Politik & Wirtschaft

Podcast Wir. Hear.: Rohstoff- und Energieversorgung in Deutschland

· Lesezeit 22 Minuten.
Podcast Wir. Hear.: Rohstoff- und Energieversorgung in Deutschland
Energie-Experte: Hubertus Bardt. Foto: IW

Der Krieg in der Ukraine hat zu einem radikalen Umdenken geführt: Deutschland will unabhängiger von ausländischen Lieferanten werden und muss daher künftig mehr Energie im eigenen Land erzeugen. Dasselbe gilt für den Abbau von Rohstoffen. 

 

Wie das funktionieren kann und inwieweit das auch von den Zugeständnissen der Bevölkerung abhängt, erklärt Dr. Hubertus Bardt, Geschäftsführer und Leiter Wissenschaft beim Institut der deutschen Wirtschaft in Köln, im Gespräch mit Tobias Göpel.

 

Hören Sie rein und abonnieren Sie Wir. Hear. zum Beispiel bei Spotify.

 

 

 

 

 

 

Tobias Göpel: In der Ukraine herrscht Krieg und in Deutschland der Wille, unabhängiger zu werden von Rohstoffimporten. Doch wie realistisch ist das? Welche Rohstoffe können in Deutschland abgebaut werden und wie kann uns die Kreislaufwirtschaft helfen? Dazu spreche ich heute mit einem Experten des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln. Hallo Herr Bardt. 

 

Hubertus Bardt: Guten Tag Herr Göpel! 

 

Göpel: Herr Bardt, wie realistisch ist eine Unabhängigkeit Deutschlands bei den Energierohstoffen? 

 

Bardt: Wir haben bisher relativ viel Energierohstoffe aus Russland bezogen. Über die Hälfte des Gases, große Menge bei Kohle und bei Öl. Und je nachdem, wie der Rohstoff ist, wie die Marktlage ist, wie die Transportwege sind, ist es einfacher oder schwieriger, das zu ersetzen und sich damit unabhängig von Russland zu machen. Bei Kohle ist es relativ einfach. Da gibt es gute andere internationale Quellen. Die Importeure sind guter Dinge, das ausgleichen zu können und deshalb gibt’s auch das angekündigte Kohleembargo ab diesem Jahr. Bei Öl ist es schon schwieriger. Hierbei die große Frage, wie wir die ostdeutschen Raffinerien, die noch an der alten Leitungsinfrastruktur aus den Zeiten des Kalten Krieges im Prinzip hängen und direkt aus Russland versorgt werden, wie da also eine alternative Versorgung sichergestellt werden kann. Hier ist man ein gutes Schritt weitergekommen und deshalb jetzt auch, von deutscher Seite mitunterstützt, die Forderung nach einem Embargo. Die EU insgesamt, vor allem Ungarn, sind da noch nicht so weit. Und bei Gas ist es noch mal schwieriger, Öl, Gas muss auf die Schnelle, in großen Volumina verschifft nach Deutschland oder auch nach Nordeuropa transportieren können. Da geht es also darum, weniger zu verbrauchen, zusätzliche Quellen zu erschließen. Aber es dauert länger, hier auf russisches Gas verzichten zu können als bei den anderen Energierohstoffen. 

 

Göpel: Die Bundesregierung, also speziell Herr Habeck, sagt ja einerseits: Wir schaffen das. Die Unabhängigkeit von Öl schneller, von Gas dann mit längerem Vorlauf. Der Herr Lindner, auch Angehöriger der Bundesregierung, sagt dann: Erneuerbare Energien sind Freiheitsenergien. Meine Frage ist, wie viel Freiheit können wir mit Wind und Sonne tatsächlich erreichen? 

 

Bardt: Es ist eine schöne Begriffsschöpfung. Die erneuerbaren Energien hatten ja lange die Schwierigkeit, dass sie sehr teuer waren und deshalb nur mit hohen Kosten, hohen Subventionen, überhaupt in den Markt zu bringen waren. Das hat sich teilweise geändert. Sie sind aber immer noch schwankend. Das heißt, wir können nicht so gut steuern, wie viel Wind und Sonne produziert wird. Oder Strom aus Wind und Sonne produziert wird, wie das bei Gas insbesondere der Fall ist. Und darum müssen wir uns überlegen, wie wir eigentlich diese Lücken, wenn kein Wind weht, keine Sonne scheint, aber der Verbrauch da ist, wie wir die überbrückt kriegen. Klar ist aber auch, je mehr wir einsparen, bzw. je mehr Strom, vor allem aber auch Wärme wir durch erneuerbare Energien erzeugen können, desto weniger Gas brauchen wir aus Russland. Insofern stimmt der Begriff der Freiheitsenergie in dem Sinne, wir machen uns frei von russischen Einfuhren nach Deutschland. Aber die Frage ist, wie schnell kriegen wir das denn tatsächlich hin? Und die Bundesregierung, die Ampelkoalition hatte sich ja sowieso schon vorgenommen, die Geschwindigkeit beim Ausbau der Erneuerbaren so weit wie möglich zu erhöhen und das Gaspedal also voll durchzutreten, wenn man so will. Und dann noch schneller zu werden, noch stärker zu beschleunigen, ist nicht so ganz einfach, wenn man sowieso schon alle Kapazitäten oder alle Chancen so schnell wie möglich nutzen will. 

 

Göpel: Die chemische Industrie ist ja eine energieintensive Branche. Nun gibt es da verschiedene Aspekte. Einerseits kann sich nicht jedes Unternehmen leisten, Offshore-Windanlagen zu kaufen oder sich daran zu beteiligen. Auf der anderen Seite ist es ja auch so, dass die Elektromobilität dafür sorgt, dass der Energiebedarf in der Summe noch mal zusätzlich steigt. Also was können Biogasanlagen vielleicht sogar ausrichten? Was ist an Atomenergie denkbar? Auch das wird derzeit diskutiert. Oder wird es so sein, dass es immer noch einen Rest von fossilen Brennstoffen geben wird, den wir nutzen müssen, weil halt Wind und Sonne letztendlich nicht ausreichen? 

 

Bardt: Der Strombedarf wird vermutlich steigen. Je mehr energieeffizient wir werden, je mehr wir dekarbonisieren, desto mehr wird erneuerbarer Strom benötigt, um das tun zu können. Und es zeigt mit Blick auf die Industrie, dass das alte Ziel-Dreieck nach wie vor gilt. Sicherer, umweltfreundlicher und bezahlbarer Strom oder Energie, also vor allem bezahlbarer, grüner Strom, günstiger grüner Strom, das wird ein wichtiger Standortvorteil für die Zukunft sein. Das ist das, wo die Bundesregierung, aber auch Energiewirtschaft und Industrie dann dran arbeiten müssen. Eine der Fragen ist, wie kriegen wir dieses Puzzle zusammen? Diese Schwankungen von Sonne und Wind ausgeglichen. Und da gibt es verschiedene Ansätze, die auch wieder zusammenspielen müssen. Wir können teilweise Produktionen ein Stück weit runterfahren, wir können Nachfrage im Tagesverlauf mit steuern. Also wenn es viele Elektroautos gibt, die am Netz sind und wir ein intelligentes Netz haben oder hätten, dann könnte man die schrittweise aufladen, dass das nicht alles gleichzeitig mit benötigt wird und damit den Verbrauch glätten. Wir können in Zukunft sicherlich auch teilweise über Wasserstoff, der zwischendurch produziert wird, Strom erzeugen in Zeiten, wo weniger Erneuerbare zur Verfügung stehen, und den sozusagen als Speicher mit verwenden. Also viele Einzelteile, die eines Tages dazu führen sollen, dass die fossilen Energieträger als Puffer, als Ausgleichsenergie nicht mehr benötigt werden. 

 

Göpel: Noch mal ein Blick auf die Biogasanlagen. Spielen die eine relevante Rolle oder einfach nur ein kleines Puzzleteilchen? 

 

Bardt: Biogas ist schon wichtig. Es ist eine erneuerbare Energiequelle, Stromquelle, die gut gesteuert werden kann, die also nicht davon abhängig ist, ob jetzt gerade Tag und Nacht ist, ob Wind weht oder nicht, sondern die kann dann angeworfen werden, wenn sie benötigt wird. Der Nachteil von Biogas oder Biomasse generell ist natürlich, dass man die Biomasse auch produzieren muss und wir schnell zu der Frage kommen, welche Umweltfolgen hat das? Gibt das Konflikte zur Nahrungsmittelerzeugung beispielsweise, ist das umweltschutzseitig vertretbar oder nicht? Also hier entstehen dann auch neue Konflikte, die auch gelöst werden müssen. Man sieht, jede Energieerzeugung hat irgendwelche Nachteile, hat irgendwelche Schwierigkeiten und deshalb gibt es auch nicht das eine Große, mit dem wir alles glauben, regeln zu können oder irgendwann lösen zu können, sondern immer eine Abwägung. Und ja, am Ende muss das Gesamtkonzept stimmen. 

 

Göpel: Weg von Energie, hin zu den Rohstoffen. Denn für die chemische Industrie sind ja Öl und Gas nicht nur wichtig für die Energieversorgung, sondern sind auch die wichtigsten Rohstoffe für viele Produkte. Die Unsicherheit, besonders bei der Gasversorgung, ist ja sehr groß. Worauf muss sich da aus Ihrer Sicht die Branche einstellen? 

 

Bardt: Langfristig muss sich die Branche darauf einstellen, dass sie ihre Energieversorgung umstellt und das, was wir an stofflicher Basis haben, dann über Fossile auch weiterhin organisiert werden kann. Teilweise vielleicht auch über biogene Grundstoffe. Aber der Einspar-Effekt, die große Dekarbonisierungsfrage, liegt ja nicht in der stofflichen Nutzung, sondern in der energetischen. Es gibt Konzepte, die besagen, dass wir große Mengen von Strom aus erneuerbaren Quellen brauchen, um die Chemie auch in dem Sinne dekarbonisieren zu können. Die kurzfristige Frage des kurzfristigen Risikos eines Gasembargos oder Boykotts, also ein letztliches Zusammenbrechen oder Ausfalls des Gasimports aus Russland, hat natürlich aber dann auch Auswirkungen auf die Frage der stofflichen Verfügbarkeit. In einer solchen Situation würden die Preise deutlich weiter ansteigen, damit vielleicht auch ein bisschen weiteres Reduktionpotenzial in den Haushalten realisieren, also dass man die Heizung nicht ganz so warm hat im Winter, sondern ein bisschen kühler, um Gas zu sparen, weil zu teuer ist. Mit all den sozialen Folgen und Konsequenzen, die das dann hat. Aber für die Industrie würde das bedeuten, dass am Ende die Regulierungsbehörde entscheiden muss, wer kriegt denn was und wer kriegt nichts? Und das würde dann die Frage energetische und stoffliche gleichermaßen betreffen. 

 

Göpel: Ich bleibe dann bei dem Gas als Rohstoff. Verfügbarkeit ist das eine. Im Extremfall, wenn es nichts mehr gibt, bleiben wahrscheinlich die Bänder stehen. Aber es geht auch um den Preis. Also wenn man etwas bekommt, Stichwort Katar, gibt es ja Gespräche, da etwas zu bekommen. Es sollen ja die Flüssigtank-Anlagen aufgebaut werden. Das hat ja auch Auswirkungen auf den Preis. Und derzeit ist ja auch der Preis für Gas in Europa mit Abstand der höchste, wenn man das vergleicht mit dem amerikanischen Markt oder japanischen Markt. Und wir haben es schon erlebt, dass sich ab einem gewissen Preis die Produktion und die Weiterverarbeitung in Deutschland gar nicht mehr lohnt. Also die Ammoniakproduktion in Ludwigshafen hat es ja zum Beispiel schon erfahren. Wenn also der Gaspreis weiter steigt, es wäre verfügbar, das Gas, aber der Preis steigt, dass sich einfach eine Verarbeitung in Deutschland nicht mehr lohnt. Sehen Sie da eine Gefahr für den Standort? 

 

Bardt: Auch da müssen wir zwischen kurz- und langfristig unterscheiden. Kurzfristig haben wir im Augenblick mit Abstand die höchsten Preise in den drei großen Regionen, also deutlich höher als die USA, massiv höher als Japan. Das ist dem aktuellen Konflikt geschuldet und der Sorge vor allem vor tatsächlichen Engpässen. Würde es zu einem Embargo oder Boykott kommen, dann wäre auch hier noch mit höheren Preisen tatsächlich zu rechnen. Langfristig ist das Preisniveau nicht realistisch, aber werden wir uns wahrscheinlich daran gewöhnen müssen, dass es teurer wird als bisher? Ja, aber wir haben bisher immer davon profitiert, dass wir günstiges russisches Gas hatten, die Pipelines gebaut wurden. Da ist einmal rein investiert worden und dann war der Transport sehr viel günstiger, als etwas zu verflüssigen, über die Weltmeere zu verschiffen und wieder zu gasifizieren und dann zu verteilen. Also LNGa als Alternative. Japan hat auf LNG gesetzt, hatden LNG-Markt entwickelt, hatte immer in den letzten Jahren höhere Preise als Westeuropa. Wenn wir jetzt von Russland unabhängig werden wollen, heißt es, wir müssen stärker auf LNG setzen, dann heißt das auch, wir müssen höhere Preise dafür zahlen. Und die werden auch höher sein als die Energiepreise in der Vergangenheit, weil ja einfach eine massive zusätzliche Nachfrage dann auf den Markt drängt. Das Angebot lässt sich nicht so schnell ausweiten und vor allem nur dann, wenn man auch bereit ist, auf lange Sicht höhere Preise zu zahlen. Also es wird auf jeden Fall dann teurer werden für die Gasverbraucher, Privaten und Industriellen, und das stellt dann perspektivisch auch Standortentscheidungen, Produktionsentscheidungen unter ein neues Licht, aber sicherlich nicht in der Dimension wie im Augenblick. Die Gaspreise, die wir jetzt haben, werden nicht diejenigen sein, mit denen wir dauerhaft zu rechnen haben. 

 

Göpel: Neben Gas und Öl wird auch die Versorgung mit wichtigen Metallen und Mineralien für viele Unternehmen schwieriger. Welche nennenswerten Vorkommen hat Deutschland hier zu bieten? 

 

Bardt: Das Problem mit Blick auf Russland sind beispielsweise Nickel, was zwar auf dem Weltmarkt verfügbar ist, aber in dieser Qualitätsstufe nur sehr schlecht verfügbar ist, andere Rohstoffe, Palladium beispielsweise oder auch Neon als Nebenprodukt der Stahlindustrie der Ukraine. Teilweise ist das auch anderswo auf der Welt verfügbar, nicht so schnell, nicht in den Mengen, die gebraucht werden, nicht in den Qualitäten, die gebraucht werden. Teilweise sind Rohstoffe auch in Deutschland verfügbar. Wir haben ja im Augenblick überhaupt keine Metallproduktion im Land. Das war mal anders. Die Vorkommen sind in anderen Ländern günstiger zu realisieren, bzw. die Bergwerke sind halt da und das ist dann immer günstiger als ein neues aufzumachen. Vor allem sind die nächsten Prozessschritte der Konzentration dieser Erze, der Aufbereitung oftmals sehr schwierig, mit erheblichen Umweltauswirkungen verbunden und deshalb in Ländern wie Deutschland schwieriger durchzuführen als vielleicht anderswo. Aber machbar ist das. Wir haben gutes Wissen darüber, welche Rohstoffe in Deutschland vorhanden sind, vor allem die ehemalige DDR ist hervorragend ausgeleuchtet. Da hat man viel nach Rohstoffen gesucht, viel Exploration betrieben und weil man einfach wenig hatte und sich nicht auf dem Weltmarkt so gut versorgen konnte. Es gibt immer wieder Ansätze, in Deutschland Bergwerke oder Bergbau neu mitzubetreiben. Das war auch schon vor 13, 14 Jahren der Fall, als wir das letzte Mal so ein Halb- oder Preisspitzen bei Rohstoffen bekamen und uns Sorgen machten, kriegen wir denn die Sachen noch aus China oder nicht? Da ist dann relativ wenig draus geworden. Was wir natürlich brauchen, ist auch hier eine Zahlungsbereitschaft, die höher ist als das, was im Augenblick so auf den Märkten erzielbar ist, also eine Art Versicherungsprämie. Man kann sicher von hier kriegen oder mit einer gewissen Unsicherheit von anderswo in der Welt. Das wird die Frage sein, ob jemand bereit ist, das zu zahlen. 

 

Göpel: Es ist also nur eine Frage des Rohstoffpreises, ab wann es sich lohnt, auch in Deutschland wieder Rohstoffe abzubauen. 

 

Bardt: Ja, man kann nicht alles abbauen, man kann nur das abbauen, was auch da ist. Aber es gibt verschiedene Initiativen, bestimmte Rohstoffe hier abzubauen, bis hin zu Lithium. Also wo man jetzt gar nicht zuerst daran denkt, dass es das hier auch gibt. Das geht, das ist aufwendiger. Und wir hatten die Situation ja auch lange mit der Steinkohle, die in Deutschland abgebaut wurde, obwohl sie über Jahrzehnte nicht weltmarktfähig war. Also über Jahrzehnte hinweg sind Subventionen gezahlt wurden, damit es dann im Inland abgebaut wurde, obwohl es hier gute andere und eine Vielfalt von anderen Lieferländern auch mit gab. Wir haben bei einzelnen Rohstoffen eine Situation, die sehr viel konzentrierter ist, auf China beispielsweise oder auf andere einzelne Länder, wo man dann die Frage stellen muss, ist diese Sicherheit das wert, den Aufwand hier zu betreiben? Oder sprechen wir über Risiken, die wir anderweitig beherrschbar sind, wenn sie denn Realität werden? 

 

Göpel: Lithium ist ein gutes Stichwort. Das soll ja ab 2025 im Erzgebirge abgebaut werden. Die Technologien haben wir. Müsste sich was an den gesetzlichen Regulierungen ändern, um es vielleicht attraktiver zu machen, Rohstoffe in Deutschland abzubauen? 

 

Bardt: Wir haben ja auch bei dem Rohstoffabbau, den wir haben, ziemliche Schwierigkeiten. Rohstoffabbau in Deutschland ist ganz wenig Öl, wenig Gas. Bei Gas kam irgendwann die Fracking-Diskussion und dann damit das Verbot von Instrumenten oder von Fördertechniken, die lange etabliert waren, und womit der heimischen Anzahl an der Förderung noch weiter runter gegangen ist. Wir haben aber auch ansonsten Abbau von Kalk, von Steinen und Erden und dergleichen mehr. Wir sehen, dass, wann immer es ein Bergwerk, eine Kiesgrube erweitert werden muss, weiter wandern muss, sozusagen, weil die Stelle, wo sie jetzt ist, dann abgebaut ist, wir erhebliche Probleme haben, das tun zu können. Weil wir Bebauung haben, weil wir Naturschutzgebiete haben, weil wir Proteste der Anwohner haben oder dergleichen mehr. Und all das wäre natürlich mindestens genauso, wenn wir jetzt nicht eine etablierte Kiesgrube weiterentwickeln, sondern man tatsächlich neu irgendwo anfängt. Selbst wenn man es unter modernsten Nachhaltigkeitsgesichtspunkten macht, ist das kein einfaches Unterfangen. Und Sie brauchen auf jeden Fall politische Rückendeckung und entsprechende Unterstützung bei der Genehmigung und auch bei der Realisierung solcher Projekte. 

 

Göpel: Also das Beispiel Tesla hat ja gezeigt, dass Sachen auch schnell gehen können. Abbau ist natürlich eine ganz andere Hausnummer, wenn es darum geht, dass Ortschaften ggf. auch nicht mehr existieren. Stichwort Tagebau: Erwarten Sie, dass durch den Krieg die Bereitschaft in Deutschland steigt, mehr zu tun in Sachen eigener Förderung und zum Beispiel auch mehr Umweltfolgen in Kauf zu nehmen als bisher? 

 

Bardt: Wir reden, glaube ich, nicht von großen Tagebauten, wo Dörfer abgebaggert werden. Das ist die Braunkohle, das ist auch jetzt quasi ausdiskutiert. Und da sind die Grenzen der Anbaugebiete dann absehbar. Wenn wir über Bergbau im Erzgebirge beispielsweise reden, dann ist das Untertage oder ist zu mindestens relativ kleinräumige Zugänge, die dann notwendig sind. Also da wird man mit Sicherheit nicht Dörfer abbaggern müssen oder dergleichen mehr. Aber klar ist, Bergbau ist etwas, was mit Eingriffen in die Natur zu tun hat. Das kann man gut machen, das kann man schlecht machen, das kann man umweltfreundlich machen oder zumindest mit wenigen Umwelteingriffen machen. Das kann man auch sehr umweltschädlich machen. Klar ist, es müsste in Deutschland unter höchsten Umwelt- und Sozialstandards auch stattfinden im internationalen Vergleich. Aber trotzdem, es bleibt immer ein Eingriff. Und das ist dann auch die Frage von Akzeptanz. Ja, ich kann mir vorstellen, dass die im Augenblick größer ist vor dem Hintergrund der Bilder, die wir sehen, und der möglichen Bedrohung, die wir haben. Aber die Verbindung ist doch dann sehr indirekt, dass man vor Ort dann sagt, ja, wir können brauchen Lithium aus dem Erzgebirge und nicht aus Australien. Das ist dann, glaube ich, nochmal schwieriger vor Ort zu erklären, als wenn es jetzt darum geht, vielleicht mehr Gas in Deutschland zu produzieren oder zu fördern und weniger dafür aus Russland zu importieren. Also die direkte Verbindung ist dann glaube ich weniger da und ich glaube, das ist kein Selbstläufer. Am Ende geht es dann auch um die Frage, welche Preise sind langfristig zu erzielen? Und das ist wahrscheinlich die wichtigere. 

 

Göpel: Der letzte Teil meiner Fragen konzentriert sich nicht darauf, neue Rohstoffe zu bekommen, weil Rohstoffvorkommen sind ja per se endlich. Ein weiteres Puzzleteil ist es ja auch, bestehende Rohstoffe, die verarbeitet wurden, wieder zurückzugewinnen. Stichwort Kreislaufwirtschaft. Wenn es also eine perfekte Kreislaufwirtschaft gäbe, könnte man ja mit minimalen Importen in Deutschland auskommen. Was ist da aus Ihrer Sicht heute technisch und finanziell schon machbar? 

 

Bardt: Urban Mining ist ein wichtiges Stichwort, also die Stadt als Mine sozusagen. Wir haben das ja angefangen vor langer Zeit. Altpapier wird seit langem wiederverwertet, Glas, verschiedene Basismetalle, Stahl, Eisen, Aluminium und Kupfer. Da haben wir hohe Recyclingquoten. Also das, was anfällt, wird dann auch so gut es geht recycelt, da, wo es möglichst einfach ist und gut gesammelt werden kann und relativ günstig dann auch recycelt werden kann. Es ist bei Kunststoffen wird es schon schwieriger, die häufig durchmischt sind, die häufig verdreckt sind, die nicht so gut wieder aufbereitet werden können. Aber natürlich hat das ein wichtiges Potenzial. Das ist oftmals eine technische, eine Frage der technischen Entwicklung. Was ist möglich, zu welchen Kosten, dann auch mit... Weil natürlich der Aufwand dann ins Verhältnis gesetzt werden muss zu dem Ertrag, der tatsächlich da ist, zu den gewonnenen Rohstoffen. Aber gerade da, wo wir über neue Stoffströme sprechen und über große zusätzliche Mengen, da sind wir wieder bei Lithium, ist es ausgesprochen wichtig, möglichst früh sich darüber Gedanken zu machen: Wie können wir denn die Kette schließen und dann auch die Recyclingmöglichkeiten nutzen? Also beispielsweise Lithium, Autoproduktion, Autobatterien für Elektrofahrzeuge, wenn die an ihr Lebensende kommen im Auto, dann können sie noch mal genutzt werden als Second Life in Gebäuden beispielsweise. Aber irgendwann sind die dann auch durch und können nicht mehr genutzt werden. Dann ist es wichtig, dass wir spätestens, wenn das anfängt, da die relevanten Mengen kommen, dass wir dann soweit sind, die Dinge nicht einfach wegzuwerfen oder zu verbrennen oder nur den Mantel zu gewinnen, sondern auch tatsächlich die Rohstoffe, die da drin sind, wieder zurückzugewinnen und in den Kreislauf zurückführen zu können. Das hilft uns am Anfang nicht. Es hilft nicht in der Phase, in der immer mehr gebraucht wird. Also wenn wir jetzt in die Elektromobilität mit hineinkommen, dann werden natürlich erst mal viel mehr Batterien benötigt, als Batterien zurückkommen. Aber irgendwann muss man so weit sein, dass man das mit schließen kann, um die Vorkommen dann zu schonen und um auch letztlich die Preise nicht explodieren zu lassen. Und das ist, wenn wir zusätzliches Produkt anbieten können, die Rohstoff aus der städtischen Mine, aus dem Recycling mit anbieten können, dann ist das auch preisdämpfend und wirtschaftlich sinnvoll, wenn sich das rechnet. 

 

Göpel: Wer es aus Ihrer Sicht dann jetzt ratsam, dass auch die Politik Geld in die Hand nimmt oder zumindest eine Erleichterung bei Forschung ermöglicht, um Produkte, die vielleicht jetzt noch gar nicht auf dem Markt sind, zum Beispiel Batterien, die noch in Entwicklung sind, aber dann auch gleich mitzudenken, wie diese wiederverwertet werden können? Dass es also mehr Anreize gibt, diesen Kreislauf auch schon von vornherein mitzudenken. 

 

Bardt: Das ist ein ganz wichtiger Bestandteil. Und ich glaube, da gibt es auch bei allen Konzeptionen der Entwicklung wird das inzwischen mitgedacht. Da sind wir heute auch weiter als vor 20 Jahren. Die Frage, was passiert am Ende des Lebenszyklus, gerade wenn es um solche riesigen Mengen geht, die dann, wo viel Forschung noch mit drin ist, viel Grundlagenforschung auch mit drin ist und wo die ganzen Systeme erst aufgebaut werden. Da kann man das dann auch einfacher denken als bei etablierten Verfahren. Und wir reden ja auch über Mengen. Also in so einem Elektroauto sind einfach Mengen von Batterierohstoffen drin, die dann auch konzentriert da sind und gut weiterverarbeitet werden können. Das ist viel, viel einfacher als bei so einem Handy beispielsweise, über das man immer mal wieder spricht, wo halt winzigste Mengen von ganz vielen Rohstoffen mit drin sind und es sich kaum lohnt, die jetzt wieder herauszulösen. Das ist beim Auto, also bei Batterien für Elektroautos, wertvolle Rohstoffe in großen Mengen zusammen, halt ganz anders, die dann auch an einer Stelle irgendwo mit anlanden. Aber das muss beim Design mitberücksichtigt werden. Man muss und das ist ja auch Vorgabe inzwischen, ja auch Autos so konstruieren, dass sie hinterher vernünftig zurückgebaut und so gut es geht recycelt werden können. 

 

Göpel: Ja, Smartphones sind da durchaus ein guter Punkt. Auch das höre ich öfter, dass nur ganz wenig davon wieder genutzt werden kann. Aber vielleicht gibt es auch da ja bald Product Designs, die das Ganze verbessern. 

 

Hubertus Bardt: Das sind große, große Prozesse. Das ist dann fast schon auch wieder chemische Industrie, wo man versucht, einen Stoff nach dem anderen durch einen zusätzlichen Prozessschritt mit herauszulösen. Das geht dann nur großtechnisch. Das ist was völlig anderes als das Einschmelzen von Aluminium zu neuem Aluminium. Sondern das ist auch hier, großtechnische Anlagen, viel Chemie, sehr viel komplexer und aufwendiger. Aber wenn so eine Kette erst mal da ist, ist es auch leichter, die noch zu verlängern, als wenn man bei Null anfangen muss. Und wir werden hier immer besser. Die Ketten dessen, was möglich ist oder was dann recycelt werden kann, werden länger und die Anteile werden tendenziell größer. 

 

Göpel: Das ist schön, dass Sie die Chemie auch hier als zentrales Element sehen. Was mir schlagartig schon wieder einfällt, aber es wär ein anderes spannendes Thema, ist die Chemikalienstrategie der EU und ob die dann förderlich oder hinderlich ist in diesem Sinne, wenn uns da Stoffe eingeschränkt nur noch zur Verfügung stehen. Für heute für das Thema Rohstoffe soll es das gewesen sein und ich bedanke ich mich für das Gespräch. 

 

Bardt: Gerne und vielen Dank für die Einladung. 

 

Göpel: Ja, gerne. Zum Abschied, ist so mein Klassiker, bitte ich Sie noch um zwei Titel für meine Wir. Hear.-Playlist. Also bei welcher Musik können Sie sich am besten entspannen oder welche Titel hören Sie, wenn ein Projekt richtig gut gelaufen ist? 

 

Bardt: Das ist sehr, sehr vielfältig. Was mir gerade einfällt, ist Queen und Bohemian Rhapsody, weil das so vielfältig ist und so viele unterschiedliche Stile da zusammenkommen. Und dann bin ich so ein Kind der 80er und The Eurythmics fällt da mir ein, also einiges, was auf Ihre Playlist passt. 

 

Göpel: Perfekt. Vielen Dank. Liebe Zuhörende, das war eine weitere Folge von Wir. Hear. Zu Gast war Professor Dr. Hubertus Bardt, Geschäftsführer beim IW in Köln. Wir haben über das Rohstoffland Deutschland gesprochen. Wenn Sie Fragen, Hinweise oder sogar Lob haben, dann senden Sie mir eine E-Mail an podcast@wir-hear.de und empfehlen Sie den Podcast gerne weiter. Vielen Dank und bis bald.

 

  • Like
  • PDF

Das könnte Sie auch interessieren

Neue Kampagnen-Runde von „Ihre Chemie“

Die Initiative Chemie im Dialog (CID) betreibt seit vergangenem Jahr das Portal "Ihre Chemie". Es soll ein Bewusstsein dafür schaffen, welche Bedeutung die Chemieindustrie für eine klimafreundliche Transformation der Wirtschaft und Gesellschaft hat. Gerade startete ein weiterer Teil der Awareness-Kampagne, diesmal mit einem Fokus auf das Thema Rohstoffe.

Person in Chemielabor. Foto: stock.adobe.com - Gorodenkoff

Rheinland-Pfalz strebt an die Spitze des Biotechnologie-Sektors. Eckhard Thines ist Landeskoordinator für Biotechnologie in Rheinland-Pfalz. Er erläutert in der neuen Folge des Podcasts Wir. Hear., wie die Region durch gezielte Investitionen und strategische Bildungsinitiativen bis 2031 zu einem führenden Standort werden soll.
Hören Sie rein und abonnieren Sie Wir. Hear. zum Beispiel bei Spotify.


Tobias Göpel: BioNTech, Boehringer Ingelheim, Novo Nordisk. LTS Lohmann. Die Liste erfolgreicher Pharmaunternehmen in Rheinland-Pfalz ist lang. Nun will auch Eli Lilly investieren. Rheinland-Pfalz soll bis 2031 ein Spitzentechnologiestandort werden. So will es die Landesregierung. Wie soll das gelingen? Was brauchen wir dafür? Und was heißt das für die Menschen im Land? Darüber spreche ich in dieser Folge mit Eckhard Thines, dem Landeskoordinator Biotechnologie für Rheinland-Pfalz. Hallo! Herzlich willkommen!
Eckhard Thines: Hallo, Herr Göpel!
Tobias Göpel: Meine erste Frage ist: Wir haben jetzt schon angekündigt, die neu dazukommen. 1000 Beschäftigte sollen in Alzey zukünftig eine berufliche Heimat haben. Zusätzlich habe ich von BioMainz erfahren, dass die international bedeutsame Curious-Konferenz 22 in Mainz stattfinden soll. Das klingt so nach einer Erfolgsgeschichte. Ist das auch eine?
Eckhard Thines: Sie haben jetzt schon gesagt, Lilly kommt. Wir haben in Rheinland-Pfalz ganz viele große Biotechnologieplayer. Die Erfolgsgeschichte hat schon vorher angefangen. Ich darf an BASF und Boehringer erinnern und an viele andere Firmen in Rheinland-Pfalz, die Biotechnologie machen und das ganz hervorragend machen. Und es ist eine Erfolgsgeschichte. Das ist eine Aneinanderreihung vieler Erfolgsgeschichten. Und ich werde auch nicht müde, in dem Kontext zu sagen, dass die Biotechnologie eine Schlüsseltechnologie für das 21. Jahrhundert ist. Und was heißt das eigentlich? Also, mit der Biotechnologie kommt die Anwendung biologischer Prinzipien für die Herausforderungen der Gesellschaft. Und wenn wir in Rheinland-Pfalz in dem Bezug ganz viel anbieten können, dann ist das eine Erfolgsgeschichte. Ohne Frage. Und on top kommt auch noch an der Stelle, dass die Biotechnologie als nachhaltig gilt. Also nicht nur eine Erfolgsgeschichte, sondern hoffentlich auch eine erfolgreiche, eine nachhaltige Erfolgsgeschichte. Und Sie haben jetzt Curious angesprochen. Das würde ich auch gerne noch ganz kurz kommentieren. Die Curious ist eine ganz interessante Konferenz, weil es eine Konferenz ist, bei der junge Leute zusammenkommen, um Zukunft zu diskutieren. Und das ist für uns in Rheinland-Pfalz tatsächlich eine Riesenchance, dass wir zeigen, was können wir in Rheinland-Pfalz und wie stellen wir die Biotechnologie in Rheinland-Pfalz auf, um die zukünftigen Herausforderungen der Menschheit und der Gesellschaft zu adressieren? Und Biotechnologie wird mit Lösungen dazu beitragen, dass wir das adressieren können.
Tobias Göpel: Jetzt haben Sie gesagt, dass die Biotechnologie schon eine größere Vergangenheit im Rheinland-Pfalz hat. Ist das jetzt so? Der rosa Elefant weiß gerade, was das Thema ist, dass wir plötzlich draufkommen. Oder haben wir einfach in der Vergangenheit uns zu wenig darauf konzentriert oder geklappert, darüber gesprochen?
Eckhard Thines: Sie sagen jetzt geklappert. Ich habe das neulich in dem Interview gesagt. Wir klappern zu wenig. Ich fange mal an bei den Kollegen von Boehringer und bei den Kollegen von VW in Ludwigshafen. Das sind wunderbare Kollegen, die tolle Forschung machen, um zum Beispiel Krebs, neurodegenerative Krankheiten, Diabetes zu adressieren. Es geht weiter mit Nowowasweißich. Und wir haben die BASF in Ludwigshafen, dass sie, wenn sie die Gänze dieser ganzen Firmen mal zusammennehmen und ich habe jetzt nur die größten genannt, das hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es müssen wir die Kollegen nachsehen, die, die sie jetzt nicht genannt schön an, dann, dann ist das wirklich viel, viel Masse. Was wir in Rheinland-Pfalz, in Biotechnologie haben und das nicht nur in Pharma, sondern auch in anderen Sparten. Und ja, ich bin der Meinung, wir haben in der Vergangenheit vielleicht nicht genug darauf hingewiesen, dass das alles biotechnologische Ansätze sind und was da für ein Zukunftspotenzial auch drin liegt. Es gilt natürlich auch in der Biotechnologie eine Akzeptanz in der Bevölkerung und in der Gesellschaft zu schaffen.
Tobias Göpel: Ist das dann jetzt Ihr Job als Koordinator, so ein Botschafter zu sein für Verständnis und für mehr Klappern?
Eckhard Thines: Das würde ich ganz stark hoffen und auch annehmen. Ja, ist der der Job des Landeskoordinators ist ja so ein Job, den man vergleichsweise frei interpretieren kann. Und ich meine, jetzt möchte man so einen Standort weiterentwickeln. Entwickeln würde ich nicht sagen weiterentwickeln, weil ich habe ja jetzt schon ausgeführt, dass wir ganz viele starke Player am Standort haben. Und wenn sie das tun, dann machen sie es auf verschiedenen Ebenen. Zum einen machen sie das auf der Ebene der Forschenden an Fachhochschulen, Universitäten, in außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Die Forschung geht weiter. Ich habe über Anwendungsbereiche geredet. Dann redet man natürlich auch mit den Forschenden in der Industrie. Man macht Outreach. Das ist eine ganz, ganz wichtige Geschichte. Und ich glaube, dass das etwas ist, was jetzt auch an mir liegt, dass man das stärkt und weiter fördert. Dazu kommt noch, dass wir natürlich, wenn wir den Standort weiterentwickeln, auch über Marketing reden müssen. Wir müssen über eine Start-up-Kultur reden, über Transferstrategien müssen wir reden. Und das sind verschiedene Ebenen. Und diese Ebenen miteinander zu vernetzen und zu koordinieren, halte ich für sehr wichtig. Dazu kommt noch, dass wir jetzt auch hier am Standort wahnsinnig viel in Infrastruktur, Geräte und Gebäude investiert haben. Und auch da gilt es zu vernetzen und zu koordinieren. Wie passt das zusammen? Welche Bedarfe hat man? Und so weiter und so fort. Und last but not least, das ist auch eine ganz, ganz wichtige Sache für mich an der Stelle, wenn man koordiniert oder vernetzt, dann gilt es natürlich auch, dass man Vorschläge macht und Konzepte entwickelt, dass man als Fachmann einfach Bedarfe identifiziert, neue Herausforderungen identifiziert und basierend auf dieser Analyse dann Konzepte entwickelt. Es ist immer schnell gesagt, man investiert jetzt irgendwie so viel Millionen im Land und dann kann man etwas aufbauen. Ich bin da eher so ein bisschen anders gestrickt. Ich frage eigentlich immer nach Konzepten und dann fragt man nach den Ressourcen, die man braucht, um diese Konzepte zu erfüllen oder die Ziele zu erreichen. Und da sehe ich tatsächlich meine Aufgabe als Landeskoordinator. Und natürlich auch, um der Politik zu vermitteln, was es für den Forschenden oder für denjenigen, der hier als Start-up herkommt, an einem Standort bedarf und was wichtig ist, was man entwickeln muss.
Tobias Göpel: Wo kann ich mir vorstellen, sind Sie verortet? Ist das so etwas Ehrenamtliches neben einer Professur oder sind Sie Ministerialbeamter? Also, in welchem Geflecht stehen Sie dann?
Eckhard Thines: Nein, ich bin ordentlicher Professor an der Johannes Gutenberg-Universität, und ich mache das tatsächlich im Ehrenamt. Diese Koordinationsstelle ist ein Ehrenamt der Landesregierung, und ich fühle mich sehr geehrt, dass man mich damit betraut hat. Denn ich bin der festen Überzeugung, dass es wirklich wichtig ist, dass das von jemandem aus der Biotechnologie administriert wird. Es braucht ein bisschen Fachkompetenz, um auch aus Sicht der Forschenden sagen zu können, hier geht die Reise hin, und hier haben wir den entsprechenden Bedarf.
Tobias Göpel: Wobei das jetzt schon nach einer Menge Aufgaben klingt und auch eher nach längeren Abenden.
Eckhard Thines: Ja, das ist so. Zusätzlich leite ich auch noch ein Forschungsinstitut und bin auch noch Dekan der Biologie. Aber wenn Sie das auf der anderen Seite sehen, ist diese Fülle an Aufgaben und Jobs, die man hat, auch eine gigantische Chance. Man kann gestalterisch auch etwas tun, und das ist an der Stelle ohne Zweifel zeitintensiv, aber auch eine tolle Herausforderung.
Tobias Göpel: Das klingt gut. Haben Sie da einen Überblick, wie viele Biotech-Unternehmen derzeit überhaupt in Rheinland-Pfalz tätig sind? Erfassen und nicht namentlich nennen, aber so eine grobe Zahl, wie viele gibt es?
Eckhard Thines: Das ist schwierig. Das ist deswegen schwierig, weil es keine klare Definition gibt. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wenn Sie die Firma Röhm in Worms anschauen, die Absorber herstellt, mit denen man molekulare Stoffe aus dem Abwasser klären kann, würden Sie sagen, dass es Biotechnologie ist? Schon, aber das würden nicht alle sagen. Und das ist ein bisschen schwierig, da die Trennschärfe reinzukriegen. Aber ich kann Ihnen sagen, dass wir zehn große Player in Rheinland-Pfalz haben, auf die ich wahnsinnig stolz bin, und dass wir sicherlich noch mal 20-30 Biotechnologie-Firmen in Rheinland-Pfalz haben, die mittelgroß sind. Das alles ist schon wirklich gut für ein Bundesland.
Tobias Göpel: Also, ich glaube, die meisten Menschen denken bei dem Begriff Biotechnologie an ein Unternehmen in Mainz, an den mRNA-Impfstoff. Der Geldsegen war nicht nur für Mainz selbst, sondern auch für andere Orte. In Rheinland-Pfalz Kronach ist nun vorbei, der Geldsegen auch. Was können wir von der Biotechnologie zukünftig erwarten? Gibt es noch mal einen Schub oder wird es jetzt ganz entspannt weiterplätschern und eher wissenschaftliche Erfolge geben?
Eckhard Thines: Lassen Sie mich kurz auf Ihre Frage eingehen. Die moderne Technologie hat uns neue Perspektiven eröffnet. Das ist die neue therapeutische Möglichkeit, die wir vorher nicht hatten, und die wird bleiben. Das ist der erste Teil der Antwort. Aber ansonsten bin ich fest überzeugt, dass wir uns in Zukunft auch auf neue Möglichkeiten bei der Behandlung von Krankheiten, chronischen Krankheiten, von Krebs, von neurodegenerativen Krankheiten, von Diabetes freuen können. Es werden wissenschaftliche Grundlagen gelegt. Ich habe jetzt darüber gesprochen, dass wir hier eine neue therapeutische Möglichkeit haben. Ob man RNA nimmt, therapeutische Antikörper oder molekulare Wirkstoffe – die Art, also es gibt einen Anfang, eine Bandbreite an Möglichkeiten, wie wir neue therapeutische Ansätze finden können. Und da können wir noch viel von der Biotechnologie erwarten. Ich habe bisher nur über Pharma gesprochen. Biotechnologie ist ja so eine Sache. Es wird oft von roter Biotechnologie gesprochen, wo wir Biomedizin oder Pharma verstehen. Aber wir haben auch die weiße und die grüne Biotechnologie. Lassen Sie mich betonen, dass es wichtig ist, die Biotechnologie nicht so zu verstehen, dass man für jede dieser Indikationen alles neu machen muss. Biotechnologie bietet Infrastruktur, Ressourcen und Möglichkeiten, die man in den verschiedenen Bereichen gemeinschaftlich nutzen kann. Und das tun wir am Standort. Wir bauen eine Infrastruktur auf, setzen Ressourcen und Kompetenzen ein, die man nicht nur in roter oder grüner Biotechnologie, sondern auch in weißer Biotechnologie nutzen kann. Sie fragen, was können wir von der Biotechnologie noch erwarten? Ich erwarte, dass die. Die jungen Leute gehen auf die Straße wegen Klimaschutz, auch hier, wenn sie den European New Deal sehen. Und wenn sie die Herausforderung im Green Deal sehen? Ich bin fest überzeugt, dass in der weißen und grünen Biotechnologie Lösungsansätze geboten werden, die auch dazu beitragen, dass wir dem European Green Deal gerecht werden. Und das ist für mich auch etwas abseits von Pharma und roter Biotechnologie, was ein hohes Gut ist und wo ich mir viel Potenzial erwarte. Wir wollen der erste klimaneutrale Kontinent werden, und Biotechnologie wird einen Beitrag leisten. Ganz sicher.
Tobias Göpel: Jetzt haben Sie die drei Felder angesprochen. Ich weiß aus dem Pharmabereich, Forschung kostet viel Geld. Bis 2026 will die Landesregierung 800 Millionen € in den Biotechnologiestandort investieren. 800 Millionen sind einerseits viel, andererseits vor dem Hintergrund, was Forschung kostet, kann man auch sagen, es ist nett. Wofür wird das Geld verwendet?
Eckhard Thines: Das ist ein abendfüllender Vortrag. Die Zeit haben wir jetzt nicht, aber ich würde an der Stelle gerne drei große Schwerpunkte setzen. Das eine ist Gebäudeinfrastruktur. Als diese Biotechnologie-Initiative des Landes ins Leben gerufen wurde, war die erste Frage nach und nach Raum. Also, wo finden wir eigentlich Raum für Firmen, für Start-ups, für Forschungsgruppen, für Nachwuchsgruppen, die sich hier ansiedeln wollen und die hier Biotechnologie machen wollen? Hier hat die Landesregierung vehement investiert. Ich nenne jetzt nur die Universitätsmedizin als Beispiel. Also da ist sehr, sehr viel in Gebäudeinfrastruktur investiert worden und Gebäudeinfrastruktur. Es ist nun mal wichtig. Sie haben es angesprochen, Biotechnologie ist teuer. Wenn wir etwas programmieren wollen, brauchen wir ein Büro und zwei Computer. Wenn wir Biotechnologie machen wollen, brauchen wir eine Infrastruktur, die auf dem technisch cutting-edge Niveau sein muss und die auch permanent weiterentwickelt werden muss. Und da geht leider viel Geld rein. Das muss man als Invest einfach nehmen und damit aber auch Möglichkeiten schaffen, auch für Start-ups. Und da bin ich bei der Forschungsinfrastruktur als Punkt 2 Forschungsinfrastruktur. Für die gilt eigentlich genau dasselbe wie für Gebäudeinfrastruktur. Wenn wir an dieses Beispiel noch mal denken mit diesen Start-ups, kein Start-up kann sich jetzt die neueste Technologie im Bereich von, ich sage mal, hochauflösender Mikroskopie oder von Mikroskopie leisten. Was wir gemacht haben: Wir haben hier am Standort ein Mikroskopie-Center errichtet, wo sie die modernsten Mikroskope bis hin zum Nobelpreis-Mikroskop finden. Und Start-ups haben die Möglichkeit, das zu nutzen. Und das ist wichtig, dass das junge Leute, junge Menschen mit kreativen, innovativen Ideen an Standort kommen und dort alles vorfinden, sodass sie in möglichst kurzer Zeit wettbewerbsfähig werden. Das ist der Dreh- und Angelpunkt. Also, wenn wir das hinkriegen und da ist viel Geld reingeflossen, dann wird dieser Standort auch wirklich vernünftig und nachhaltig weiterentwickelt. Und das dritte sind Forschungsinitiativen. Auch da ist natürlich irgendwo muss Kreativität und müssen innovative Ideen herkommen und da muss man auch Geld in die Hand nehmen, um Forschungsinitiativen zu starten und zu lancieren. Sie wissen, wir hatten eine Studie von der Unternehmensberatung Roland Berger, um einfach auch zu schauen, ob die Maßnahmen, die wir jetzt begonnen haben, zielführend sind und den Bedarf tatsächlich adressieren. Und da wurde auch klar gesagt: Wir müssen Stärken, stärken und die stärken, also die Rote Biotechnologie, Pharma, Biotechnologie ist natürlich eine Stärke in diesem Bundesland. Und Forschungsinitiativen, die in diese Richtung gehen, wurden auch initiiert und angeschoben. So, sodass wir uns von da auch ganz viel Innovation und neues Potenzial erwarten.
Tobias Göpel: Jetzt klingt das gut für Unternehmen, für Start-ups. Infrastruktur wird aufgebaut. Aber wie profitieren die Menschen im Land konkret aus Ihrer Sicht von dieser Entwicklung, von Neuansiedlung und Förderung?
Eckhard Thines: Ja, die Menschen im Land profitieren natürlich. Das haben wir bei Biotech gesehen, dass ein hochattraktiver Markt entsteht, dass Produkte mit hoher Wertigkeit entstehen und mit einem hohen Marktpotenzial. Und dass mit diesem Markt natürlich auch ein wahnsinnig attraktiver Arbeitsmarkt nach Rheinland-Pfalz kommt. Das ist für die nächste Generation ganz entscheidend. Sie haben mich am Anfang gefragt, was meine Motivation ist, jetzt noch einen Job anzutreten. Also ich glaube, wir sind an der Universität, aber auch als Gesellschaft der nächsten Generation verpflichtet. Und diese nächste Generation kriegt hier eine echte Perspektive. Wir kriegen hier einen Arbeitsmarkt mit tollen Arbeitsplätzen für qualifizierte junge Menschen. Und ich habe schon gesagt, dass es nachhaltig die Wachstumsprognosen für diesen Arbeitsmarkt sind sehr, sehr gut. Also man geht davon aus, dass sich das vom Jahr 2020 bis zum Jahr 2030 verdoppeln wird. Und damit kommt eben diese Perspektive für die nächste Generation.
Tobias Göpel: Am Ende geht es ja um Jobs in Start-ups. Innovation und Forschung bedeuten ja auch ein gewisses Niveau. Welche Qualifikationen müssten denn diese Menschen dann mitbringen? Können es nur Akademiker sein, die dann da infrage kommen, oder auch andere?
Eckhard Thines: Nein, natürlich nicht. Also auch andere. Natürlich müssen wir, wenn wir an den Arbeitsmarkt denken, auch an technisches Personal denken. Technische Assistenten, Ingenieure, Laboranten. Das müssen wir mitdenken, das dürfen wir nicht vergessen, wenn wir auch über Ausbildung reden. Und wenn Sie mir dann auch noch erlauben: Wir hatten, wenn man so an der Uni sitzt und man diskutiert über neue Ausbildungsgänge und wo gibt es einen Bedarf und wo sind wir stark und wo wir? Sind wir nicht so stark? Dann schaut man ins Bundesland und wir sind der Meinung, dass wir in allem, was in die experimentelle Richtung geht, eigentlich im Bundesland sehr, sehr stark sind. Das ist eine Stärke. Also wenn Sie Mainz gucken, dass es eher molekular orientiert ist. In Kaiserslautern haben Sie sogar eine Bioverfahrenstechnik, die wir hier gar nicht haben. Das ist toll, weil es über das Land hinweg gut verteilt ist. Wir haben dann aber auch gesehen, dass alles, wo es Richtung Administration geht, wo es Richtung Regulatory Affairs gibt, wo es Richtung Patentrecht und IP geht. Dass es da durchaus noch einen Bedarf gibt und den gilt es natürlich auch zu adressieren. Also es ist nicht damit getan, dass man jetzt in Bezug auf die Laborarbeit Laboranten, technische Assistenten, Ingenieure und Akademiker für Research and Development ausbildet, sondern man braucht auch für die administrativen Aufgaben geschultes Personal. Und da sind wir auch bemüht und bestrebt, Angebote zu finden und zu definieren, die dem Arbeitsmarkt in dem Bezug dann eben gerecht werden.
Tobias Göpel: Das Land klagt ja jetzt schon über Fachkräftemangel. Wo sollen die eigentlich dann alle herkommen? Also die Unternehmen, die da sind, haben schon keine und jetzt kommen noch neue Unternehmen dazu. Was wäre so Ihr Wunsch, wo die Leute herkommen oder was bedeutet das für uns?
Eckhard Thines: Das ist auch eine Frage, die man ganz vielschichtig beantworten kann. Das fängt schon an bei der intensiven Werbung, die wir machen müssen in Schulen. Dass die jungen Leute sich für MINT-Fächer interessieren, Biotechnologie in Schulen bringen, ist nicht einfach, weil Biotechnologie eben sehr apparate- und geräteintensiv ist. Und das können sich viele Schulen nicht leisten. Da gilt es, Angebote zu entwickeln und junge Leute zu adressieren und zu interessieren. Ich meine, alles geht über Motivation. Und Sie haben gefragt, ob der Fachkräftemangel für uns irgendwie so eine Schwierigkeit darstellen würde? Das tut es ohne Zweifel. Das können wir nicht schönreden. Aber wir haben das identifiziert. Und wenn man etwas identifiziert hat, dann kann man es auch adressieren. Und das tun wir. Wir haben neue Studiengänge geschaffen, natürlich zunächst für Akademiker in Research and Development. Wir reden gerade darüber, wie wir attraktive Angebote schaffen können für die Ausbildung bzw. Laborantenausbildung. Den jungen Leuten muss man eine Perspektive zeigen. Wenn sie die nächste Generation anschauen, dann brauchen sie eine Perspektive. Und für mich kommt diese Perspektive auch aus einem Weiterbildungsangebot. Junge Leute heute wollen nicht mit 23 ausgelernt haben und dann keine weiteren Entwicklungsperspektiven haben. Die wollen sehen, dass es ein Weiterbildungsangebot gibt. Ich kann zusätzlich zu meinem Job noch über ein Fernstudium oder andere weiterführende Qualifizierungsmaßnahmen mich weiter qualifizieren und damit auch wieder Aufstiegschancen haben. Da wird die Sache attraktiv. Also wir reden, Wir reden nicht nur über universitäre Ausbildung, über Schulbildung oder über Thema Ausbildung, Laboranten, Ausbilder, sondern wir reden auch über Zertifikate und Programme, über Weiterbildungsprogramme, mit denen wir die Leute weiter und zusätzlich qualifizieren kann. So, das war der eine Punkt. Okay, der zweite Punkt, den ich auch nicht unerwähnt lassen möchte, ist Internationalisierung. Das ist für mich auch eine ganz, ganz wichtige Geschichte. Und zwar nicht nur, um junge Leute aus dem Ausland hierher zu kriegen, gute Köpfe hierher zu kriegen, was wir ohne Zweifel wollen, aber auch um unseren jungen Leuten am internationalen Markt internationale Forschung zu zeigen und sie auch dann dementsprechend zu qualifizieren. Märkte sind international, die Ausbildung sollte es auch sein und auch darüber schaffen wir wieder Interesse. Auch darüber schaffen wir wieder Bekanntheit. Und ich bin fest überzeugt, dass wir auch darüber wieder Fachkräfte zu uns motivieren können. Ich halte das für dringend notwendig. Aber Sie sehen jetzt an meiner Rede auch schon, dass die Problematik erkannt ist und dass wir auf verschiedenen Ebenen versuchen, das auch zu adressieren.
Tobias Göpel: Der Fachkräftemangel kann ja ein Stolperstein auf dem Weg zum Erfolg sein. Sehen Sie noch weitere Herausforderungen?
Eckhard Thines: Es gibt immer Herausforderungen. Biotechnologie ist dynamisch. Es wird eine Herausforderung sein, neue Felder zu entdecken oder zu identifizieren und sie zu adressieren. Es wird eine Herausforderung sein, zu konsolidieren und zu schauen, wie kriegt man bestehende Techniken oder bestehende Infrastruktur so in den Markt, dass damit auch für Firmen hier ein attraktives Umfeld entsteht. Es gibt die Herausforderung, dass wir zum Beispiel in wettbewerblichen Projekten am Standort für Firmen attraktiv werden. Und das rede ich nicht nur von den rheinland-pfälzischen Firmen, sondern ich rede auch von den restlichen Firmen, die wir haben bzw., die im Bereich Biotechnologie unterwegs sind. Also wenn Sie, wenn Sie an Firmen denken, die jetzt in Bioökonomie arbeiten, dann muss auch hier klar sein, dass wir ein attraktives Angebot hier in Rheinland-Pfalz haben, sowohl in Forschung als auch in Infrastruktur als auch in Flächen. Und wie kriegen wir die Leute hier her? Und das kann zum Beispiel über solche wettbewerblichen Projekte sein. Es kann über Tagungen und Meetings sein. Es gilt, Bekanntheit zu schaffen, und auch da sind wir auf einem guten Weg. Eine weitere Herausforderung. Ich habe jetzt gesagt, dass wir, dass wir stark sind, wenn Sie an die großen Player denken und auch so ein bisschen, wenn Sie an so mittelgroße Firmen denken. Ich glaube, eine Herausforderung wird sein, immer mehr Gründerkultur zu entwickeln. Das da sind wir einfach nicht dort, wo die Amerikaner sind. Und das ist etwas, was wir in Deutschland entwickeln müssen und nicht nur in Rheinland-Pfalz, Gründerkultur, Start-ups. Wie kann ich aus meiner akademischen Forschung eine Anwendung machen? Das sind so Dinge, die bei uns kulturell, historisch nicht wirklich gut gewachsen sind. Und als Mikrobiologe hat man da so einen anderen Ansatz. Ich erinnere immer an Louis Pasteur, der gesagt hat, Es gibt keine anwendungsorientierte Forschung, es gibt nur die Anwendung von Grundlagenforschung. Und ich würde mir wünschen, dass wir das wird es besser verstehen und mehr unsere Forschung dann auch in die Anwendung in Form von Start-ups und neu zu gründenden Firmen reinbringen. Das sind Herausforderungen, aber die nehmen wir an sehr gut.
Tobias Göpel: Meine letzte Frage: Wenn ich Ihnen per Fingerschnipsen einen Wunsch erfüllen könnte, welcher wäre das?
Eckhard Thines: Das ist ein Running Gag. Bei meinen Vorträgen, die ich jetzt vergleichsweise häufig halte, habe ich immer den, den englischen Wikipedia-Eintrag über das Land Rheinland-Pfalz. Wenn Sie das nämlich nachlesen, dann steht da irgendwo: Rheinland-Pfalz is known for its wine and sparkling wine. Ich würde mir wünschen, dass wir da irgendwann lesen könnten: Rheinland-Pfalz is known as a Biotechnologie, pop up etc., known for its wine and sparkle, beautiful, open-minded, tolerant World citizen und ich hätte das gerne, dass wir das auf dem Platz hinkriegen und nicht mit nem Fingerschnipp oder mein Teenager zu Hause der Wikipedia editiert. Das müssen wir schon sportlich machen und ich bin fest überzeugt, dass wir es auch hinkriegen.
Tobias Göpel: Die Biotechnologie ist in Rheinland-Pfalz im Aufwind. Lieber Thines, vielen Dank für Ihre Zeit und Ihre Einblicke zu diesem Thema.
Eckhard Thines: Ihnen ganz herzlichen Dank!

Eine Frau arbeitet mobil von zuhause.

Mobiles Arbeiten verspricht Freiheit und Flexibilität, doch es droht die Gefahr der sozialen Erosion. Wie lässt sich verhindern, dass das Sozialgefüge im Betrieb bröckelt oder die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben verwischen? Dr. Josephine Hofmann vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO erklärt in der neuen Folge des Podcasts Wir. Hear., wie sich der Zusammenhalt bewahren lässt. 
Hören Sie rein und abonnieren Sie Wir. Hear. zum Beispiel bei Spotify.

Tobias Göpel: Mobiles Arbeiten ist überaus beliebt, keine Frage. Doch es hat auch klare Nachteile. Die soziale Erosion. Und, es kann auch nicht jeder tun. Was das heißt und was Arbeitgeber und Beschäftigte dagegen tun können, hören Sie in dieser Folge. Willkommen bei Wir.Hear., dem Podcast zur Chemieindustrie im Wandel. Mobiles Arbeiten ist gekommen, um zu bleiben. Das geht aus einer Studie der Chemie Sozialpartner hervor. Und darum geht es auch heute um das mobile Arbeiten. Eine Arbeitsform, die Freiheit und Flexibilität verspricht. Da zu arbeiten, wo man auch lebt, spart Zeit und bietet Komfort. Doch es stellt uns auch auf die Probe, zum Beispiel bei der Teambildung oder der Work-Life-Balance. Durchgeführt wurde die Studie durch das Fraunhofer Institut IAO, und ich freue mich besonders auf Josefine Hofmann vom Fraunhofer Institut. Sie ist Expertin für mobiles Arbeiten. Vielen Dank für Ihre Teilnahme an diesem Podcast.
Josephine Hofmann: Sehr gern.
Tobias Göpel: Was war für Sie besonders spannend oder interessant an dieser Studie?
Josephine Hofmann: An dieser Studie war für uns zum einen interessant, dass sie durch die Sozialpartner sehr partnerschaftlich getragen und durchgeführt wurde. Es war auch methodisch interessant durch die Auswahl der Betriebe, soweit ein bisschen Sozialwissenschaft. Inhaltlich fragen Sie mich eher, ob sich die Entwicklung, die wir auch in anderen Studien sehen, erneut bestätigt hat. Nämlich, dass einerseits mobiles Arbeiten sich großer Beliebtheit, hoher Nachfrage und guter Produktivität erfreut. Auf der anderen Seite, wenn man Führungskräfte und Mitarbeitende befragt, lesen wir zunehmend und auch in dieser Studie Dinge heraus, die wir mit dem Stichwort "soziale Erosion" überschrieben haben. Damit meinen wir eine Vielzahl von Indikatoren, die das zusammenfassen, was unser tägliches Miteinander in einem Unternehmen bei einem Arbeitgeber ausmacht und uns zu einer Sozialgemeinschaft macht. Ein Unternehmen ist auch ein sozialer Ort, wo ich mich hoffentlich gebunden fühle, etc. Und da haben wir einige Anzeichen für nachlassende Hilfsbereitschaft, das Nicht-mehr-mitbekommen, wie es den Kollegen geht. Das haben wir tatsächlich auch in dieser Studie wieder herausarbeiten können. Und das sind natürlich Dinge, die man im Blick haben muss, um die langfristige Entwicklung trotzdem gut zu gestalten.
Tobias Göpel: Also die Studie kann man auf der Website vom Fraunhofer nachlesen. Deswegen will ich mit Ihnen noch gar nicht alles durchgehen, sondern nur drei Punkte. Und die soziale Erosion ist für mich in der Tat auch so ein auffälliger Punkt. Wer zu Hause arbeitet, hat weniger Kontakt zu den Kollegen. Im Zweifelsfall kommt irgendwann die Frage, die man sich selber stellt, warum der Betrieb nicht der andere ist. Die Tätigkeit ist ja die gleiche, wenn wir jetzt Buchhaltung oder Ähnliches nehmen. Was bedeutet das aus Ihrer Sicht für das Team und wie sollten Führungskräfte darauf reagieren?
Josephine Hofmann: Man muss zum einen sagen, dass das nicht passieren muss. Man kann natürlich auch über Distanz gute Nähe behalten und engen Kontakt pflegen. Der Punkt ist, es findet einfach zum großen Teil nicht statt. Und was muss man tun? Man muss genau dem begegnen, an Arbeiten. Also man muss sich gut überlegen, wo und wie häufig sprechen wir uns vielleicht auch mal ohne Anlass? Wie gestalten wir vielleicht auch hybride Meeting-Formate, damit wir wirklich miteinander im Gespräch bleiben? Wie kann ich als Führungskraft dafür sorgen, dass meine Ansprechbarkeit trotz allem gleich gut bleibt? Dass ich auch wirklich weiß, die Leute können mich jederzeit zum Beispiel kontaktieren. Ich kann mich aber auch mal bei ihnen melden, auch mal ohne Grund, ohne dass sie einen Schreck kriegen, sondern einfach, um sozusagen in diesem täglichen Gespräch zu bleiben, was sonst verloren geht. Über die Distanz ist dieses Mal eben über den Schreibtisch reden, ist man eben an der Kaffeeküche sagen: "Mensch, habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Wie läuft eigentlich XY über Z?" Das sind genau die Gespräche, für die sie heutzutage keine Teams-Konferenz oder keinen Video-Call aufsetzen, sondern Tablets. Das machen sie halt nicht. Und in der Summe all dieser kleinen Gelegenheiten geht doch eine Menge an Anbindung, an vielleicht auch Austausch von Wissen, ganz sicherlich und ein Stückweit natürlich auch an zufälliger Begegnung und der Möglichkeit, gemeinsam neue Ideen zu entwickeln.
Tobias Göpel: Aus einem Mitgliedsunternehmen habe ich dann im Gespräch das Beispiel gehört, dass sie sich ganz bewusst treffen über Teams, also digital, um sich nur über Privates auszutauschen. Mal so 20 Minuten. Einerseits kann es gut sein, andererseits aber so gestellt. Ich weiß, an diesem Punkt muss ich plötzlich privat sein. Ist das denkbar? Oder hätten Sie da noch andere Ideen, wie man so etwas umsetzen könnte?
Josephine Hofmann: Sie sprechen schon wichtige Punkte an, die wir vor allem in der heißen Phase gesehen haben. Also da hat man von virtuellen Weihnachtsfeiern bis zu virtuellen Geburtstagsfeiern alles erleben dürfen, aus der Not heraus. Es ist auf jeden Fall eine gute Idee, glaube ich, für diesen privaten Austausch Zeit zu reservieren und nicht so im durchgetakteten Kalender durch den Tag zu hopsen und zu sagen, mit drei Minuten überzogen, eigentlich sind Sie schon wieder im nächsten Meeting und muss unbedingt raus, weil wir wissen, die wirklich interessanten Gespräche oft oder das Private. Das kommt so, wenn man seine Sachen zusammenpackt und zusammen sozusagen zum Aufzug läuft. Man kann, glaube ich, schon versuchen, das ein Stück weit zu institutionalisieren. Die virtuelle Kaffeeküche, da gibt es ja tausend Dinge. Ich glaube, man sollte sich von der Idee verabschieden, dass man da einmal etwas einführt und es immer funktionieren wird. Ich glaube, man muss da vor allem viel Kreativität aufbringen und auch viel ausprobieren. Und man muss es sich auch trotzdem damit abfinden, dass es bestimmten Leuten leichter fällt und andere Leute damit auch fremdeln. Also ich glaube auch die unterschiedlichen Grade in der Kommunikationsaffinität kommen natürlich noch mal etwas stärker zum Ausdruck. Aber was ich sagen will? Also dranbleiben und Kommunikation eben nicht als Zeitverschwendung betrachten, sondern als ganz wichtige Zutat für ein gutes Miteinander.
Tobias Göpel: Also dieser Gewöhnungseffekt, oder? Es ist nicht für jeden was, könnte ich mir vorstellen, dass die Jüngeren eher dazu tendieren zu sagen: "Hey, das ist okay, damit bin ich ja mehr oder weniger großgeworden," und die Älteren fremdeln eher damit. Ist das etwas, wo es passt oder nicht? Dass es gemischt.
Josephine Hofmann: Also bei diesem Thema gibt es eine Menge an Vorurteilen. Natürlich ist es so, dass Jüngere anders sozialisiert sind, vielleicht ein bisschen freier und schneller diese Vielzahl an Kanälen auch wirklich bespielen. Aber ich glaube, es ist vor allem auch eine Persönlichkeitsfrage. Ein Stück weit ist es aber auch eine Frage vom privaten Setting daheim, was ich da mache und was nicht. Wird es weniger an Altersgruppe festmachen, sondern wirklich eher an Persönlichkeitsmerkmalen, an persönlicher Lebenssituation? Und das wissen wir auch. Also ich sag jetzt mal die Mutter, die nebenher zwei Kinder betreut und einen sehr vollen Tag hat, die sitzt ganz anders auf Kohlen. Wie der Mittfünfziger, der daheim allein in seinem schönen Arbeitszimmer in Ruhe vor sich hin arbeiten kann. Was ich glaube, da ist ganz viel auch die private Lebenssituation entscheidend. Und wichtig ist auch, darüber im Gespräch zu bleiben und trotzdem immer wieder Gelegenheiten zu finden, sich zu sprechen und natürlich auch einen guten Mix aus persönlicher Begegnung und dann eben Arbeit über Distanz auch tatsächlich zu finden.
Tobias Göpel: Stichwort Teambuilding. Das ist jetzt eine Möglichkeit, das Team zusammenzubringen durch gemeinsame Aktionen. Viele Arbeitgeber befürchten, dass es wieder Zusatzkosten ergibt, weil man dann vielleicht einen Tag frei machen muss oder man am Wochenende unterwegs ist, dann etwas bezahlt, wo die Leute unterwegs sind. Kollegen machen von sich aus intrinsisch motiviert bowlen gehen oder sich mal so treffen abends zum Kochen. Können Sie dazu etwas sagen, was es da so für Tendenzen gibt, welche Bandbreite besteht und was gegebenenfalls auf Unternehmen zukommt?
Josephine Hofmann: Ja klar, es gibt Unternehmen, die so etwas auch großzügig sponsern. Da kann es natürlich auch eine Frage des Geldes sein. Und meiner Meinung nach ist Privatsache Privatsache. Wenn Kollegen dort etwas machen, dann ist es schön. Ich finde, man kann es nicht erzwingen. Was man, glaube ich, viel eher machen sollte, auch das ist, glaube ich, Ergebnis dieser Studie, ist sicherzustellen, dass man sich genau überlegt, was machen wir und wo? Und dass man dann zum Beispiel nicht nur im Team festlegt, dass alle zweimal die Woche reinkommen. Da kann es ja sein, dass man sich trotzdem sieht, weil der eine donnerstags freitags kommt und der andere dienstags mittwochs, sondern dass man sagt, wir treffen uns auf jeden Fall alle am mittwochs, dienstags. Und dass man dann aber auch überlegt, was machen wir an dem Tag? Also dann eben nicht auf die Idee verfallen zu sagen, wir kommen am Mittwoch, aber wir verschwinden alle in unseren Büros und machen auch ein Meeting nach dem anderen mit Menschen, die woanders sitzen. Sondern genau gucken, wie wollen wir diese gemeinsame Zeit so nutzen, dass wir auch dort einen Mehrwert erleben? Und da kann man dann, da muss man nicht abends bowlen gehen. Aber natürlich kann man da zum Beispiel einen verlängerten Jour fixe machen, sich mal ausführlicher über Projekte oder über spannende Sachen erzählen und dann natürlich einpreisen, dass man sagt, wir gehen auf jeden Fall alle miteinander Mittagessen in die Kantine oder wir bestellen reihum den Pizzaservice oder wir bringen reihum Kuchen mit. Oder wir machen einmal im Monat ein gemeinsames Frühstück und jeder bringt ein paar Sätze mit und einen Kaffee. Das sind alles Dinge, die haben nicht so einen wahnsinnigen Aufwand. Ich glaube, der ist auch gut. Aber man muss sich da schon auch drum kümmern. Also zu glauben, dass es von selber kommt, weil man irgendwo ein kommunikatives Naturtalent hat, darauf würde ich mich nicht verlassen.
Tobias Göpel: Die soziale Erosion betrifft ja nicht nur die Teams an sich, die zusammenarbeiten, sondern mit Blick auf die gesamte Belegschaft. In dem Betrieb gibt es auch die Situation, dass manche Mitarbeiter keine Option für mobiles Arbeiten haben, also die klassischen Produktion. Ist das aus Ihrer Sicht akzeptiert, dass es die einen mehr können als die anderen? Oder gibt es da eher ein Gefühl der Ungerechtigkeit nach dem Motto "Ich muss in den Betrieb und die anderen können zu Hause bleiben"?
Josephine Hofmann: Das ist auf jeden Fall ein Diskussionsthema, und es ist natürlich, glaube ich, schon sehr stark nochmal aufgetreten, besonders in dieser extremen Corona-Situation, wo ja auch noch ein paar andere Sachen dran hängen. Es ging nicht nur darum, dass die einen daheimbleiben dürfen und die anderen nicht, sondern auch darum, dass die einen in Europa einsteigen müssen und sich dort vielleicht infizieren. Das Ganze war auch durch andere Nebeneffekte überformt, die man in normalen, nicht pandemischen Zeiten nicht hat. Es ist jedoch so, dass Unternehmen mit gemischten Teams zunehmend überlegen müssen, was sie den Mitarbeitern bieten können. Natürlich können wir nicht die Klimaanlage ins Wohnzimmer stellen – das wird auch bis auf Weiteres nicht machbar sein. Aber vielleicht können wir darüber nachdenken, Produktionsnahe Tätigkeiten anders zu organisieren und zumindest ein wenig Flexibilität anzubieten. Es wird derzeit viel unternommen, um alternative Arbeitszeitformen und mehr persönliche Flexibilität anzubieten. Dies ist einer der Gründe, warum die Diskussion über die Vier-Tage-Woche derzeit so viel Aufmerksamkeit erfährt. Sie wird plötzlich auch für Pflegekräfte oder Klimaingenieure attraktiv, weil sie eine andere Flexibilität verspricht. Es ist natürlich eine immanent vorhandene Tatsache, und man muss schon sagen, dass man nicht erwartet, dass sich in zwei Jahren etwas ändert, wenn man seinen Dienst antritt. Aber das entbindet den Arbeitgeber nicht von der Notwendigkeit, gut zu überlegen, was er den verschiedenen Beschäftigtengruppen spezifisch anbieten kann, um Wertschätzung und Flexibilitätspotenziale zumindest in gewissem Maße anzubieten.
Tobias Göpel: Die Vier-Tage-Woche ist ein interessantes Stichwort. Der Eindruck, den ich habe, ist, dass alle sie am liebsten haben möchten, um mehr Zeit für sich zu haben. Das ist an sich okay, aber in Kombination mit Fachkräftemangel und der Notwendigkeit, Chemieanlagen vollständig auszulasten, entsteht die Herausforderung, dass die Schichten nicht voll besetzt werden können und die Anlagen noch immer vollständig ausgelastet sind. Inwiefern ist das betriebswirtschaftlich noch vertretbar? Haben Sie Lösungsansätze oder Ideen, wie man damit umgehen kann, insbesondere im Verhältnis zum Fachkräftemangel und der Notwendigkeit, die Anlagen vollständig auszulasten?
Josephine Hofmann: Zum einen muss man sagen, es gibt wirklich wenige belastbare empirische Studien dazu; sie laufen gerade erst an. Wir müssen das begleiten und es hängt auch von Mängeln und der Möglichkeit ab, überhaupt mit Personal zu jonglieren. Trotzdem bitte ich, Planungen so zu gestalten, dass Anlagen ausgelastet werden können. Manche Leute sprechen von der Vier-Tage-Woche mit Reduktion der Arbeitsmenge bei gleichem Gehalt. Andere verstehen darunter die Verteilung der Arbeit von fünf auf vier Tage. Das ist ein großer Unterschied, der betriebswirtschaftlich relevant ist. Ein Teil der Debatte geht darum, dass dies ein ungelöster Schritt in die Zukunft ist, den wir noch nicht kennen. Es gibt Befürworter, die sagen, die Vier-Tage-Woche hat das Potenzial, Teilzeit in Vollzeit zurückzuholen, wenn die Arbeit in diesem anderen Modus erledigt werden kann. Das ist eine Idee, die Charme haben könnte, aber ob sie wirklich greift, weiß niemand. Es sind noch nicht genügend Erfahrungen damit gesammelt worden. Man muss sich auch darüber im Klaren sein, dass dies eine Vielzahl von anderen Dingen nach sich zieht. Wenn beispielsweise eine Mutter statt fünf Tagen vier Tage arbeitet, aber dafür länger am Tag, benötigt sie längere Betreuungszeiten im Kindergarten. Es entsteht auch Fachkräftemangel. Daher sage ich nicht, dass dies im Grunde genommen keine richtigen Überlegungen sind. Wir müssen den Mangel intelligent organisieren. Einfach reflexartig zu sagen, dass dies nicht funktioniert, ist meiner Meinung nach nicht die Lösung. Daher befürworten wir Experimente, um zu sehen, welche Effekte sie haben, und dann können wir qualifiziert weiterdiskutieren.
Tobias Göpel: Okay, die Wahrheit liegt wahrscheinlich wie immer irgendwo in der Mitte, weg von den Extremen. Ich komme nochmal zurück zu den Blue Collar Workers. Ich habe mal den Tipp gehört, dass man die Mitarbeiter mit Schnitzel und Pommes motivieren kann, indem die Kantine zu einem Ort der Begegnung wird. Das war aus meiner Sicht allerdings eher scherzhaft gemeint und zeugte von einer gewissen Ratlosigkeit. Welche Empfehlung hätten Sie, um die Belegschaft als soziale Gemeinschaft zu fördern?
Josephine Hofmann: Also ich sage mal, wenn Sie in unsere Kantine schauen an den Tagen, an denen es Linsen mit Spätzle oder Schnitzel mit Pommes gibt, dann schauen Sie selbst, dass mehr Leute kommen. Ich würde schon sagen, dass da etwas dran ist. Es ist natürlich differenziert und gutes Essen hat eine positive Wirkung. Die Leute sparen Zeit und Geld und werden dennoch vernünftig ernährt. Es ist auch ein Zeichen von Wertschätzung, sowohl vom Arbeitgeber als auch vom Arbeitnehmer, wenn sich Mühe gegeben wird, gesundes und gutes Essen anzubieten. Natürlich muss man überlegen, ob es auch ein attraktives Ambiente gibt. Ich gehe gerne in eine Umgebung, in der der Arbeitgeber Wert darauf legt, dass sich die Mitarbeiter wohlfühlen, mit einer modernen Ausstattung und guten Lichtverhältnissen. Das kostet zwar Geld, aber es gibt auch Dinge, die man ohne hohe Kosten umsetzen kann, wie zum Beispiel bestimmte Veranstaltungen mit einem exklusiven Charakter, um die Präsenz zu fördern. Es gibt also eine Vielzahl von Möglichkeiten. Es ist bereits in vielen Diskussionen präsent, dass die Menschen ihre Arbeit an ihr Leben anpassen wollen und nicht umgekehrt. Dies ist durch Corona verstärkt worden, und Arbeitgeber müssen sich langfristig damit auseinandersetzen, dass Mitarbeiter abwägen, wenn der nächste Arbeitgeber nur einen Klick entfernt ist. Es gibt auch andere Tendenzen, insbesondere bei jungen Menschen, die andere Erwartungen an Arbeitgeber haben. Das ist eine Vielzahl von Faktoren, die zusammenwirken, und es ist eine große Aufgabe, der sich viele Arbeitgeber stellen müssen. Es wäre meiner Meinung nach nicht ratsam, einfach zu sagen, dass alle wieder vier Tage die Woche ins Büro kommen sollen. Das erzeugt erfahrungsgemäß den größten Widerstand, da den Menschen etwas genommen wird, ohne vernünftig zu argumentieren. Man muss gemeinsam überlegen, wie man das Miteinander gut gestaltet und attraktiv macht. Es ist nicht nur die Aufgabe des Arbeitgebers, sondern alle müssen dazu beitragen, Führungskräfte und Mitarbeiter, und in das Sozialkapital investieren. Es ist jedoch nicht einfach, den Menschen zu vermitteln, dass kurzfristige Nutzenmaximierung nicht immer die beste Lösung ist. Das ist eine Herausforderung, der wir uns auch in Zukunft stellen müssen.
Tobias Göpel: Das glaube ich auch. Die Botschaft finde ich schön, dass es nicht in der Verantwortung des Arbeitgebers liegt, alles zu tun, dass es passt, und dass jeder seinen Beitrag dazu leisten muss, damit die soziale Gemeinschaft im Betrieb erhalten bleibt. Ich würde eher weggehen vom Betrieb hin zum wirklichen Homeoffice. Stichwort Verantwortung. Diesen Blick auf die Entgrenzung, das wurde ja in der Studie ebenfalls angesprochen. Welche Risiken der Entgrenzung sehen Sie beim mobilen Arbeiten?
Josephine Hofmann: Es gibt Studien, die zeigen, dass die Burnout-Quoten generell steigen, insbesondere für Menschen in problematischen individuellen, sozialen oder familiären Situationen, auch für Alleinlebende. Es gibt Anzeichen dafür, dass sich dies durch die Entgrenzung verschärft hat. Diese Entgrenzung ist wirklich etwas, was immer stärker zu sehen ist. Das ist die Kehrseite der Flexibilität. Wenn ich zum Beispiel vom Kinderspielplatz aus schnell noch etwas erledigen kann, mischen sich private und berufliche Aktivitäten stark. Dies kann als Vorteil oder Belastung betrachtet werden. Arbeitsmediziner sagen, dass Menschen Pausen brauchen, um sich zu erholen, und dies muss stark sensibilisiert werden. Es geht auch um klare Erwartungen bezüglich der Erreichbarkeit und die Frage, ob es normal ist, Kalender mit zehn Meetings am Tag zu haben. Es ist eher eine Frage der Arbeitsverdichtung und Organisation im Allgemeinen als eine Frage des Arbeitsorts. Die Effekte sind meiner Meinung nach die gleichen.
Tobias Göpel: Arbeitsverdichtung ist durchaus ein Punkt. Aber was ich auch sehr oft höre, ist zu Hause kann ich mich um das kranke Kind kümmern, nebenbei noch die Wäsche waschen, dann habe ich die Bauarbeiter im Haus. Und das kann ja auch zu einer Art Entgrenzung und zu Stresssituationen führen, weil ich dann halt – das haben Sie ja vorhin gesagt – die Telekom ebenso Spülkastenrand, dass sich hier letztendlich Privates und Berufliches so stark vermische, dass ich dann abends um 21:00 total fertig da liege und nichts mehr mache. Hätten Sie da Hinweise, wie man Berufliches und Privates besser trennen kann?
Josephine Hofmann: Klassisches Thema von Zeitmanagement. Wobei ich muss ganz ehrlich sagen, natürlich, ich gehe auch mal zwischendurch runter, wenn ich daheim arbeite, auch mal zwischendurch eine andere Wäsche ein. Aber man muss schon auch mal festhalten: Wir reden hier von bezahlter Arbeit. Man kann nicht gleichzeitig ein Kleinkind hüten und konzentriert arbeiten – das geht einfach nicht. Das kann man mal in einer Notsituation machen oder wenn das Kind 14 ist und sich selber beschäftigt. Aber wir haben hier bezahlte Beschäftigung zu tun, und es sind auch altmodische Bilder, muss ich Ihnen sagen. Wenn man früher über Telearbeit geredet hat, da habe ich immer einen Hals bekommen. Wenn die Journalisten schöne Bilder ausgesucht haben für ihren Artikel, was haben Sie da drauf gesehen? Eine hübsche junge Mutti, die vor dem PC sitzt und ein pausbäckiges Baby auf dem Schoß hat. Da habe ich immer gedacht: Nein, das ist nicht die Idee von Telearbeit. Das ist weder für den Arbeitgeber eine gute Idee, der findet das nicht toll, und das Kind übrigens auch nicht. Also Flexibilität im Sinne von schneller mal irgendwo hingehen können, Ausnahmesituationen managen und Zeiten einsparen – alles völlig in Ordnung. Aber Arbeit ist Arbeit und Freizeit ist Freizeit, und das sollte nicht komplett ineinanderfließen. Zumindestens mal ist es eine medizinische Erkenntnis, dass Menschen Pausen brauchen. Aber auch da muss man ehrlicherweise sagen: Menschen sind sehr verschieden. Und sie sehen auch, dass in unterschiedlichen Lebensphasen sehr unterschiedliche
Tobias Göpel: Ich nehme für mich mit: Arbeitgeber sind tendenziell mehr in der Verantwortung zu prüfen, ob die Häufigkeit der Meetings wirklich noch so gut ist, ob die Arbeitsverdichtung okay ist, und die Beschäftigten sind auch mehr in der Verantwortung zu schauen, ob sie Berufliches und Privates wirklich sauber trennen und sich nicht selbst überfordern, indem sie zu viel auf einmal machen möchten.
Josephine Hofmann: Man muss natürlich auch als Arbeitgeber über Erreichbarkeitsgrenzen reden. Nur weil ich jetzt ein Diensthandy habe, heißt es nicht, dass ich abends um 20:00 auf jeden Fall noch die E-Mail beantworte, nur weil die Chefin um 7:30 etwas Ungeschicktes geschrieben hat. Da gibt es auch klare Absprachen zu treffen, und ich sage jetzt mal, die erwarteten Erwartungen zu klären. Also auch das ist schon die Pflicht des Arbeitgebers. Aber auch da muss ich Ihnen sagen, das kommt halt auch irgendwie auf den Job an. Wenn ich jetzt die persönliche Referentin vom Bürgermeister bin, der gerade in der Wahlkampfphase ist, dann habe ich ganz sicher andere Arbeitszeiten als wenn ich im Einwohnermeldeamt sitze. Und ich weiß nicht, wie kann ich mit Stereotypen hier um mich werfen. Aber es kommt auch auf den Job und auf die Verantwortung und natürlich dann auch noch auf die Bezahlung an. Das muss man alles sehen, aber auch. Da muss ich wieder betonen, da gibt es keine Pflichten des Arbeitgebers. Aber es gibt auch die Pflicht, finde ich, des Arbeitnehmers in der persönlichen Lebensgestaltung dafür zu sorgen, dass das einigermaßen funktioniert. Und das ist auch ein bisschen der Beobachtung, darf ich jetzt sagen, als sehr lange im Beruf Seiende mittlerweile. Ich sehe schon so ein bisschen die Tendenz, dass es dazu kommt, dass eigentlich ganz viel dem Arbeitgeber so ein bisschen aufgebürdet wird, für was der so alles verantwortlich ist. Ich finde nicht, dass der Arbeitgeber für private Lebenssituationen primär verantwortlich ist. Auch nicht. Also es ist wichtig, und jeder will, dass seine Mitarbeiter glücklich sind. Aber das muss schon erst mal die Privatperson, finde ich, hinkriegen. Also irgendwie muss man da auch gute Grenzen setzen. Was sonst ist es? Es ist schwierig, aber ich weiß genau, so mancher, der jetzt hier zuhört. Und wird sagen: Was reden die da? Das ist natürlich. Und so weiter. Man muss, finde ich, überlegen, wer ist für was verantwortlich, in welcher Sphäre entsteht es hier? Und man muss schon arbeitende Menschen, die in der Regel erwachsen und volljährig sind, auch davon ausgehen dürfen, dass die auch eine Selbstverantwortung tragen und dass die auch gerecht werden. Das, finde ich, muss man auch als Arbeitgeber erwarten dürfen.
Tobias Göpel: Meine Abschlussfrage geht auch mehr in die Richtung lebenslanges Lernen. Welche Kompetenzen werden für mobiles Arbeiten wichtiger, und wie kann aus Ihrer Sicht eine geeignete Weiterbildung aussehen?
Josephine Hofmann: Also, wenn man generell sagt, dass in diesen idealisierten Arbeitswelten, wo viel über Distanz und mit diesen Medien gearbeitet wird, ist sicherlich ein erweitertes Maß an Medien- und Kommunikationskompetenz erforderlich. Und es ist eben nicht nur: Ich kriege Teams an, sondern ich weiß auch, dass die Moderation eines Team-Meetings einer anderen Logik und vielleicht einer anderen Dynamik gehorcht als ein normales Meeting. Also nicht nur bedienen, sondern auch wirklich damit umgehen und befriedigende soziale Situationen schaffen. Ich glaube, man muss sich schon natürlich auch überlegen, was ist mein eigenes Medienverhalten ist gerade auch für Führungskräfte zum Beispiel extrem wichtig. Noch mal das Thema Ansprechbarkeit: Wie mache ich das eigentlich selber? Oder mache ich darauf, dass alle halt immer nur zu mir kommen? Und so weiter. Medienkonsum nicht. Aktionsfähigkeit, glaube ich, ist extrem wichtig, aber eben auch die Fähigkeit, das wirklich ist. Eine ganz große, der übergeordneten Kompetenz, sich gemeinsam über die Form von Arbeits- und Kommunikationsbeziehungen Gedanken zu machen. Also dieses Thema Verantwortlichkeit und so das gemeinsame Arbeiten an der Arbeit, da eine Bereitschaft und auch mehr Zeit mitzubringen und sich darauf auch einzulassen, das ist, glaube ich, auch etwas, was wichtig ist. Das ist keine klassische Kompetenz, aber es ist etwas, was wir sehen, was in Zukunft auf jeden Fall noch erforderlich sein wird. Und natürlich Selbstmanagementkompetenzen und all das, was wir eigentlich schon angesprochen haben.
Tobias Göpel: Mobiles Arbeiten ist gekommen, um zu bleiben. Liebe Frau Hofmann, vielen Dank für Ihre Zeit und Ihre Einblicke zu diesem Thema. Liebe Zuhörende, das war unsere Folge zum mobilen Arbeiten mit Josefine Hofmann vom Fraunhofer Institut für Arbeits, Wirtschaft und Organisation. Sie ist auch die Autorin der Studie "Mobile Arbeit der Sozialpartner". Den Link zur Studie finden Sie auch in den Shownotes zu dieser Episode.



Newsletter