer ausreichend viel Wasserstoff zu guten Preisen bekommt, wirtschaftlich kompetitiven Preisen, dass wir dann beginnen können, unsere Produktion umzustellen. Und das ist halt auch wichtig in dieser ganzen Strategie, dass man weiß, nicht alle Dinge gehen parallel, sondern manche Dinge müssen vor anderen kommen, damit der nächste Schritt erfolgt. 

 

Göpel: Das bringt mich zu den Sektorzielen, die ich mir auch notiert habe. Ich wollte aber mal von vorne nach hinten mich durcharbeiten. Was die BASF macht, haben Sie gerade erzählt. Und wer die BASF ist, kann sich, glaube ich, viele vorstellen. Herr Robinius, Sie würde ich bitten, noch ein bisschen was zur Agentur Umlaut zu erzählen, was Sie machen, weil ich glaube, das ist auch nicht Ihre erste Studie, Sie haben sicherlich schon ein, zwei in diese Richtung gemacht, auch für andere Bundesländer. 

 

Robinius: Genau. Also die Umlaut Energie ist sozusagen eine Ende-zu-Ende-Beratung. Das heißt, wir unterstützen unsere Kunden dabei, hier am Beispiel Wasserstoff, aber auch in anderen Bereichen der Energiewende, in der Transformation sich aufzustellen. Im Bereich Wasserstoff heißt das konkret, ich würde mal sagen, von strategischen Studien wie hier für Rheinland-Pfalz, aber auch für Schleswig-Holstein und andere Bundesländer, wo wir ein Stück weit den Status ist aufbereiten. Aber wir unterstützen auch Kunden konkret dabei in Projekten. Sei es, dass aktuell Förderanträge geschrieben werden müssen, also viele der Aktivitäten werden ja noch gefördert. Das heißt, dass wir Machbarkeitsstudien machen, also nicht nur für ein Bundesland, sondern auch für einzelne Energieversorger oder Industriezweige, wo wir uns halt genau solcher Fragestellungen annehmen. Also das ist schon eine weite Spannbreite in der Ende-zu-Ende-Beratung, wo wir die Kunden unterstützen. 

 

Göpel: Also speziell für Rheinland-Pfalz: Haben Sie aus dem Kopf heraus ungefähr das Ziel, die Zielgröße, wie viel wir brauchen werden an Wasserstoff, um zum Beispiel Glasherstellung bei Schott in Mainz als auch die chemische Industrie zu befriedigen? 

 

Robinius: Wir haben einen Wasserstoffbedarf von 2045, so um die 35 Terawattstunden. Das heißt, wir werden am Ende über Millionen Tonnen Wasserstoff reden. Und das Spannende dabei ist, dass eigentlich Glas ein wichtiger Bestandteil ist. Der Mittelstand ist ein wichtiger Bestandteil. Aber Herr Riede sitzt ja auch nicht hier aus Zufall, sondern dass gerade die chemische Industrie, das wird der zentrale Wasserstoffabnehmer werden in Rheinland-Pfalz und ich würd mal sagen einer der wichtigsten Ankerkunden in Rheinland-Pfalz. Und von da ergibt sich dann auch vieles. Also würde ich sagen, dass die einzelnen Verbräuche im Mittelstand wichtig sind, um den Mittelstand zu erhalten, auch die Glasherstellung und andere. Aber gerade die chemische Industrie wird definitiv einer der größten Abnehmer werden. 

 

Göpel: Wir brauchen viele Mengen. Das haben Sie gerade gesagt. Und Herr Riede hat vorhin auch die Pipelines angesprochen, dass LKW nicht ausreichen. Brauchen wir eine gesonderte Pipeline für Wasserstoff oder könnten wir auch gegebenenfalls Erdgaspipelines nutzen, um die umzufunktionieren und neu zu verwenden? Und wenn wir die neue Pipeline brauchen, wo müsste die auch langlaufen? Entlang des Rheins? Querfeldein? 

 

Riede: Man muss vielleicht unterscheiden zwischen Transportnetz und Verteilnetze. Ich glaube, fürs Transportnetz braucht man tatsächlich separate Pipelines, die nur Wasserstoff transportieren, und zwar über weite Wege. Das ist wichtig, weil viele Industriezweige, ob Glas oder Chemie, wir können nur reinen Wasserstoff gebrauchen. Wir können keine Mischung gebrauchen, was weiß ich, Erdgas mit Wasserstoff, sondern wir brauchen reinen Wasserstoff, damit wir den direkt in unseren Reaktionen, Verfahren einsetzen können. Dann kann man allerdings unterscheiden in Richtung Verteilnetze. Da ist es ja heute schon möglich und wird glaube ich in Mainz auch schon gemacht, wo man heute schon bis zu 10 % Wasserstoff zumischen kann für bestimmte Anwendungen, was dann glaube ich immer auch eine gewisse Adjustierung von Brennern bedeutet. Aber ich glaube, zwischen den beiden Dingen muss man unterscheiden. Also für Transportnetz ganz klar separate Röhren. Planung heute verläuft so, dass man einen Teil von Erdgaspipelines nutzen kann auf den Strecken, dass man teilweise aber auch zubauen muss, je nachdem wie die Belastung ist, sodass man vielleicht bis 2030 in bereits existierenden Trassen mit neuen Wasserstoffpipelines versorgt werden könnte. 

 

Göpel: Wo laufen die ungefähr lang? 

 

Riede: Die laufen eher in Richtung Rhein entlang. Also es gibt eine Nordlinie in Richtung Ruhrgebiet. Kann man sich vorstellen. Es gibt eine zweite große Linie in Richtung Lubmin, wo früher Nord Stream 1 und 2angekommen ist, das sind existierende Pipelines, also die eine kommt mehr aus dem Norden und die andere kommt mehr aus dem Osten. 

 

Robinius: Aber vielleicht da auch noch mal auf den über 100-Seiter verwiesen: Da haben wir schöne Karten auch abgebildet, wo das dann alles im Detail zu sehen ist. Und das Spannende ist, das ist ja keine Studie, sondern das sind zum Teil auch Pläne der Bundesnetzagentur. Also das sind Aktivitäten, die gestartet werden, also für die Zuhörerinnen und Zuhörer auch, glaube ich, ganz spannend, die sich mit dem Thema noch nicht so lange beschäftigen. Also es ist jetzt nicht so, dass wir das als Strategie entwerfen, sondern wir entwerfen dann eher noch die ja, ich sage mal die Ausgestaltung, wo wir sagen, gewisse Pipelinestränge müssen früher kommen im Vergleich zu dem, was wir halt vereinzelt sehen in dem Netzentwicklungsplan Gas. Aber das sind alles zum Teil auch wirklich Aktivitäten, die gerade gestartet haben und Projekte, die umgesetzt werden. 

 

Göpel: In der Roadmap sind nicht nur Pipelines angesprochen, sondern auch 600 Kilometer Wasserstraßennetz werden in der Studie oder der Roadmap als Transportweg genannt. Was mir so ad hoc durch den Kopf geschossen ist: Ist das tragfähig, wenn wir seit einigen Jahren mit niedrigen Pegelständen im Rhein kämpfen, Schiffe nicht fahren können und wir sagen Hey, da können wir zukünftig Wasserstoff transportieren? 

 

Robinius: Also Herr Riede hat es eben richtig zusammengefasst: Wenn wir über den eigentlichen Wasserstoffmarkt reden, dann reden wir über Wasserstoffpipelines in Europa. Einfach weil die Menge so extrem wird, dass wir die nicht anders transportieren können. Aber man sollte sich gerade für den Hochlauf, bis die Pipelines da sind, auch schon kreativ überlegen: Was lässt sich abbilden? Sei es jetzt über Schiffe, aber auch über Züge. Und da fehlt mir immer ein Stück weit das Element, dass ich erst mal schauen muss, ob es physikalisch machbar ist. Dann techno-ökonomisch. Und die Regulatorik, die schreibe ich einfach um. Also von daher haben wir uns da in der Strategie auch so ein Stück weit angenähert, was muss getan werden? Und dann muss halt der Gesetzgeber auch ein Stück weit ich sag mal gewisse Hürden aus dem Weg nehmen, damit es dann auch umgesetzt wird. 

 

Göpel: Was mich zu der Frage der Sicherheit bringt. Ich bin kein Chemiker, muss ich schon mal vorweg sagen. Ich oute mich jetzt also. Aber Wasserstoff ist für mich hochexplosiv und es sind kleinere Teilchen, also die kommen eher durch vielleicht Beton durch als andere Stoffe. Also wie sicher ist der Transport und die Verwendung von Wasserstoff durch die Pipelines, mit Zügen und Schiffen und in den Betrieben? 

 

Riede: Sie sagen richtig, das Molekül ist klein und geht überall durch. Jetzt sage ich mal so, zunächst ist das Molekül klein und es ist ein riesiger Vorteil, weil dadurch, wenn Sie eine kleine... Angenommen, Sie hätten eine Leckage, dann verteilt sich der Wasserstoff auch extrem schnell. Also der geht, weil er viel leichter ist als Luft, geht er sofort nach oben weg und verteilt sich sehr schnell und dadurch ist es extrem schwierig, tatsächlich in den explosiven Bereich reinzukommen. Des Weiteren werden heute bereits Industrienetze betrieben mit mehreren 100 Kilometer Länge, Wasserstoffnetze. Die kennen Sie wahrscheinlich gar nicht. Ich kenne sie auch nicht, erst seit wir uns damit beschäftigt haben. Aber dass man sie nicht kennt, ist ja gut in dem Zusammenhang, denn offensichtlich ist es sicher beherrschbar. Von der Seite her würde ich sagen ja, ist es beherrschbar. Da laufen zwar noch die ein oder anderen Untersuchungen, aber letztendlich auch von den Fernnetzbetreibern kommt immer die Aussage beherrschbar. 

 

Göpel: Wenn es dann beherrschbar ist und Herr Robinius sagt, dass ja auch Sachen gebaut werden müssen und dann die Genehmigung dazu erforderlich sind. Aus der Studie geht ja auch hervor, dass die Genehmigungsprozesse für Wasserstoffprojekte als anspruchsvoll bezeichnet werden. Wenn ich mir das jetzt für Windräder angucke, das dauert ungefähr sechs Jahre, bis o ein Windrad steht. Wie viele Jahre brauchen wir voraussichtlich für ein Wasserstoffprojekt, wenn wir das Genehmigungsverfahren in Deutschland einmal durchlaufen haben? 

 

Robinius: Also ich würde es andersrum drehen: Wie viel Zeit können wir uns erlauben in dem eigentlichen Prozess? Also wir haben ja jetzt bei dem LNG-Terminal gesehen, dass dann, wenn wir eine gewisse gesellschaftliche Herausforderung haben, auch gewisse Prozesse relativ schnell gehen. Aber ich würde gar nicht immer darüber gehen über gesetzte Elemente in der Transformation, dass ich sage, ich brauche im Schnitt vier, fünf Jahre, bis ich einen Genehmigungsprozess durchlaufen habe für eine große Pipeline. Sondern ich würde sagen, wann muss die Pipeline da sein, wie lange dauert es, bis sie gebaut wird, und das gibt einem das … dafür, die für die Genehmigungen. Und dann muss der Gesetzgeber hier auch noch mal Erleichterungen in jedweder Natur in Anbetracht ziehen. 

 

Göpel: Herr Riede, wie schnell muss dann der Ausbau erfolgen, um eine Abwanderung der chemischen Industrie, also der Wertschöpfungsketten zu verhindern? 

 

Riede: Über Abwanderung würde ich jetzt noch nicht reden wollen, sondern wir sind ja hier da, um insbesondere für den Standort Ludwigshafen zu kämpfen, ihn nach vorne hin weiterzuentwickeln. Trotzdem: Intern gehen wir davon aus, dass wir bis 2030 plusminus, dass wir tatsächlich an Wasserstoffpipelines angeschlossen sein können. Da sehen wir, ich sage mal, sehr viele positive Punkte, wenn wir mit Initiativen sprechen, wenn wir mit Betreibern sprechen, und zwar in der Form, dass das möglich sein könnte oder möglich sein wird. Da bin ich auch sehr optimistisch. Ich bin auch deshalb optimistisch, weil wir große politische Unterstützung haben, was den Wasserstoff Netzausbau angehet. Angefangen von BMWK und Bundesregierung über das Land Rheinland-Pfalz. Vor kurzem haben Sie vielleicht gehört, Herr Scholz hat mit Herrn Macron geredet. Herr Macron hat jetzt, offensichtlich wird jetzt eine Wasserstoffpipeline gebaut von Spanien nach Frankreich, auch wenn es eine andere Linie ist. Also da passiert politisch auch europäisch unheimlich viel. Und ich glaube erstens, wir müssen schnell vorankommen, sonst werden wir alle unsere Klimaschutzziele reißen, nicht nur mit dem Wasserstoffausbau, sondern auch mit dem Erneuerbaren-Stromausbau. Und ich glaube, das ist auch jedem bewusst, und deshalb bin ich sehr optimistisch, dass das gelingen kann. Also 2030 wäre meine Zahl für ein Transportnetz. 

 

Göpel: In acht Jahren, das ist sportlich, das wäre quasi ein Windrad und noch ein bisschen mehr. Ich drücke die Daumen, dass das klappt. Was ich auch in der Studie gesehen habe: Es soll eine Koordinierungsstelle Wasserstoff geschaffen werden in Rheinland-Pfalz. Ist das hilfreich oder einfach nur zusätzliche Bürokratie? 

 

Robinius: Also wir haben es ja empfohlen, deshalb bin ich da ein Stück weit befangen und muss sagen, es ist hilfreich. Spaß beiseite. Also wir haben das in Schleswig-Holstein gesehen, dass so eine Koordinierungsstelle hilft, weil am Ende ist Wasserstoff halt ein Energieträger, der in viele Sektoren reingreift. Und gerade diese Schnittstellen zwischen den Sektoren richtig zu bespielen, aber auch gerade den, ich sage mal den Mittelstand alle zu begleiten. Das heißt also, eine Koordinierungsstelle macht aus unserer Sicht sehr viel Sinn, einfach weil man die Expertise auch bündeln kann in dem Bereich und dann insgesamt auch dem Land Rheinland-Pfalz sozusagen, da auch einen gewissen Wissensvorsprung guttun kann. Und von daher glaube ich schon, dass das ein wichtiges Element ist in der Gesamtstrategie. 

 

Göpel: Jetzt haben wir verschiedene vielversprechende Projekte in Rheinland-Pfalz zum Thema Wasserstoff. Aus der Pressemitteilung der Landesregierung ging es hervor: die 184 Millionen €, die da in verschiedene Projekte investiert werden. Ich könnte mir vorstellen, dass so eine Koordinierungsstelle auch schaut: Was davon ist vielversprechend? Was kann weiterentwickelt werden? Meine Frage wäre, wie skalierfähig sind eigentlich diese verschiedenen Projekte, um den zukünftigen Bedarf zu decken? Also sind da Spielereien dabei oder ist da die Saat drin, wo man sagen kann, das kann man nach hinten raus skalieren, das ist hilfreich für das Land? 

 

Robinius: Ich würde es mal so definieren: Am Ende muss man sich der Tatsache stellen, dass jedwede Erzeugung in Rheinland-Pfalz durch einen erheblich stärkeren Import ergänzt werden muss, oder dass der eigentliche Hebel nachher der Import wird über eine Wasserstoffpipeline oder anderes. Aber die Elektrolyseure in Rheinland-Pfalz liefern einen wichtigen Beitrag für den Hochlauf. Die liefern auch nachher einen wichtigen Beitrag, sozusagen Bedarfe zu decken, aber sie sind nachher nicht das ausschlaggebende Element in der Versorgung von Wasserstoff. Das eine ist halt ein Modellergebnis techno-ökonomisch, wie viel installiert werden sollte, und das andere ist ein Stück weit, was empfehlen wir strategisch zur Selbstversorgung? Da sind wir bei ungefähr 2,5 Gigawatt in Rheinland-Pfalz bis 2040. Das zeigt schon mal so ein Stück weit die Größenordnung, wenn wir in den Dimensionen denken. Was man sagen muss, ist natürlich, dass viele der Projekte, die initialisiert werden, zum einen schon mal Knowhow-Aufbau haben. Das heißt also, da ist ein erheblicher Vorteil und auch da hat man sich Gedanken gemacht, wo die Elektrolyseure stehen. Ist das sinnvoll, stehen die an Netzengpassstellen? Und das sind alles Fragestellungen und Elemente. Aber ich glaube, am Ende wird es auch keine Koordinierungsstelle entscheiden, wo denn jetzt wie was gebaut wird, sondern am Ende sind das die einzelnen Akteure mit tollen Konzepten, guten Ideen, auch der Bedarf, der irgendwo nah an der Erzeugung liegen muss. Und dann halt entsprechend über Förderanträge oder einfach auch über ein cleveres Geschäftsmodell, wird sich dann herausstellen, wo wie ausgebaut wird. 

 

Göpel: Das Geschäftsmodell ist ja immer das, was uns auch in der Industrie viel umtreibt. Man investiert etwas und schaut, dass es irgendwo hinten Mehrwert gibt, wo man letztendlich seinen Gewinn hat. Herr Riede, können Sie so grob beziffern, was für ein Investment in der Chemieindustrie notwendig ist, um diese Transformation zu begleiten? 

 

Riede: Wir reden auf jeden Fall über Milliarden. Wir reden nicht über Millionen. Und ich rede im Moment auch nur über den Standort Ludwigshafen, also nicht über die chemische Industrie. Die Zahlen kenne ich nicht. Vielleicht, um doch noch mal den Bogen etwas weiter zu spannen: Dieses Ziel Net-Zero-Emissionen 2045 basiert natürlich nicht nur auf dem Thema Wasserstoff, es basiert auf dem Thema Elektrifizierung. Das heißt, wir werden mehr Prozesse und Verfahren elektrifizieren. Ein Beispiel ist die Dampfversorgung. Ludwigshafens chemische Industrie braucht viel Dampf. Heute wird es über Gaskraftwerke gemacht. Morgen wollen wir das ganze über Strom machen und zum Beispiel Wärmepumpen, die man dafür einsetzen kann. Dafür brauchen wir mehr Strom. Und wir haben ein zweites Projekt laufen für einen Cracker. Dort sind sehr heiße Rohre, die für die Reaktion beheizt werden auf 858 Grad - heute mit Erdgas, zukünftig gegebenenfalls mit Strom, also Elektrifizierung wird ein wichtiger Teil sein. Ein anderer Teil ist der Wasserstoff und der Ausgangsstoff für die Reaktionen. Damit kann ich zum Beispiel CO2, was ich abscheide, mit Wasserstoff umwandeln zu Methanol und daraus wiederum weitere Produkte herstellen. Und all diese Dinge müssen ineinandergreifen. Was Sie vielleicht dabei sehen ist: Dann brauche ich ein Kraftwerk. Ich brauche auch noch mal ein Backup, wo ich vielleicht Gasturbinen auf Wasserstoffturbinen umrüste. Und diese Dinge müssen ineinandergreifen. Und aus heutiger Sicht werden wir über viele, viele Milliarden reden, die wir da rein investieren müssen. Und deshalb ist es für uns so wichtig, dass diese Produkte sowohl Strom, das ist Netzausbau aus Wasserstoff, dass die Infrastruktur vorhanden ist, weil diese Infrastruktur muss ja auch noch gefüllt werden. Ich brauche also einen riesigen Ausbau erneuerbarer Energien und ich brauche aber auch Wasserstoff in sehr großen Mengen. Also heute haben wir einen Verbrauch oder eine Herstellung von 250.000 Tonnen. Diese Rohre müssen gefüllt sein und auch letztendlich wirtschaftlich, ich sage mal zu angemessenen Preisen, um die Wettbewerbsfähigkeit hier erhalten zu können. Und beides soll jetzt die nächsten 20 Jahre passieren. Und das sind eben große Investitionen bei uns, aber eben auch an anderen Stellen, um die Elektrolyseure aufzubauen oder andere Quellen für klimafreundlichen Wasserstoff zu erschließen. Wir könnten jetzt in die Farbenlehre einsteigen. Es gibt auch den sogenannten blauen Wasserstoff, der günstiger hergestellt werden kann, der auch 95 % weniger CO2-Emissionen hat als der heutige Wasserstoff. Aber Tatsache ist: Wir müssen schnell nach vorne kommen. 

 

Göpel: Das würde ich ganz gerne mal noch zusammenfassen mit den Sektorzielen der Landesregierung. Also wir haben einen riesengroßen Invest vor uns. Wir müssen die Pipelines bauen, wir müssen die Infrastruktur dazu herrichten. Und für mich klingt das immer so nach einem Wenn-dann, also Treppenstufen: Wenn eine Sache erledigt ist, kann so das nächste gemacht werden. Jetzt haben wir aber die Sektorziele der Landesregierung, um die Klimaschutzziele zu erreichen direkt an die Industrie, die ja dann auch eher linear verlaufen. Jetzt nicht zwingend nur ein Konzern, der vielleicht auch mehr Möglichkeiten hat, sondern vor allem kleine und mittelständische, die dann noch mal zusätzlich Personal einstellen müssen, um das alles irgendwie händeln zu können. 

 

Robinius: Am Ende sind das ja auch alles Möglichkeiten. Also wenn wir hier von Investitionen in Infrastruktur reden, dann reden wir auch zum einen, dass wir Wertschöpfung im Land behalten. Und eine Investition ist auch am Ende immer ein Wertschöpfungstreiber. Das heißt also, wenn ich jetzt in die Infrastruktur investiere, ich baue Wasserstoffpipelines, ich brauche Stahl, ich brauche Handwerker, die das entwickeln, also ich habe auch gewisse Chancen. Und wenn wir uns da anschauen, wo in weiten Teilen auch ein Stück weit die Wertschöpfungseffekte auch uns abhandengekommen sind, im Bereich PV beispielsweise, leider auch jetzt in Richtung Wind, dann würde ich sagen, haben wir doch jetzt hier mal eine Chance, auch im Bereich Wasserstoff vielleicht das eine oder andere auch in Deutschland umzusetzen und nutzen zu können. Von daher sind das auch Chancen. Aber in der Tat, es ist eine erhebliche Anforderung an alle. Also es ist ein Transformationsprozess, der auf die Industrie greift, der auf die gesamte Gesellschaft greift. Wir sehen’s ja auch an den Aktivitäten, wo man sich auf Straßen festklebt und andere Punkte, wo man sieht, es erfordert relativ viel in diesem Transformationsprozess, aber hier gilt es halt den geeigneten Rahmen zu finden und dort Unterstützung zu geben, wo man sie braucht. Also wenn ein Mittelständler, der jetzt eine kleine Anzahl an Mitarbeitern hat, produzierendes Gewerbe vielleicht, dass die dann nicht einen Wasserstoffexperten einstellen können, der die Transformation für die übernimmt, ist klar. Aber dort sollen und müssen dann auch Aktivitäten greifen, wie das, was wir eben besprochen haben. Die Koordinierungsstelle, wo man vielleicht dann auch auf Expertise zurückgreifen kann, die einem dann hilft in der eigentlichen Umsetzung. 

 

Riede: Aus meiner Sicht: Die Gefahr der Überforderung ist da. Von der Seite her ist das eine gute Frage, weil im Moment tatsächlich massiv viel auf die Industrie zukommt. Ich gehe da noch mal auf die Transformation ein, die Transformation an sich. Wir haben momentan Ukrainekrieg mit Erdgas-Mangellage, wo wir auch ja alle möglichen Verfahren umstellen, um Erdgas einsparen zu können. Wir haben auch noch weitere Aktivitäten wie die Chemikalienstrategie. Ein riesiger Stretch, die […]-Directive, wo dann tatsächlich noch mal auch für die bisherigen Verfahren noch mal Verschärfungen der Emissionen angegangen werden sollen. Da kommt massiv viel auf uns zu. Und wofür wir plädieren in der Industrie ist tatsächlich: Macht’s einfacher und macht’s pragmatisch. Also insbesondere die Wasserstoff-Gesetzgebung oder Grünstrom-Kriterien, damit man grünen Wasserstoff herstellen können: Wo Zeitgleichheit gefordert wird, wo ich Grünstrom nur erhalten kann, wenn ich einen neuen Windpark in Betrieb nehme. Aber vor allem auch die Zeitgleichheit, also nur, wenn dieser Windpark irgendwo in Norddeutschland weht, dann darf ich produzieren. Das sind alles Kriterien, ganz ehrlich, auch für Fachleute, Experten sehr schwer zu organisieren, nachzuvollziehen. Und es behindert auch. Und unser Thema ist wirklich: Macht’s pragmatisch. Dort, wo wir CO2 einsparen können, gebt uns die Freiheit, dann das tatsächlich auch so umzusetzen. Und das hat auch was zu tun mit Technologieoffenheit. Wenn man auf Wasserstoff sieht: Man kann Wasserstoff auf viele Arten herstellen. Entscheidend ist, dass wir CO2 einsparen, und das möglichst schnell. Das ist unser Plädoyer dazu, weil dieses Thema 2045, es mag noch weit erscheinen, in 20 Jahren. Aber ganz ehrlich, auch aus Investitionssicht: Es ist schon sehr bald da und wir sind jetzt auch raus aus der Zeit, wo man noch erforschen und prüfen und testen. Wir sind jetzt tatsächlich angekommen da, wo wir umsetzen müssen. 

 

Göpel: Herr Riede, ich bleib bei Ihnen. Was müssten aus Ihrer Sicht die Unternehmen in der chemisch-pharmazeutischen Industrie tun, um die Umstellung von Erdgas auf Wasserstoff zu unterstützen oder voranzutreiben? Weil ich denke, nicht jeder hat sich mit dem Thema so intensiv beschäftigt wie Sie. Aber was wären vielleicht so drei Punkte auf Ihrer Checkliste, wo Sie sagen, dass müsste jetzt passieren, damit wir da ein bisschen Zug reinkriegen. 

 

Riede: Die Frage ist immer: von Erdgas aufWasserstoff für welchen Anwendungszweck? Wenn es darum geht, die ich sag mal Beheizung von Prozessen bis zu 100 Grad umzustellen, da würde ich, oder auch Gebäude heizen, da würde ich immer plädieren - und so steht es auch in der Wasserstoffstrategie drin -, in Richtung Wärmepumpen zu gehen. Dort kann man zwar Wasserstoff einsetzen, technisch möglich, aber meines Erachtens nicht sinnvoll. Dann nutzt man den Strom lieber effizient direkt, als über den Wasserstoff zu gehen und dann wieder zu verbrennen. Wir als BASF versuchen das zu nutzen, indem wir für unsere Dampferzeugung bis 2, 300 Grad auch in Richtung Wärmepumpen gehen und direkt elektrifizieren. Für Hochtemperatur-Anwendungen sieht das anders aus, 6, 7, 800 Grad. Dort kann man auch über Wasserstoff reingehen, dort ist irgendwann die Und wir wiederum brauchen den Wasserstoff stofflich. Da gibt es keine Alternative, da brauchen wir Wasserstoff, um das in unsere Moleküle einbauen zu können. Also ich denke mal, es hat damit zu tun, was sind die Alternativen und je nachdem oder was sind die Anwendungsfälle? Und je nach Anwendungsfall gibt es eine bestimmte Technologie, die wir jetzt beschreiten sollten, um eben diese Transformation voranzutreiben. 

 

Göpel: Zum Abschluss meine Frage, Herr Riede, oder zwei Fragen. Herr Riede, Sie haben ja gesagt, in acht Jahren, bis 2030 ungefähr haben wir das so weit. Geben wir noch mal fünf Jahre drauf. Wir sind im Jahr 2035. Wie realistisch ist es, dass 2035 der Wasserstoff der dominierende Stoff sein wird, zum Beispiel gegenüber dem derzeit genutzten Erdgas und zum Beispiel gegenüber dem in der Schifffahrt bevorzugten Ammoniak? 

 

Robinius: Ist natürlich immer schwer, in die Glaskugel zu schauen und ein treffendes Ergebnis zu liefern. Als Zukunftsforscher oder für die techno-ökonomische Energiesystem-Analyse kann man sich an gewissen Trends entlanghangeln und man kann unterstellen, was ist ökonomisch sinnvoll. Aber es gibt auch Elemente, exogene Schocks. Den Krieg in der Ukraine hat so niemand gesehen. Die Abwanderung von Erdgas in diesem, ich sag mal in diesen exogenen Schock begründet, wie wir sie aktuell sehen, hat man so auch nie geglaubt. Für uns war ja Erdgas immer die Brücke, die wir uns gönnen wollten. Das heißt also, ich hoffe ehrlich gesagt, dass wir das schaffen. Ich sehe da auch die Weichen gestellt. Also ich sehe auch, wie Herr Rede eben gesagt hat, auch den politischen Background. Ich sehe es auch in der Industrie, also momentan, es wird ja jetzt, wenn man sich die Erdgaspreise anschaut, jetzt schon vieles wirtschaftlich, wo man einen gewissen CO2-Preis unterstellt hat für die Zukunft, dass man überhaupt dahin kommt. Und ich glaube, wir sind alle so ein Stück weit über dieses Event aufgewacht, das muss man auch mal sehen. Wir haben ja mehrere Vorteile von Wasserstoff. Wir haben zum einen den Beitrag hin zur Energiewende, aber wir haben auch andererseits den Beitrag hin zur Souveränität von Deutschland in der Energieversorgung. Wir werden insgesamt deutlich niedrigere Importquoten haben im Vergleich zu heute, und zum anderen werden wir Wasserstoff auf dem weltweiten Markt beziehen können, der, ich sage mal, nicht über einzelne Systeme geprägt ist, die sich vielleicht nicht unbedingt den demokratischen Rahmenbedingungen so unterwerfen wie wir. Und von daher glaube ich, dass man da insgesamt schon eine gute Chance hat und ich bin schon überzeugt, wenn wir jetzt diesen Pragmatismus, ich mache noch mal das Beispiel Energieterminal, den Pragmatismus wirklich jetzt mal umsetzen und nicht alles versuchen auf Deutsch umzusetzen im Sinne von alles muss perfekt ausgestaltet werden, sondern wir erlauben uns vielleicht auch mal, dass eine Pipeline zwei Jahre unausgelastet ist. Das müssen wir dann halt mal ökonomisch akzeptieren. Immer noch besser, als wenn wir dann sie brauchen und nicht haben. Also ich denke von daher dieser Pragmatismus, wenn wir den jetzt retten, dann werden wir das auch schaffen. 

 

Riede: Die Richtung würde ich auch gehen. 2030, habe ich gesagt, gehe ich davon aus, dass wir einen Pipelineanschluss haben hier Ludwigshafen, in Süddeutschland. Die Pipeline zu füllen mit ausreichenden Mengen muss natürlich auch sichergestellt werden. Und daher glaube ich, wird es dann anlaufen und wir werden in 2035 schon die ersten Effekte auf jeden Fall sehen der Substitution von Erdgas zu Wasserstoff glaube ich wohl. Ob es schon dominierend ist, da bin ich mir unsicher. Vielleicht 40:60, 60:40, wie auch immer. Ich glaube, das wird dann tatsächlich erst im zweiten Teil des Jahrzehnts stattfinden, weil dann überall weltweit die Kapazitäten hochlaufen werden. Es müssen auch die ganzen Transportwege letztendlich funktionieren, die Supply Chain. Ist es dann tatsächlich ein Wasserstofftanker, wird’s über Ammoniak transportiert und dann gibt es wieder ein Cracker an einem der großen Häfen? Also da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Das muss alles jetzt aufgebaut werden und ich vermute, dass man das tatsächlich der dominante Teil Wasserstoff erst im zweiten Teil des Jahrzehnts sieht. 

 

Göpel: Die zweite Frage, auch das Jahr 2035. Inwiefern, glauben Sie, wird dann Rheinland-Pfalz eine Modellregion für Wasserstoff sein oder auch darüber hinaus nur eine Region von vielen, weil ja alle nach Wasserstoff greifen? 

 

Robinius: Es ist schon eine Modellregion, einfach wegen der BASF, um eins zu nennen, bzw auch bezüglich des Mittelstandes. Also man hat schon, ich sage mal spezifische Ausprägungen in Rheinland-Pfalz, die einfach dazu führen werden, dass man eine Modellregion ist und andererseits dann halt die Zielr. Ich sage mal so, in Rheinland-Pfalz wird man fünf Jahre früher sehen, was wir im Rest von Deutschland sehen werden, weil die Ziele ja fünf Jahre vorher sind. Von daher sehe ich da schon einen erhebliche Modellregion-Charakter. 

 

Riede: Also ich habe auch den Eindruck, Rheinland-Pfalz kann da durchaus eine gute Rolle spielen. Ich würde nicht nur BASF nennen, sondern auch Daimler Truck in Wörth, die ja Wasserstoff-LKWs auf den Markt bringen wollen und damit die Mobilität auch an der Stelle umstellen wollen, ganz wichtig. Ein Hauptpunkt ist eigentlich, dass Rheinland-Pfalz mitten in Deutschland liegt und dadurch automatisch ein Stück weit ein Knotenpunkt wird und ich gebe zu, ja mit uns BASF als großer Verbraucher natürlich beste Chancen hat, an diese Netze Anschluss zu finden. Wir sind nah an Frankreich. Auch da ist, glaube ich, Rheinland-Pfalz unterwegs. Also von der Seite her kann man sehr gute Chancen sehen, dass wir da eine besondere Rolle spielen in Deutschland. 

 

Göpel: Herr Robinius, Herr Riede, vielen Dank für das Gespräch. Sie sind ja auf vielen Projekten und mit vielen Projekten auch beschäftigt. Und meine allerletzte Frage löst sich von allem, was wir bisher als Thema hatten. Wenn Sie ein Projekt erfolgreich abgeschlossen haben, Sie sitzen im Zug oder im Auto und dürfen ein Musikstück Ihrer Wahl einschalten, um sich zu freuen oder zu entspannen. Was wäre Ihre spontane Antwort, welches Musikstück Sie einschalten würden? 

 

Riede: Bei mir wäre es Simply Red. Ich war Mittwoch auf einem Konzert und das war ganz prima. Und da fast alle Lieder. 

 

Robinius: Bei mir irgendwas von Phil Collins. 

 

Göpel: Ja, viele Fragen, doch zu wenig Zeit. Und in meinen 30 Minuten will ich wenigstens grob bleiben. Deswegen, liebe Zuhörende, das war eine weitere Folge von Wir. Hear. Zu Gast waren Thomas Riede von der BASF und Martin Robinius von der Energieagentur Umlaut. Wir haben über die Wasserstoff-Modellregion Rheinland-Pfalz gesprochen. Wenn Sie Fragen, Hinweise oder sogar Lob haben, dann senden Sie mir eine Mail an podcast@wir-hier.de. Vielen Dank und bis bald, Ihr Tobias Göpel.

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Neue Kampagnen-Runde von „Ihre Chemie“

Die Initiative Chemie im Dialog (CID) betreibt seit vergangenem Jahr das Portal "Ihre Chemie". Es soll ein Bewusstsein dafür schaffen, welche Bedeutung die Chemieindustrie für eine klimafreundliche Transformation der Wirtschaft und Gesellschaft hat. Gerade startete ein weiterer Teil der Awareness-Kampagne, diesmal mit einem Fokus auf das Thema Rohstoffe.

Person in Chemielabor. Foto: stock.adobe.com - Gorodenkoff

Rheinland-Pfalz strebt an die Spitze des Biotechnologie-Sektors. Eckhard Thines ist Landeskoordinator für Biotechnologie in Rheinland-Pfalz. Er erläutert in der neuen Folge des Podcasts Wir. Hear., wie die Region durch gezielte Investitionen und strategische Bildungsinitiativen bis 2031 zu einem führenden Standort werden soll.
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Tobias Göpel: BioNTech, Boehringer Ingelheim, Novo Nordisk. LTS Lohmann. Die Liste erfolgreicher Pharmaunternehmen in Rheinland-Pfalz ist lang. Nun will auch Eli Lilly investieren. Rheinland-Pfalz soll bis 2031 ein Spitzentechnologiestandort werden. So will es die Landesregierung. Wie soll das gelingen? Was brauchen wir dafür? Und was heißt das für die Menschen im Land? Darüber spreche ich in dieser Folge mit Eckhard Thines, dem Landeskoordinator Biotechnologie für Rheinland-Pfalz. Hallo! Herzlich willkommen!
Eckhard Thines: Hallo, Herr Göpel!
Tobias Göpel: Meine erste Frage ist: Wir haben jetzt schon angekündigt, die neu dazukommen. 1000 Beschäftigte sollen in Alzey zukünftig eine berufliche Heimat haben. Zusätzlich habe ich von BioMainz erfahren, dass die international bedeutsame Curious-Konferenz 22 in Mainz stattfinden soll. Das klingt so nach einer Erfolgsgeschichte. Ist das auch eine?
Eckhard Thines: Sie haben jetzt schon gesagt, Lilly kommt. Wir haben in Rheinland-Pfalz ganz viele große Biotechnologieplayer. Die Erfolgsgeschichte hat schon vorher angefangen. Ich darf an BASF und Boehringer erinnern und an viele andere Firmen in Rheinland-Pfalz, die Biotechnologie machen und das ganz hervorragend machen. Und es ist eine Erfolgsgeschichte. Das ist eine Aneinanderreihung vieler Erfolgsgeschichten. Und ich werde auch nicht müde, in dem Kontext zu sagen, dass die Biotechnologie eine Schlüsseltechnologie für das 21. Jahrhundert ist. Und was heißt das eigentlich? Also, mit der Biotechnologie kommt die Anwendung biologischer Prinzipien für die Herausforderungen der Gesellschaft. Und wenn wir in Rheinland-Pfalz in dem Bezug ganz viel anbieten können, dann ist das eine Erfolgsgeschichte. Ohne Frage. Und on top kommt auch noch an der Stelle, dass die Biotechnologie als nachhaltig gilt. Also nicht nur eine Erfolgsgeschichte, sondern hoffentlich auch eine erfolgreiche, eine nachhaltige Erfolgsgeschichte. Und Sie haben jetzt Curious angesprochen. Das würde ich auch gerne noch ganz kurz kommentieren. Die Curious ist eine ganz interessante Konferenz, weil es eine Konferenz ist, bei der junge Leute zusammenkommen, um Zukunft zu diskutieren. Und das ist für uns in Rheinland-Pfalz tatsächlich eine Riesenchance, dass wir zeigen, was können wir in Rheinland-Pfalz und wie stellen wir die Biotechnologie in Rheinland-Pfalz auf, um die zukünftigen Herausforderungen der Menschheit und der Gesellschaft zu adressieren? Und Biotechnologie wird mit Lösungen dazu beitragen, dass wir das adressieren können.
Tobias Göpel: Jetzt haben Sie gesagt, dass die Biotechnologie schon eine größere Vergangenheit im Rheinland-Pfalz hat. Ist das jetzt so? Der rosa Elefant weiß gerade, was das Thema ist, dass wir plötzlich draufkommen. Oder haben wir einfach in der Vergangenheit uns zu wenig darauf konzentriert oder geklappert, darüber gesprochen?
Eckhard Thines: Sie sagen jetzt geklappert. Ich habe das neulich in dem Interview gesagt. Wir klappern zu wenig. Ich fange mal an bei den Kollegen von Boehringer und bei den Kollegen von VW in Ludwigshafen. Das sind wunderbare Kollegen, die tolle Forschung machen, um zum Beispiel Krebs, neurodegenerative Krankheiten, Diabetes zu adressieren. Es geht weiter mit Nowowasweißich. Und wir haben die BASF in Ludwigshafen, dass sie, wenn sie die Gänze dieser ganzen Firmen mal zusammennehmen und ich habe jetzt nur die größten genannt, das hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es müssen wir die Kollegen nachsehen, die, die sie jetzt nicht genannt schön an, dann, dann ist das wirklich viel, viel Masse. Was wir in Rheinland-Pfalz, in Biotechnologie haben und das nicht nur in Pharma, sondern auch in anderen Sparten. Und ja, ich bin der Meinung, wir haben in der Vergangenheit vielleicht nicht genug darauf hingewiesen, dass das alles biotechnologische Ansätze sind und was da für ein Zukunftspotenzial auch drin liegt. Es gilt natürlich auch in der Biotechnologie eine Akzeptanz in der Bevölkerung und in der Gesellschaft zu schaffen.
Tobias Göpel: Ist das dann jetzt Ihr Job als Koordinator, so ein Botschafter zu sein für Verständnis und für mehr Klappern?
Eckhard Thines: Das würde ich ganz stark hoffen und auch annehmen. Ja, ist der der Job des Landeskoordinators ist ja so ein Job, den man vergleichsweise frei interpretieren kann. Und ich meine, jetzt möchte man so einen Standort weiterentwickeln. Entwickeln würde ich nicht sagen weiterentwickeln, weil ich habe ja jetzt schon ausgeführt, dass wir ganz viele starke Player am Standort haben. Und wenn sie das tun, dann machen sie es auf verschiedenen Ebenen. Zum einen machen sie das auf der Ebene der Forschenden an Fachhochschulen, Universitäten, in außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Die Forschung geht weiter. Ich habe über Anwendungsbereiche geredet. Dann redet man natürlich auch mit den Forschenden in der Industrie. Man macht Outreach. Das ist eine ganz, ganz wichtige Geschichte. Und ich glaube, dass das etwas ist, was jetzt auch an mir liegt, dass man das stärkt und weiter fördert. Dazu kommt noch, dass wir natürlich, wenn wir den Standort weiterentwickeln, auch über Marketing reden müssen. Wir müssen über eine Start-up-Kultur reden, über Transferstrategien müssen wir reden. Und das sind verschiedene Ebenen. Und diese Ebenen miteinander zu vernetzen und zu koordinieren, halte ich für sehr wichtig. Dazu kommt noch, dass wir jetzt auch hier am Standort wahnsinnig viel in Infrastruktur, Geräte und Gebäude investiert haben. Und auch da gilt es zu vernetzen und zu koordinieren. Wie passt das zusammen? Welche Bedarfe hat man? Und so weiter und so fort. Und last but not least, das ist auch eine ganz, ganz wichtige Sache für mich an der Stelle, wenn man koordiniert oder vernetzt, dann gilt es natürlich auch, dass man Vorschläge macht und Konzepte entwickelt, dass man als Fachmann einfach Bedarfe identifiziert, neue Herausforderungen identifiziert und basierend auf dieser Analyse dann Konzepte entwickelt. Es ist immer schnell gesagt, man investiert jetzt irgendwie so viel Millionen im Land und dann kann man etwas aufbauen. Ich bin da eher so ein bisschen anders gestrickt. Ich frage eigentlich immer nach Konzepten und dann fragt man nach den Ressourcen, die man braucht, um diese Konzepte zu erfüllen oder die Ziele zu erreichen. Und da sehe ich tatsächlich meine Aufgabe als Landeskoordinator. Und natürlich auch, um der Politik zu vermitteln, was es für den Forschenden oder für denjenigen, der hier als Start-up herkommt, an einem Standort bedarf und was wichtig ist, was man entwickeln muss.
Tobias Göpel: Wo kann ich mir vorstellen, sind Sie verortet? Ist das so etwas Ehrenamtliches neben einer Professur oder sind Sie Ministerialbeamter? Also, in welchem Geflecht stehen Sie dann?
Eckhard Thines: Nein, ich bin ordentlicher Professor an der Johannes Gutenberg-Universität, und ich mache das tatsächlich im Ehrenamt. Diese Koordinationsstelle ist ein Ehrenamt der Landesregierung, und ich fühle mich sehr geehrt, dass man mich damit betraut hat. Denn ich bin der festen Überzeugung, dass es wirklich wichtig ist, dass das von jemandem aus der Biotechnologie administriert wird. Es braucht ein bisschen Fachkompetenz, um auch aus Sicht der Forschenden sagen zu können, hier geht die Reise hin, und hier haben wir den entsprechenden Bedarf.
Tobias Göpel: Wobei das jetzt schon nach einer Menge Aufgaben klingt und auch eher nach längeren Abenden.
Eckhard Thines: Ja, das ist so. Zusätzlich leite ich auch noch ein Forschungsinstitut und bin auch noch Dekan der Biologie. Aber wenn Sie das auf der anderen Seite sehen, ist diese Fülle an Aufgaben und Jobs, die man hat, auch eine gigantische Chance. Man kann gestalterisch auch etwas tun, und das ist an der Stelle ohne Zweifel zeitintensiv, aber auch eine tolle Herausforderung.
Tobias Göpel: Das klingt gut. Haben Sie da einen Überblick, wie viele Biotech-Unternehmen derzeit überhaupt in Rheinland-Pfalz tätig sind? Erfassen und nicht namentlich nennen, aber so eine grobe Zahl, wie viele gibt es?
Eckhard Thines: Das ist schwierig. Das ist deswegen schwierig, weil es keine klare Definition gibt. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wenn Sie die Firma Röhm in Worms anschauen, die Absorber herstellt, mit denen man molekulare Stoffe aus dem Abwasser klären kann, würden Sie sagen, dass es Biotechnologie ist? Schon, aber das würden nicht alle sagen. Und das ist ein bisschen schwierig, da die Trennschärfe reinzukriegen. Aber ich kann Ihnen sagen, dass wir zehn große Player in Rheinland-Pfalz haben, auf die ich wahnsinnig stolz bin, und dass wir sicherlich noch mal 20-30 Biotechnologie-Firmen in Rheinland-Pfalz haben, die mittelgroß sind. Das alles ist schon wirklich gut für ein Bundesland.
Tobias Göpel: Also, ich glaube, die meisten Menschen denken bei dem Begriff Biotechnologie an ein Unternehmen in Mainz, an den mRNA-Impfstoff. Der Geldsegen war nicht nur für Mainz selbst, sondern auch für andere Orte. In Rheinland-Pfalz Kronach ist nun vorbei, der Geldsegen auch. Was können wir von der Biotechnologie zukünftig erwarten? Gibt es noch mal einen Schub oder wird es jetzt ganz entspannt weiterplätschern und eher wissenschaftliche Erfolge geben?
Eckhard Thines: Lassen Sie mich kurz auf Ihre Frage eingehen. Die moderne Technologie hat uns neue Perspektiven eröffnet. Das ist die neue therapeutische Möglichkeit, die wir vorher nicht hatten, und die wird bleiben. Das ist der erste Teil der Antwort. Aber ansonsten bin ich fest überzeugt, dass wir uns in Zukunft auch auf neue Möglichkeiten bei der Behandlung von Krankheiten, chronischen Krankheiten, von Krebs, von neurodegenerativen Krankheiten, von Diabetes freuen können. Es werden wissenschaftliche Grundlagen gelegt. Ich habe jetzt darüber gesprochen, dass wir hier eine neue therapeutische Möglichkeit haben. Ob man RNA nimmt, therapeutische Antikörper oder molekulare Wirkstoffe – die Art, also es gibt einen Anfang, eine Bandbreite an Möglichkeiten, wie wir neue therapeutische Ansätze finden können. Und da können wir noch viel von der Biotechnologie erwarten. Ich habe bisher nur über Pharma gesprochen. Biotechnologie ist ja so eine Sache. Es wird oft von roter Biotechnologie gesprochen, wo wir Biomedizin oder Pharma verstehen. Aber wir haben auch die weiße und die grüne Biotechnologie. Lassen Sie mich betonen, dass es wichtig ist, die Biotechnologie nicht so zu verstehen, dass man für jede dieser Indikationen alles neu machen muss. Biotechnologie bietet Infrastruktur, Ressourcen und Möglichkeiten, die man in den verschiedenen Bereichen gemeinschaftlich nutzen kann. Und das tun wir am Standort. Wir bauen eine Infrastruktur auf, setzen Ressourcen und Kompetenzen ein, die man nicht nur in roter oder grüner Biotechnologie, sondern auch in weißer Biotechnologie nutzen kann. Sie fragen, was können wir von der Biotechnologie noch erwarten? Ich erwarte, dass die. Die jungen Leute gehen auf die Straße wegen Klimaschutz, auch hier, wenn sie den European New Deal sehen. Und wenn sie die Herausforderung im Green Deal sehen? Ich bin fest überzeugt, dass in der weißen und grünen Biotechnologie Lösungsansätze geboten werden, die auch dazu beitragen, dass wir dem European Green Deal gerecht werden. Und das ist für mich auch etwas abseits von Pharma und roter Biotechnologie, was ein hohes Gut ist und wo ich mir viel Potenzial erwarte. Wir wollen der erste klimaneutrale Kontinent werden, und Biotechnologie wird einen Beitrag leisten. Ganz sicher.
Tobias Göpel: Jetzt haben Sie die drei Felder angesprochen. Ich weiß aus dem Pharmabereich, Forschung kostet viel Geld. Bis 2026 will die Landesregierung 800 Millionen € in den Biotechnologiestandort investieren. 800 Millionen sind einerseits viel, andererseits vor dem Hintergrund, was Forschung kostet, kann man auch sagen, es ist nett. Wofür wird das Geld verwendet?
Eckhard Thines: Das ist ein abendfüllender Vortrag. Die Zeit haben wir jetzt nicht, aber ich würde an der Stelle gerne drei große Schwerpunkte setzen. Das eine ist Gebäudeinfrastruktur. Als diese Biotechnologie-Initiative des Landes ins Leben gerufen wurde, war die erste Frage nach und nach Raum. Also, wo finden wir eigentlich Raum für Firmen, für Start-ups, für Forschungsgruppen, für Nachwuchsgruppen, die sich hier ansiedeln wollen und die hier Biotechnologie machen wollen? Hier hat die Landesregierung vehement investiert. Ich nenne jetzt nur die Universitätsmedizin als Beispiel. Also da ist sehr, sehr viel in Gebäudeinfrastruktur investiert worden und Gebäudeinfrastruktur. Es ist nun mal wichtig. Sie haben es angesprochen, Biotechnologie ist teuer. Wenn wir etwas programmieren wollen, brauchen wir ein Büro und zwei Computer. Wenn wir Biotechnologie machen wollen, brauchen wir eine Infrastruktur, die auf dem technisch cutting-edge Niveau sein muss und die auch permanent weiterentwickelt werden muss. Und da geht leider viel Geld rein. Das muss man als Invest einfach nehmen und damit aber auch Möglichkeiten schaffen, auch für Start-ups. Und da bin ich bei der Forschungsinfrastruktur als Punkt 2 Forschungsinfrastruktur. Für die gilt eigentlich genau dasselbe wie für Gebäudeinfrastruktur. Wenn wir an dieses Beispiel noch mal denken mit diesen Start-ups, kein Start-up kann sich jetzt die neueste Technologie im Bereich von, ich sage mal, hochauflösender Mikroskopie oder von Mikroskopie leisten. Was wir gemacht haben: Wir haben hier am Standort ein Mikroskopie-Center errichtet, wo sie die modernsten Mikroskope bis hin zum Nobelpreis-Mikroskop finden. Und Start-ups haben die Möglichkeit, das zu nutzen. Und das ist wichtig, dass das junge Leute, junge Menschen mit kreativen, innovativen Ideen an Standort kommen und dort alles vorfinden, sodass sie in möglichst kurzer Zeit wettbewerbsfähig werden. Das ist der Dreh- und Angelpunkt. Also, wenn wir das hinkriegen und da ist viel Geld reingeflossen, dann wird dieser Standort auch wirklich vernünftig und nachhaltig weiterentwickelt. Und das dritte sind Forschungsinitiativen. Auch da ist natürlich irgendwo muss Kreativität und müssen innovative Ideen herkommen und da muss man auch Geld in die Hand nehmen, um Forschungsinitiativen zu starten und zu lancieren. Sie wissen, wir hatten eine Studie von der Unternehmensberatung Roland Berger, um einfach auch zu schauen, ob die Maßnahmen, die wir jetzt begonnen haben, zielführend sind und den Bedarf tatsächlich adressieren. Und da wurde auch klar gesagt: Wir müssen Stärken, stärken und die stärken, also die Rote Biotechnologie, Pharma, Biotechnologie ist natürlich eine Stärke in diesem Bundesland. Und Forschungsinitiativen, die in diese Richtung gehen, wurden auch initiiert und angeschoben. So, sodass wir uns von da auch ganz viel Innovation und neues Potenzial erwarten.
Tobias Göpel: Jetzt klingt das gut für Unternehmen, für Start-ups. Infrastruktur wird aufgebaut. Aber wie profitieren die Menschen im Land konkret aus Ihrer Sicht von dieser Entwicklung, von Neuansiedlung und Förderung?
Eckhard Thines: Ja, die Menschen im Land profitieren natürlich. Das haben wir bei Biotech gesehen, dass ein hochattraktiver Markt entsteht, dass Produkte mit hoher Wertigkeit entstehen und mit einem hohen Marktpotenzial. Und dass mit diesem Markt natürlich auch ein wahnsinnig attraktiver Arbeitsmarkt nach Rheinland-Pfalz kommt. Das ist für die nächste Generation ganz entscheidend. Sie haben mich am Anfang gefragt, was meine Motivation ist, jetzt noch einen Job anzutreten. Also ich glaube, wir sind an der Universität, aber auch als Gesellschaft der nächsten Generation verpflichtet. Und diese nächste Generation kriegt hier eine echte Perspektive. Wir kriegen hier einen Arbeitsmarkt mit tollen Arbeitsplätzen für qualifizierte junge Menschen. Und ich habe schon gesagt, dass es nachhaltig die Wachstumsprognosen für diesen Arbeitsmarkt sind sehr, sehr gut. Also man geht davon aus, dass sich das vom Jahr 2020 bis zum Jahr 2030 verdoppeln wird. Und damit kommt eben diese Perspektive für die nächste Generation.
Tobias Göpel: Am Ende geht es ja um Jobs in Start-ups. Innovation und Forschung bedeuten ja auch ein gewisses Niveau. Welche Qualifikationen müssten denn diese Menschen dann mitbringen? Können es nur Akademiker sein, die dann da infrage kommen, oder auch andere?
Eckhard Thines: Nein, natürlich nicht. Also auch andere. Natürlich müssen wir, wenn wir an den Arbeitsmarkt denken, auch an technisches Personal denken. Technische Assistenten, Ingenieure, Laboranten. Das müssen wir mitdenken, das dürfen wir nicht vergessen, wenn wir auch über Ausbildung reden. Und wenn Sie mir dann auch noch erlauben: Wir hatten, wenn man so an der Uni sitzt und man diskutiert über neue Ausbildungsgänge und wo gibt es einen Bedarf und wo sind wir stark und wo wir? Sind wir nicht so stark? Dann schaut man ins Bundesland und wir sind der Meinung, dass wir in allem, was in die experimentelle Richtung geht, eigentlich im Bundesland sehr, sehr stark sind. Das ist eine Stärke. Also wenn Sie Mainz gucken, dass es eher molekular orientiert ist. In Kaiserslautern haben Sie sogar eine Bioverfahrenstechnik, die wir hier gar nicht haben. Das ist toll, weil es über das Land hinweg gut verteilt ist. Wir haben dann aber auch gesehen, dass alles, wo es Richtung Administration geht, wo es Richtung Regulatory Affairs gibt, wo es Richtung Patentrecht und IP geht. Dass es da durchaus noch einen Bedarf gibt und den gilt es natürlich auch zu adressieren. Also es ist nicht damit getan, dass man jetzt in Bezug auf die Laborarbeit Laboranten, technische Assistenten, Ingenieure und Akademiker für Research and Development ausbildet, sondern man braucht auch für die administrativen Aufgaben geschultes Personal. Und da sind wir auch bemüht und bestrebt, Angebote zu finden und zu definieren, die dem Arbeitsmarkt in dem Bezug dann eben gerecht werden.
Tobias Göpel: Das Land klagt ja jetzt schon über Fachkräftemangel. Wo sollen die eigentlich dann alle herkommen? Also die Unternehmen, die da sind, haben schon keine und jetzt kommen noch neue Unternehmen dazu. Was wäre so Ihr Wunsch, wo die Leute herkommen oder was bedeutet das für uns?
Eckhard Thines: Das ist auch eine Frage, die man ganz vielschichtig beantworten kann. Das fängt schon an bei der intensiven Werbung, die wir machen müssen in Schulen. Dass die jungen Leute sich für MINT-Fächer interessieren, Biotechnologie in Schulen bringen, ist nicht einfach, weil Biotechnologie eben sehr apparate- und geräteintensiv ist. Und das können sich viele Schulen nicht leisten. Da gilt es, Angebote zu entwickeln und junge Leute zu adressieren und zu interessieren. Ich meine, alles geht über Motivation. Und Sie haben gefragt, ob der Fachkräftemangel für uns irgendwie so eine Schwierigkeit darstellen würde? Das tut es ohne Zweifel. Das können wir nicht schönreden. Aber wir haben das identifiziert. Und wenn man etwas identifiziert hat, dann kann man es auch adressieren. Und das tun wir. Wir haben neue Studiengänge geschaffen, natürlich zunächst für Akademiker in Research and Development. Wir reden gerade darüber, wie wir attraktive Angebote schaffen können für die Ausbildung bzw. Laborantenausbildung. Den jungen Leuten muss man eine Perspektive zeigen. Wenn sie die nächste Generation anschauen, dann brauchen sie eine Perspektive. Und für mich kommt diese Perspektive auch aus einem Weiterbildungsangebot. Junge Leute heute wollen nicht mit 23 ausgelernt haben und dann keine weiteren Entwicklungsperspektiven haben. Die wollen sehen, dass es ein Weiterbildungsangebot gibt. Ich kann zusätzlich zu meinem Job noch über ein Fernstudium oder andere weiterführende Qualifizierungsmaßnahmen mich weiter qualifizieren und damit auch wieder Aufstiegschancen haben. Da wird die Sache attraktiv. Also wir reden, Wir reden nicht nur über universitäre Ausbildung, über Schulbildung oder über Thema Ausbildung, Laboranten, Ausbilder, sondern wir reden auch über Zertifikate und Programme, über Weiterbildungsprogramme, mit denen wir die Leute weiter und zusätzlich qualifizieren kann. So, das war der eine Punkt. Okay, der zweite Punkt, den ich auch nicht unerwähnt lassen möchte, ist Internationalisierung. Das ist für mich auch eine ganz, ganz wichtige Geschichte. Und zwar nicht nur, um junge Leute aus dem Ausland hierher zu kriegen, gute Köpfe hierher zu kriegen, was wir ohne Zweifel wollen, aber auch um unseren jungen Leuten am internationalen Markt internationale Forschung zu zeigen und sie auch dann dementsprechend zu qualifizieren. Märkte sind international, die Ausbildung sollte es auch sein und auch darüber schaffen wir wieder Interesse. Auch darüber schaffen wir wieder Bekanntheit. Und ich bin fest überzeugt, dass wir auch darüber wieder Fachkräfte zu uns motivieren können. Ich halte das für dringend notwendig. Aber Sie sehen jetzt an meiner Rede auch schon, dass die Problematik erkannt ist und dass wir auf verschiedenen Ebenen versuchen, das auch zu adressieren.
Tobias Göpel: Der Fachkräftemangel kann ja ein Stolperstein auf dem Weg zum Erfolg sein. Sehen Sie noch weitere Herausforderungen?
Eckhard Thines: Es gibt immer Herausforderungen. Biotechnologie ist dynamisch. Es wird eine Herausforderung sein, neue Felder zu entdecken oder zu identifizieren und sie zu adressieren. Es wird eine Herausforderung sein, zu konsolidieren und zu schauen, wie kriegt man bestehende Techniken oder bestehende Infrastruktur so in den Markt, dass damit auch für Firmen hier ein attraktives Umfeld entsteht. Es gibt die Herausforderung, dass wir zum Beispiel in wettbewerblichen Projekten am Standort für Firmen attraktiv werden. Und das rede ich nicht nur von den rheinland-pfälzischen Firmen, sondern ich rede auch von den restlichen Firmen, die wir haben bzw., die im Bereich Biotechnologie unterwegs sind. Also wenn Sie, wenn Sie an Firmen denken, die jetzt in Bioökonomie arbeiten, dann muss auch hier klar sein, dass wir ein attraktives Angebot hier in Rheinland-Pfalz haben, sowohl in Forschung als auch in Infrastruktur als auch in Flächen. Und wie kriegen wir die Leute hier her? Und das kann zum Beispiel über solche wettbewerblichen Projekte sein. Es kann über Tagungen und Meetings sein. Es gilt, Bekanntheit zu schaffen, und auch da sind wir auf einem guten Weg. Eine weitere Herausforderung. Ich habe jetzt gesagt, dass wir, dass wir stark sind, wenn Sie an die großen Player denken und auch so ein bisschen, wenn Sie an so mittelgroße Firmen denken. Ich glaube, eine Herausforderung wird sein, immer mehr Gründerkultur zu entwickeln. Das da sind wir einfach nicht dort, wo die Amerikaner sind. Und das ist etwas, was wir in Deutschland entwickeln müssen und nicht nur in Rheinland-Pfalz, Gründerkultur, Start-ups. Wie kann ich aus meiner akademischen Forschung eine Anwendung machen? Das sind so Dinge, die bei uns kulturell, historisch nicht wirklich gut gewachsen sind. Und als Mikrobiologe hat man da so einen anderen Ansatz. Ich erinnere immer an Louis Pasteur, der gesagt hat, Es gibt keine anwendungsorientierte Forschung, es gibt nur die Anwendung von Grundlagenforschung. Und ich würde mir wünschen, dass wir das wird es besser verstehen und mehr unsere Forschung dann auch in die Anwendung in Form von Start-ups und neu zu gründenden Firmen reinbringen. Das sind Herausforderungen, aber die nehmen wir an sehr gut.
Tobias Göpel: Meine letzte Frage: Wenn ich Ihnen per Fingerschnipsen einen Wunsch erfüllen könnte, welcher wäre das?
Eckhard Thines: Das ist ein Running Gag. Bei meinen Vorträgen, die ich jetzt vergleichsweise häufig halte, habe ich immer den, den englischen Wikipedia-Eintrag über das Land Rheinland-Pfalz. Wenn Sie das nämlich nachlesen, dann steht da irgendwo: Rheinland-Pfalz is known for its wine and sparkling wine. Ich würde mir wünschen, dass wir da irgendwann lesen könnten: Rheinland-Pfalz is known as a Biotechnologie, pop up etc., known for its wine and sparkle, beautiful, open-minded, tolerant World citizen und ich hätte das gerne, dass wir das auf dem Platz hinkriegen und nicht mit nem Fingerschnipp oder mein Teenager zu Hause der Wikipedia editiert. Das müssen wir schon sportlich machen und ich bin fest überzeugt, dass wir es auch hinkriegen.
Tobias Göpel: Die Biotechnologie ist in Rheinland-Pfalz im Aufwind. Lieber Thines, vielen Dank für Ihre Zeit und Ihre Einblicke zu diesem Thema.
Eckhard Thines: Ihnen ganz herzlichen Dank!

Eine Frau arbeitet mobil von zuhause.

Mobiles Arbeiten verspricht Freiheit und Flexibilität, doch es droht die Gefahr der sozialen Erosion. Wie lässt sich verhindern, dass das Sozialgefüge im Betrieb bröckelt oder die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben verwischen? Dr. Josephine Hofmann vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO erklärt in der neuen Folge des Podcasts Wir. Hear., wie sich der Zusammenhalt bewahren lässt. 
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Tobias Göpel: Mobiles Arbeiten ist überaus beliebt, keine Frage. Doch es hat auch klare Nachteile. Die soziale Erosion. Und, es kann auch nicht jeder tun. Was das heißt und was Arbeitgeber und Beschäftigte dagegen tun können, hören Sie in dieser Folge. Willkommen bei Wir.Hear., dem Podcast zur Chemieindustrie im Wandel. Mobiles Arbeiten ist gekommen, um zu bleiben. Das geht aus einer Studie der Chemie Sozialpartner hervor. Und darum geht es auch heute um das mobile Arbeiten. Eine Arbeitsform, die Freiheit und Flexibilität verspricht. Da zu arbeiten, wo man auch lebt, spart Zeit und bietet Komfort. Doch es stellt uns auch auf die Probe, zum Beispiel bei der Teambildung oder der Work-Life-Balance. Durchgeführt wurde die Studie durch das Fraunhofer Institut IAO, und ich freue mich besonders auf Josefine Hofmann vom Fraunhofer Institut. Sie ist Expertin für mobiles Arbeiten. Vielen Dank für Ihre Teilnahme an diesem Podcast.
Josephine Hofmann: Sehr gern.
Tobias Göpel: Was war für Sie besonders spannend oder interessant an dieser Studie?
Josephine Hofmann: An dieser Studie war für uns zum einen interessant, dass sie durch die Sozialpartner sehr partnerschaftlich getragen und durchgeführt wurde. Es war auch methodisch interessant durch die Auswahl der Betriebe, soweit ein bisschen Sozialwissenschaft. Inhaltlich fragen Sie mich eher, ob sich die Entwicklung, die wir auch in anderen Studien sehen, erneut bestätigt hat. Nämlich, dass einerseits mobiles Arbeiten sich großer Beliebtheit, hoher Nachfrage und guter Produktivität erfreut. Auf der anderen Seite, wenn man Führungskräfte und Mitarbeitende befragt, lesen wir zunehmend und auch in dieser Studie Dinge heraus, die wir mit dem Stichwort "soziale Erosion" überschrieben haben. Damit meinen wir eine Vielzahl von Indikatoren, die das zusammenfassen, was unser tägliches Miteinander in einem Unternehmen bei einem Arbeitgeber ausmacht und uns zu einer Sozialgemeinschaft macht. Ein Unternehmen ist auch ein sozialer Ort, wo ich mich hoffentlich gebunden fühle, etc. Und da haben wir einige Anzeichen für nachlassende Hilfsbereitschaft, das Nicht-mehr-mitbekommen, wie es den Kollegen geht. Das haben wir tatsächlich auch in dieser Studie wieder herausarbeiten können. Und das sind natürlich Dinge, die man im Blick haben muss, um die langfristige Entwicklung trotzdem gut zu gestalten.
Tobias Göpel: Also die Studie kann man auf der Website vom Fraunhofer nachlesen. Deswegen will ich mit Ihnen noch gar nicht alles durchgehen, sondern nur drei Punkte. Und die soziale Erosion ist für mich in der Tat auch so ein auffälliger Punkt. Wer zu Hause arbeitet, hat weniger Kontakt zu den Kollegen. Im Zweifelsfall kommt irgendwann die Frage, die man sich selber stellt, warum der Betrieb nicht der andere ist. Die Tätigkeit ist ja die gleiche, wenn wir jetzt Buchhaltung oder Ähnliches nehmen. Was bedeutet das aus Ihrer Sicht für das Team und wie sollten Führungskräfte darauf reagieren?
Josephine Hofmann: Man muss zum einen sagen, dass das nicht passieren muss. Man kann natürlich auch über Distanz gute Nähe behalten und engen Kontakt pflegen. Der Punkt ist, es findet einfach zum großen Teil nicht statt. Und was muss man tun? Man muss genau dem begegnen, an Arbeiten. Also man muss sich gut überlegen, wo und wie häufig sprechen wir uns vielleicht auch mal ohne Anlass? Wie gestalten wir vielleicht auch hybride Meeting-Formate, damit wir wirklich miteinander im Gespräch bleiben? Wie kann ich als Führungskraft dafür sorgen, dass meine Ansprechbarkeit trotz allem gleich gut bleibt? Dass ich auch wirklich weiß, die Leute können mich jederzeit zum Beispiel kontaktieren. Ich kann mich aber auch mal bei ihnen melden, auch mal ohne Grund, ohne dass sie einen Schreck kriegen, sondern einfach, um sozusagen in diesem täglichen Gespräch zu bleiben, was sonst verloren geht. Über die Distanz ist dieses Mal eben über den Schreibtisch reden, ist man eben an der Kaffeeküche sagen: "Mensch, habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Wie läuft eigentlich XY über Z?" Das sind genau die Gespräche, für die sie heutzutage keine Teams-Konferenz oder keinen Video-Call aufsetzen, sondern Tablets. Das machen sie halt nicht. Und in der Summe all dieser kleinen Gelegenheiten geht doch eine Menge an Anbindung, an vielleicht auch Austausch von Wissen, ganz sicherlich und ein Stückweit natürlich auch an zufälliger Begegnung und der Möglichkeit, gemeinsam neue Ideen zu entwickeln.
Tobias Göpel: Aus einem Mitgliedsunternehmen habe ich dann im Gespräch das Beispiel gehört, dass sie sich ganz bewusst treffen über Teams, also digital, um sich nur über Privates auszutauschen. Mal so 20 Minuten. Einerseits kann es gut sein, andererseits aber so gestellt. Ich weiß, an diesem Punkt muss ich plötzlich privat sein. Ist das denkbar? Oder hätten Sie da noch andere Ideen, wie man so etwas umsetzen könnte?
Josephine Hofmann: Sie sprechen schon wichtige Punkte an, die wir vor allem in der heißen Phase gesehen haben. Also da hat man von virtuellen Weihnachtsfeiern bis zu virtuellen Geburtstagsfeiern alles erleben dürfen, aus der Not heraus. Es ist auf jeden Fall eine gute Idee, glaube ich, für diesen privaten Austausch Zeit zu reservieren und nicht so im durchgetakteten Kalender durch den Tag zu hopsen und zu sagen, mit drei Minuten überzogen, eigentlich sind Sie schon wieder im nächsten Meeting und muss unbedingt raus, weil wir wissen, die wirklich interessanten Gespräche oft oder das Private. Das kommt so, wenn man seine Sachen zusammenpackt und zusammen sozusagen zum Aufzug läuft. Man kann, glaube ich, schon versuchen, das ein Stück weit zu institutionalisieren. Die virtuelle Kaffeeküche, da gibt es ja tausend Dinge. Ich glaube, man sollte sich von der Idee verabschieden, dass man da einmal etwas einführt und es immer funktionieren wird. Ich glaube, man muss da vor allem viel Kreativität aufbringen und auch viel ausprobieren. Und man muss es sich auch trotzdem damit abfinden, dass es bestimmten Leuten leichter fällt und andere Leute damit auch fremdeln. Also ich glaube auch die unterschiedlichen Grade in der Kommunikationsaffinität kommen natürlich noch mal etwas stärker zum Ausdruck. Aber was ich sagen will? Also dranbleiben und Kommunikation eben nicht als Zeitverschwendung betrachten, sondern als ganz wichtige Zutat für ein gutes Miteinander.
Tobias Göpel: Also dieser Gewöhnungseffekt, oder? Es ist nicht für jeden was, könnte ich mir vorstellen, dass die Jüngeren eher dazu tendieren zu sagen: "Hey, das ist okay, damit bin ich ja mehr oder weniger großgeworden," und die Älteren fremdeln eher damit. Ist das etwas, wo es passt oder nicht? Dass es gemischt.
Josephine Hofmann: Also bei diesem Thema gibt es eine Menge an Vorurteilen. Natürlich ist es so, dass Jüngere anders sozialisiert sind, vielleicht ein bisschen freier und schneller diese Vielzahl an Kanälen auch wirklich bespielen. Aber ich glaube, es ist vor allem auch eine Persönlichkeitsfrage. Ein Stück weit ist es aber auch eine Frage vom privaten Setting daheim, was ich da mache und was nicht. Wird es weniger an Altersgruppe festmachen, sondern wirklich eher an Persönlichkeitsmerkmalen, an persönlicher Lebenssituation? Und das wissen wir auch. Also ich sag jetzt mal die Mutter, die nebenher zwei Kinder betreut und einen sehr vollen Tag hat, die sitzt ganz anders auf Kohlen. Wie der Mittfünfziger, der daheim allein in seinem schönen Arbeitszimmer in Ruhe vor sich hin arbeiten kann. Was ich glaube, da ist ganz viel auch die private Lebenssituation entscheidend. Und wichtig ist auch, darüber im Gespräch zu bleiben und trotzdem immer wieder Gelegenheiten zu finden, sich zu sprechen und natürlich auch einen guten Mix aus persönlicher Begegnung und dann eben Arbeit über Distanz auch tatsächlich zu finden.
Tobias Göpel: Stichwort Teambuilding. Das ist jetzt eine Möglichkeit, das Team zusammenzubringen durch gemeinsame Aktionen. Viele Arbeitgeber befürchten, dass es wieder Zusatzkosten ergibt, weil man dann vielleicht einen Tag frei machen muss oder man am Wochenende unterwegs ist, dann etwas bezahlt, wo die Leute unterwegs sind. Kollegen machen von sich aus intrinsisch motiviert bowlen gehen oder sich mal so treffen abends zum Kochen. Können Sie dazu etwas sagen, was es da so für Tendenzen gibt, welche Bandbreite besteht und was gegebenenfalls auf Unternehmen zukommt?
Josephine Hofmann: Ja klar, es gibt Unternehmen, die so etwas auch großzügig sponsern. Da kann es natürlich auch eine Frage des Geldes sein. Und meiner Meinung nach ist Privatsache Privatsache. Wenn Kollegen dort etwas machen, dann ist es schön. Ich finde, man kann es nicht erzwingen. Was man, glaube ich, viel eher machen sollte, auch das ist, glaube ich, Ergebnis dieser Studie, ist sicherzustellen, dass man sich genau überlegt, was machen wir und wo? Und dass man dann zum Beispiel nicht nur im Team festlegt, dass alle zweimal die Woche reinkommen. Da kann es ja sein, dass man sich trotzdem sieht, weil der eine donnerstags freitags kommt und der andere dienstags mittwochs, sondern dass man sagt, wir treffen uns auf jeden Fall alle am mittwochs, dienstags. Und dass man dann aber auch überlegt, was machen wir an dem Tag? Also dann eben nicht auf die Idee verfallen zu sagen, wir kommen am Mittwoch, aber wir verschwinden alle in unseren Büros und machen auch ein Meeting nach dem anderen mit Menschen, die woanders sitzen. Sondern genau gucken, wie wollen wir diese gemeinsame Zeit so nutzen, dass wir auch dort einen Mehrwert erleben? Und da kann man dann, da muss man nicht abends bowlen gehen. Aber natürlich kann man da zum Beispiel einen verlängerten Jour fixe machen, sich mal ausführlicher über Projekte oder über spannende Sachen erzählen und dann natürlich einpreisen, dass man sagt, wir gehen auf jeden Fall alle miteinander Mittagessen in die Kantine oder wir bestellen reihum den Pizzaservice oder wir bringen reihum Kuchen mit. Oder wir machen einmal im Monat ein gemeinsames Frühstück und jeder bringt ein paar Sätze mit und einen Kaffee. Das sind alles Dinge, die haben nicht so einen wahnsinnigen Aufwand. Ich glaube, der ist auch gut. Aber man muss sich da schon auch drum kümmern. Also zu glauben, dass es von selber kommt, weil man irgendwo ein kommunikatives Naturtalent hat, darauf würde ich mich nicht verlassen.
Tobias Göpel: Die soziale Erosion betrifft ja nicht nur die Teams an sich, die zusammenarbeiten, sondern mit Blick auf die gesamte Belegschaft. In dem Betrieb gibt es auch die Situation, dass manche Mitarbeiter keine Option für mobiles Arbeiten haben, also die klassischen Produktion. Ist das aus Ihrer Sicht akzeptiert, dass es die einen mehr können als die anderen? Oder gibt es da eher ein Gefühl der Ungerechtigkeit nach dem Motto "Ich muss in den Betrieb und die anderen können zu Hause bleiben"?
Josephine Hofmann: Das ist auf jeden Fall ein Diskussionsthema, und es ist natürlich, glaube ich, schon sehr stark nochmal aufgetreten, besonders in dieser extremen Corona-Situation, wo ja auch noch ein paar andere Sachen dran hängen. Es ging nicht nur darum, dass die einen daheimbleiben dürfen und die anderen nicht, sondern auch darum, dass die einen in Europa einsteigen müssen und sich dort vielleicht infizieren. Das Ganze war auch durch andere Nebeneffekte überformt, die man in normalen, nicht pandemischen Zeiten nicht hat. Es ist jedoch so, dass Unternehmen mit gemischten Teams zunehmend überlegen müssen, was sie den Mitarbeitern bieten können. Natürlich können wir nicht die Klimaanlage ins Wohnzimmer stellen – das wird auch bis auf Weiteres nicht machbar sein. Aber vielleicht können wir darüber nachdenken, Produktionsnahe Tätigkeiten anders zu organisieren und zumindest ein wenig Flexibilität anzubieten. Es wird derzeit viel unternommen, um alternative Arbeitszeitformen und mehr persönliche Flexibilität anzubieten. Dies ist einer der Gründe, warum die Diskussion über die Vier-Tage-Woche derzeit so viel Aufmerksamkeit erfährt. Sie wird plötzlich auch für Pflegekräfte oder Klimaingenieure attraktiv, weil sie eine andere Flexibilität verspricht. Es ist natürlich eine immanent vorhandene Tatsache, und man muss schon sagen, dass man nicht erwartet, dass sich in zwei Jahren etwas ändert, wenn man seinen Dienst antritt. Aber das entbindet den Arbeitgeber nicht von der Notwendigkeit, gut zu überlegen, was er den verschiedenen Beschäftigtengruppen spezifisch anbieten kann, um Wertschätzung und Flexibilitätspotenziale zumindest in gewissem Maße anzubieten.
Tobias Göpel: Die Vier-Tage-Woche ist ein interessantes Stichwort. Der Eindruck, den ich habe, ist, dass alle sie am liebsten haben möchten, um mehr Zeit für sich zu haben. Das ist an sich okay, aber in Kombination mit Fachkräftemangel und der Notwendigkeit, Chemieanlagen vollständig auszulasten, entsteht die Herausforderung, dass die Schichten nicht voll besetzt werden können und die Anlagen noch immer vollständig ausgelastet sind. Inwiefern ist das betriebswirtschaftlich noch vertretbar? Haben Sie Lösungsansätze oder Ideen, wie man damit umgehen kann, insbesondere im Verhältnis zum Fachkräftemangel und der Notwendigkeit, die Anlagen vollständig auszulasten?
Josephine Hofmann: Zum einen muss man sagen, es gibt wirklich wenige belastbare empirische Studien dazu; sie laufen gerade erst an. Wir müssen das begleiten und es hängt auch von Mängeln und der Möglichkeit ab, überhaupt mit Personal zu jonglieren. Trotzdem bitte ich, Planungen so zu gestalten, dass Anlagen ausgelastet werden können. Manche Leute sprechen von der Vier-Tage-Woche mit Reduktion der Arbeitsmenge bei gleichem Gehalt. Andere verstehen darunter die Verteilung der Arbeit von fünf auf vier Tage. Das ist ein großer Unterschied, der betriebswirtschaftlich relevant ist. Ein Teil der Debatte geht darum, dass dies ein ungelöster Schritt in die Zukunft ist, den wir noch nicht kennen. Es gibt Befürworter, die sagen, die Vier-Tage-Woche hat das Potenzial, Teilzeit in Vollzeit zurückzuholen, wenn die Arbeit in diesem anderen Modus erledigt werden kann. Das ist eine Idee, die Charme haben könnte, aber ob sie wirklich greift, weiß niemand. Es sind noch nicht genügend Erfahrungen damit gesammelt worden. Man muss sich auch darüber im Klaren sein, dass dies eine Vielzahl von anderen Dingen nach sich zieht. Wenn beispielsweise eine Mutter statt fünf Tagen vier Tage arbeitet, aber dafür länger am Tag, benötigt sie längere Betreuungszeiten im Kindergarten. Es entsteht auch Fachkräftemangel. Daher sage ich nicht, dass dies im Grunde genommen keine richtigen Überlegungen sind. Wir müssen den Mangel intelligent organisieren. Einfach reflexartig zu sagen, dass dies nicht funktioniert, ist meiner Meinung nach nicht die Lösung. Daher befürworten wir Experimente, um zu sehen, welche Effekte sie haben, und dann können wir qualifiziert weiterdiskutieren.
Tobias Göpel: Okay, die Wahrheit liegt wahrscheinlich wie immer irgendwo in der Mitte, weg von den Extremen. Ich komme nochmal zurück zu den Blue Collar Workers. Ich habe mal den Tipp gehört, dass man die Mitarbeiter mit Schnitzel und Pommes motivieren kann, indem die Kantine zu einem Ort der Begegnung wird. Das war aus meiner Sicht allerdings eher scherzhaft gemeint und zeugte von einer gewissen Ratlosigkeit. Welche Empfehlung hätten Sie, um die Belegschaft als soziale Gemeinschaft zu fördern?
Josephine Hofmann: Also ich sage mal, wenn Sie in unsere Kantine schauen an den Tagen, an denen es Linsen mit Spätzle oder Schnitzel mit Pommes gibt, dann schauen Sie selbst, dass mehr Leute kommen. Ich würde schon sagen, dass da etwas dran ist. Es ist natürlich differenziert und gutes Essen hat eine positive Wirkung. Die Leute sparen Zeit und Geld und werden dennoch vernünftig ernährt. Es ist auch ein Zeichen von Wertschätzung, sowohl vom Arbeitgeber als auch vom Arbeitnehmer, wenn sich Mühe gegeben wird, gesundes und gutes Essen anzubieten. Natürlich muss man überlegen, ob es auch ein attraktives Ambiente gibt. Ich gehe gerne in eine Umgebung, in der der Arbeitgeber Wert darauf legt, dass sich die Mitarbeiter wohlfühlen, mit einer modernen Ausstattung und guten Lichtverhältnissen. Das kostet zwar Geld, aber es gibt auch Dinge, die man ohne hohe Kosten umsetzen kann, wie zum Beispiel bestimmte Veranstaltungen mit einem exklusiven Charakter, um die Präsenz zu fördern. Es gibt also eine Vielzahl von Möglichkeiten. Es ist bereits in vielen Diskussionen präsent, dass die Menschen ihre Arbeit an ihr Leben anpassen wollen und nicht umgekehrt. Dies ist durch Corona verstärkt worden, und Arbeitgeber müssen sich langfristig damit auseinandersetzen, dass Mitarbeiter abwägen, wenn der nächste Arbeitgeber nur einen Klick entfernt ist. Es gibt auch andere Tendenzen, insbesondere bei jungen Menschen, die andere Erwartungen an Arbeitgeber haben. Das ist eine Vielzahl von Faktoren, die zusammenwirken, und es ist eine große Aufgabe, der sich viele Arbeitgeber stellen müssen. Es wäre meiner Meinung nach nicht ratsam, einfach zu sagen, dass alle wieder vier Tage die Woche ins Büro kommen sollen. Das erzeugt erfahrungsgemäß den größten Widerstand, da den Menschen etwas genommen wird, ohne vernünftig zu argumentieren. Man muss gemeinsam überlegen, wie man das Miteinander gut gestaltet und attraktiv macht. Es ist nicht nur die Aufgabe des Arbeitgebers, sondern alle müssen dazu beitragen, Führungskräfte und Mitarbeiter, und in das Sozialkapital investieren. Es ist jedoch nicht einfach, den Menschen zu vermitteln, dass kurzfristige Nutzenmaximierung nicht immer die beste Lösung ist. Das ist eine Herausforderung, der wir uns auch in Zukunft stellen müssen.
Tobias Göpel: Das glaube ich auch. Die Botschaft finde ich schön, dass es nicht in der Verantwortung des Arbeitgebers liegt, alles zu tun, dass es passt, und dass jeder seinen Beitrag dazu leisten muss, damit die soziale Gemeinschaft im Betrieb erhalten bleibt. Ich würde eher weggehen vom Betrieb hin zum wirklichen Homeoffice. Stichwort Verantwortung. Diesen Blick auf die Entgrenzung, das wurde ja in der Studie ebenfalls angesprochen. Welche Risiken der Entgrenzung sehen Sie beim mobilen Arbeiten?
Josephine Hofmann: Es gibt Studien, die zeigen, dass die Burnout-Quoten generell steigen, insbesondere für Menschen in problematischen individuellen, sozialen oder familiären Situationen, auch für Alleinlebende. Es gibt Anzeichen dafür, dass sich dies durch die Entgrenzung verschärft hat. Diese Entgrenzung ist wirklich etwas, was immer stärker zu sehen ist. Das ist die Kehrseite der Flexibilität. Wenn ich zum Beispiel vom Kinderspielplatz aus schnell noch etwas erledigen kann, mischen sich private und berufliche Aktivitäten stark. Dies kann als Vorteil oder Belastung betrachtet werden. Arbeitsmediziner sagen, dass Menschen Pausen brauchen, um sich zu erholen, und dies muss stark sensibilisiert werden. Es geht auch um klare Erwartungen bezüglich der Erreichbarkeit und die Frage, ob es normal ist, Kalender mit zehn Meetings am Tag zu haben. Es ist eher eine Frage der Arbeitsverdichtung und Organisation im Allgemeinen als eine Frage des Arbeitsorts. Die Effekte sind meiner Meinung nach die gleichen.
Tobias Göpel: Arbeitsverdichtung ist durchaus ein Punkt. Aber was ich auch sehr oft höre, ist zu Hause kann ich mich um das kranke Kind kümmern, nebenbei noch die Wäsche waschen, dann habe ich die Bauarbeiter im Haus. Und das kann ja auch zu einer Art Entgrenzung und zu Stresssituationen führen, weil ich dann halt – das haben Sie ja vorhin gesagt – die Telekom ebenso Spülkastenrand, dass sich hier letztendlich Privates und Berufliches so stark vermische, dass ich dann abends um 21:00 total fertig da liege und nichts mehr mache. Hätten Sie da Hinweise, wie man Berufliches und Privates besser trennen kann?
Josephine Hofmann: Klassisches Thema von Zeitmanagement. Wobei ich muss ganz ehrlich sagen, natürlich, ich gehe auch mal zwischendurch runter, wenn ich daheim arbeite, auch mal zwischendurch eine andere Wäsche ein. Aber man muss schon auch mal festhalten: Wir reden hier von bezahlter Arbeit. Man kann nicht gleichzeitig ein Kleinkind hüten und konzentriert arbeiten – das geht einfach nicht. Das kann man mal in einer Notsituation machen oder wenn das Kind 14 ist und sich selber beschäftigt. Aber wir haben hier bezahlte Beschäftigung zu tun, und es sind auch altmodische Bilder, muss ich Ihnen sagen. Wenn man früher über Telearbeit geredet hat, da habe ich immer einen Hals bekommen. Wenn die Journalisten schöne Bilder ausgesucht haben für ihren Artikel, was haben Sie da drauf gesehen? Eine hübsche junge Mutti, die vor dem PC sitzt und ein pausbäckiges Baby auf dem Schoß hat. Da habe ich immer gedacht: Nein, das ist nicht die Idee von Telearbeit. Das ist weder für den Arbeitgeber eine gute Idee, der findet das nicht toll, und das Kind übrigens auch nicht. Also Flexibilität im Sinne von schneller mal irgendwo hingehen können, Ausnahmesituationen managen und Zeiten einsparen – alles völlig in Ordnung. Aber Arbeit ist Arbeit und Freizeit ist Freizeit, und das sollte nicht komplett ineinanderfließen. Zumindestens mal ist es eine medizinische Erkenntnis, dass Menschen Pausen brauchen. Aber auch da muss man ehrlicherweise sagen: Menschen sind sehr verschieden. Und sie sehen auch, dass in unterschiedlichen Lebensphasen sehr unterschiedliche
Tobias Göpel: Ich nehme für mich mit: Arbeitgeber sind tendenziell mehr in der Verantwortung zu prüfen, ob die Häufigkeit der Meetings wirklich noch so gut ist, ob die Arbeitsverdichtung okay ist, und die Beschäftigten sind auch mehr in der Verantwortung zu schauen, ob sie Berufliches und Privates wirklich sauber trennen und sich nicht selbst überfordern, indem sie zu viel auf einmal machen möchten.
Josephine Hofmann: Man muss natürlich auch als Arbeitgeber über Erreichbarkeitsgrenzen reden. Nur weil ich jetzt ein Diensthandy habe, heißt es nicht, dass ich abends um 20:00 auf jeden Fall noch die E-Mail beantworte, nur weil die Chefin um 7:30 etwas Ungeschicktes geschrieben hat. Da gibt es auch klare Absprachen zu treffen, und ich sage jetzt mal, die erwarteten Erwartungen zu klären. Also auch das ist schon die Pflicht des Arbeitgebers. Aber auch da muss ich Ihnen sagen, das kommt halt auch irgendwie auf den Job an. Wenn ich jetzt die persönliche Referentin vom Bürgermeister bin, der gerade in der Wahlkampfphase ist, dann habe ich ganz sicher andere Arbeitszeiten als wenn ich im Einwohnermeldeamt sitze. Und ich weiß nicht, wie kann ich mit Stereotypen hier um mich werfen. Aber es kommt auch auf den Job und auf die Verantwortung und natürlich dann auch noch auf die Bezahlung an. Das muss man alles sehen, aber auch. Da muss ich wieder betonen, da gibt es keine Pflichten des Arbeitgebers. Aber es gibt auch die Pflicht, finde ich, des Arbeitnehmers in der persönlichen Lebensgestaltung dafür zu sorgen, dass das einigermaßen funktioniert. Und das ist auch ein bisschen der Beobachtung, darf ich jetzt sagen, als sehr lange im Beruf Seiende mittlerweile. Ich sehe schon so ein bisschen die Tendenz, dass es dazu kommt, dass eigentlich ganz viel dem Arbeitgeber so ein bisschen aufgebürdet wird, für was der so alles verantwortlich ist. Ich finde nicht, dass der Arbeitgeber für private Lebenssituationen primär verantwortlich ist. Auch nicht. Also es ist wichtig, und jeder will, dass seine Mitarbeiter glücklich sind. Aber das muss schon erst mal die Privatperson, finde ich, hinkriegen. Also irgendwie muss man da auch gute Grenzen setzen. Was sonst ist es? Es ist schwierig, aber ich weiß genau, so mancher, der jetzt hier zuhört. Und wird sagen: Was reden die da? Das ist natürlich. Und so weiter. Man muss, finde ich, überlegen, wer ist für was verantwortlich, in welcher Sphäre entsteht es hier? Und man muss schon arbeitende Menschen, die in der Regel erwachsen und volljährig sind, auch davon ausgehen dürfen, dass die auch eine Selbstverantwortung tragen und dass die auch gerecht werden. Das, finde ich, muss man auch als Arbeitgeber erwarten dürfen.
Tobias Göpel: Meine Abschlussfrage geht auch mehr in die Richtung lebenslanges Lernen. Welche Kompetenzen werden für mobiles Arbeiten wichtiger, und wie kann aus Ihrer Sicht eine geeignete Weiterbildung aussehen?
Josephine Hofmann: Also, wenn man generell sagt, dass in diesen idealisierten Arbeitswelten, wo viel über Distanz und mit diesen Medien gearbeitet wird, ist sicherlich ein erweitertes Maß an Medien- und Kommunikationskompetenz erforderlich. Und es ist eben nicht nur: Ich kriege Teams an, sondern ich weiß auch, dass die Moderation eines Team-Meetings einer anderen Logik und vielleicht einer anderen Dynamik gehorcht als ein normales Meeting. Also nicht nur bedienen, sondern auch wirklich damit umgehen und befriedigende soziale Situationen schaffen. Ich glaube, man muss sich schon natürlich auch überlegen, was ist mein eigenes Medienverhalten ist gerade auch für Führungskräfte zum Beispiel extrem wichtig. Noch mal das Thema Ansprechbarkeit: Wie mache ich das eigentlich selber? Oder mache ich darauf, dass alle halt immer nur zu mir kommen? Und so weiter. Medienkonsum nicht. Aktionsfähigkeit, glaube ich, ist extrem wichtig, aber eben auch die Fähigkeit, das wirklich ist. Eine ganz große, der übergeordneten Kompetenz, sich gemeinsam über die Form von Arbeits- und Kommunikationsbeziehungen Gedanken zu machen. Also dieses Thema Verantwortlichkeit und so das gemeinsame Arbeiten an der Arbeit, da eine Bereitschaft und auch mehr Zeit mitzubringen und sich darauf auch einzulassen, das ist, glaube ich, auch etwas, was wichtig ist. Das ist keine klassische Kompetenz, aber es ist etwas, was wir sehen, was in Zukunft auf jeden Fall noch erforderlich sein wird. Und natürlich Selbstmanagementkompetenzen und all das, was wir eigentlich schon angesprochen haben.
Tobias Göpel: Mobiles Arbeiten ist gekommen, um zu bleiben. Liebe Frau Hofmann, vielen Dank für Ihre Zeit und Ihre Einblicke zu diesem Thema. Liebe Zuhörende, das war unsere Folge zum mobilen Arbeiten mit Josefine Hofmann vom Fraunhofer Institut für Arbeits, Wirtschaft und Organisation. Sie ist auch die Autorin der Studie "Mobile Arbeit der Sozialpartner". Den Link zur Studie finden Sie auch in den Shownotes zu dieser Episode.



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