Das Blattgold strahlt noch immer auf dem brüchigen Pergament. Das Rot flammt wieder und wieder auf den verwitterten Seiten auf, während das zarte Grün verbleicht und das Blau in der Tiefe der Jahrhunderte verschwimmt. Sie ist noch erhalten, diese kostbar illustrierte Handschrift aus dem 13. Jahrhundert, über die Erika Weigele fast alles weiß.
Seit die Kunsthistorikerin vor rund 30 Jahren ihre Dissertation über dieses Kleinod, einen der meistgelesenen Liebesromane des Mittelalters, verfasste, ließ die Welt der Buchmalerei sie nicht mehr los. Erika Weigele, die selbst als Buchherstellerin tätig war, arbeitet heute als Assistentin der Geschäftsführung bei dem Pigmenthersteller Aralon Color in Heiligenroth.
Jetzt legt sie ihr eigenes Werk vor: Den Mittelalterroman „Der Buchmaler von Zürich“. Inmitten politischer Umbrüche, kirchlicher Machtkämpfe und eigener innerer Zerrissenheit gerät ihr Protagonist, der junge Schreiber und Illustrator Bertram, in eine gefährliche Intrige. Was wir in dem Roman über Bertrams Kunst erfahren, ist keine Fiktion, sondern solides Fachwissen. Zu einer spannenden Story gehört indes weit mehr, zum Beispiel Erschütterungen und Leidenschaften, die uns auch heute bewegen, meint Erika Weigele im Interview.
Am 25. September stellt Erika Weigele ihren Roman „Der Buchmaler von Zürich“ um 18 Uhr in der Buchhandlung Erlesenes, Montabaur, vor.
Wie war der Weg von Ihrer Doktorarbeit zum Mittelalterroman?
Ich habe damals die illustrierte Handschrift aus dem 13. Jahrhundert untersucht, die Quellenlage beschrieben, den wahrscheinlichen Entstehungsort – Zürich – benannt, aber nicht herausgefunden, wer diesen kostbaren Liebesroman eigentlich geschrieben hat. Jetzt, in meinem Roman, gibt es einen fiktiven Urheber: Es ist der Buchmaler Bertram. Natürlich malt und schreibt er nicht nur, sondern besteht jede Menge Abenteuer. Dazu bietet die spannende Epoche reichlich Stoff.
Was macht das Mittelalter für das heutige Publikum interessant?
Jetzt, 2023, jährt sich die Krönung Rudolfs I. von Habsburg zum 750. Mal. Mit diesem Ereignis beginnt mein Roman. Es muss damals eingeschlagen haben wie eine Bombe, nach 20 Jahren de facto ohne einen Regenten. Es bedeutete, ähnlich wie der Fall der Mauer, einen großen Umbruch für die Menschen. Sie sehen sich mit den großen Fragen um Existenz und Werte konfrontiert. Und die großen Gefühle wie Liebe, Hass und dass man das Beste für sich und seine Familie wünscht, einen uns mit den Menschen früherer Zeiten.
„Typisch Mittelalter? Manches, wie die einstigen Kriege, Seuchen, Naturgewalten und Missstände in der Kirche, ist uns heute keineswegs fremd.“
Welche Unterschiede faszinieren Sie?
Der Umgang mit der Zeit und die Kommunikation. Wie lange die Dinge im Mittelalter gedauert haben! Im Mittelalter war es nicht möglich, Bedürfnisse sofort zu erfüllen. Und wer sich, wie Bertram, auf eine Reise begab, der war für die Zurückbleibenden komplett weg. Das bedeutet, dass Geschwindigkeit nicht immer ein Muss ist. Etwas funktioniert auch, wenn man darauf wartet. Und es nicht kontrolliert, sondern auf ein gutes Ende vertraut.
Wie kamen Sie auf den Schauplatz Zürich?
Das stand fest. Man weiß, dass damals in Zürich viele kostbare weltliche Bücher entstanden sind. Persönlichkeiten wie der Ritter Rüdiger Manesse und die Fürstäbtissin Elisabeth von Wetzikon prägten das kulturelle Leben der Stadt, auch die Buchkunst. Zu meinen Recherchen gehörte ein Aufenthalt in Zürich, wo ich die Wege meiner Protagonisten gegangen bin. Solche historischen Erkundigungen sind dort sehr gut möglich, im Stadtmauerkeller bis hin zu alten Fäkaliengräben.
Sie arbeiten in einem Unternehmen, das Farbpigmente herstellt. Gab es Synergien zum Thema ihres Buchs?
Es war praktisch, mit den Chemikern zu klären, wie die Materialien des Mittelalters reagieren, zum Beispiel auf Feuer. So wurde bei uns im Labor Pergament abgefackelt, was übrigens stinkt wie Sau und dann verklumpt. Ein Problem für die damaligen Schreiber und auch für heutige Archiv-Profis ist der Tintenfraß. Eisengallustinte zerstört das Papier, wenn Feuchtigkeit ins Spiel kommt. Zu den traditionell verwendeten Farben wie Kohle, Grünspan und Pflanzenextrakten kamen später durch die Kreuzzüge noch teure Farben wie echter Indigo und Lapislazuli hinzu. In meinem Buch tauchen Farben allerdings nicht nur als Material auf, sondern auch im übertragenen Sinne, um Stimmungen und Charaktere wie den düsteren Pater Otto zu kennzeichnen.
Wie haben Sie das Schreiben und ihren Berufsalltag miteinander vereinbart?
Das war nicht so einfach! Man muss sich disziplinieren und eine Schreibroutine aufbauen. Das ging bei mir am besten nach der Arbeit. Beim Kochen kann ich mich entspannen und komme auf gute Gedanken. Wenn ich mal tagelang nichts geschrieben hatte, musste ich mir eine Auszeit nehmen, zum Beispiel ein Schreibseminar am Wochenende, um wieder reinzukommen. Insgesamt habe ich ca. drei Jahre lang an dem Buch geschrieben, auch wenn die Idee schon länger da war.
Sie arbeiten als Kunsthistorikerin und Mittelalterexpertin in einem Chemieunternehmen ...
Kunsthistorikerin sein heißt ja nicht, sich ein Leben lang nur mit Kunstwerken zu beschäftigen. Man lernt schon während des Studiums, sich schnell in komplizierte Sachverhalte einzuarbeiten, Dinge von verschiedenen Standpunkten aus zu bewerten, sich mit fremden Kulturen auseinanderzusetzen sowie auch Fremdsprachen. Das sind Fähigkeiten, die in jedem Unternehmen gebraucht werden, gerade wenn es international agiert.
„Der Buchmaler von Zürich“, Gmeiner Verlag, 544 Seiten, Buch 18 Euro, E-Book 13,99 Euro, ISBN 978-3-8392-0465-8.