Politik & Wirtschaft

Wie realistisch sind die Ausbauziele für erneuerbare Energien?

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Ein Windpark in Deutschland
Im Ausbau: Erneuerbare Energien aus regenerativen Quellen wie Windkraft sollen bis 2030 einen Anteil von 65 Prozent am Strom ausmachen. Foto: M.studio, showcake - stock.adobe.com

Bis 2030 soll der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromversorgung in Deutschland 65 Prozent betragen, bis 2050 dann sogar 80 Prozent. Das sieht das Erneuerbare-Energien-Gesetz vor. Dafür sind hohe Investitionen und Neubauten etwa bei Solar- und Windstrom notwendig. Zugleich wird der Strombedarf etwa der Chemieindustrie durch die Abkehr von fossilen Brennstoffen enorm steigen. Wie realistisch sind vor diesem Hintergrund die Ausbauziele bei den Erneuerbaren? Einschätzungen aus Industrie und Politik.

Dr. Jörg Rothermel, Leiter Klima, Energie und Rohstoffe beim Verband der Chemischen Industrie. Foto: VCI
Dr. Jörg Rothermel, Leiter Klima, Energie und Rohstoffe beim Verband der Chemischen Industrie. Foto: VCI

 

„65 Prozent Ökostrom sind schon beim heutigen Stromverbrauch ambitioniert. Beim Ausbautempo liegen wir weit hinter den Plänen. Und der Verbrauch wird steigen“

 

Bis 2030 soll Ökostrom in Deutschland einen Anteil von 65 Prozent haben. Die Frage ist aber: 65 Prozent von was? Bisher ging die Bundesregierung von einem Stromverbrauch im Jahr 2030 aus, der leicht unter dem heutigen liegt. Der Zusatzbedarf durch Elektrifizierung, die mit E-Mobilität, Wärmepumpen und in Industrieprozessen überall stattfindet, kam gar nicht vor.

Die aktuelle Zielsetzung rechnet mit steigendem Stromverbrauch. Verschiedene Studien erwarten 100 bis 200 Terawattstunden mehr Bedarf, das Bundeswirtschaftsministerium sieht einen Anstieg von 540 auf knapp 600 Terawattstunden. Das heißt, auch das Ausbauziel für die Erneuerbaren ist höher.

Dabei sind 65 Prozent schon beim bisherigen Stromverbrauch sehr ambitioniert. Momentan liegen wir weit hinter den Ausbauplänen zurück. Wir brauchen also vielmehr eine Zielsetzung für die Ausbaugeschwindigkeit. Dafür müssen wir Naturschutz und Klimaschutz in Einklang bringen, denn eines der Hauptprobleme sind Initiativen, die den Bau sowohl der Anlagen als auch der Infrastruktur zum Transport des grünen Stroms stark verzögern oder ganz verhindern.

Wie sich der Verbrauch entwickelt, hängt auch vom Strompreis ab. Wenn der weiter auf dem hohen Niveau von heute bleibt, gelingt die Elektrifizierung nicht so schnell, wie es für das Klimaschutzziel 2030 nötig wäre. Genau deshalb brauchen wir aber mehr Strom, und zwar aus erneuerbaren Quellen.

Die Politik ist jetzt gefordert: indem sie Planungs- und Genehmigungszeiträume deutlich verkürzt und ausreichend Flächen für Windkraft oder Photovoltaik ausweist. Und indem sie die Auf- und Umlagen bei den Strompreisen reduziert. Sonst können wir uns Investitionen in den Klimaschutz nicht leisten. Denn auch wenn wir den zusätzlichen Strombedarf durch Effizienzmaßnahmen so klein wie möglich halten: Steigen wird er auf jeden Fall.

 

Christian Synwoldt, Leiter nachhaltige Energieversorgung bei der Energieagentur Rheinland-Pfalz. Foto: privat
Christian Synwoldt, Leiter nachhaltige Energieversorgung bei der Energieagentur Rheinland-Pfalz. Foto: privat

 

„Technisch können wir die Ausbauziele problemlos umsetzen. Bei den heutigen Rahmenbedingungen fehlen dafür allerdings die Anreize.“

 

Mit den Trippelschritten, die wir beim Ausbau der Erneuerbaren vorangehen, können wir das Ziel nicht erreichen. Das hat vor allem mit ausufernden Planungs- und Genehmigungsverfahren zu tun, die große Rechtsunsicherheit für die Betreiber bedeuten. Bei einem Windpark liegen wir beispielsweise bei durchschnittlich fünf Jahren.

Auch das Strommarktdesign muss überarbeitet werden: Die Preisbildung berücksichtigt bislang nicht die Vollkosten einer Anlage, sondern nur die Kosten für die Produktion jeder zusätzlichen Stromeinheit. Die liegen für Erneuerbare bei null. 100 Prozent regenerative Stromerzeugung bedeuteten also einen Strompreis von null – und damit null Anreize für den Ausbau. Dass dieser jedenfalls technisch funktioniert, konnten wir am jährlichen Zubau von Windenergieanlagen in der Vergangenheit beobachten. Genauso könnten wir bis 2030 auch 100 Prozent des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien decken.

Der Stromverbrauch wird bis dahin zwar deutlich steigen: Strom macht heute etwa ein Fünftel des gesamten Energiebedarfs aus. Wenn wir Dekarbonisierung anstreben, ist es aber zwingend, dass wir Alternativen zu den heutigen Hauptenergiequellen Erdöl und Erdgas suchen. Das ist vor allem Strom. Der Energieverbrauch wird durch die Elektrifizierung jedoch zugleich wesentlich effizienter. So braucht ein elektrischer Antrieb im Auto viel weniger Energie als der Verbrenner.

Damit bleibt auch der Mehrbedarf an Strom im Rahmen: Unser Endenergiebedarf liegt heute bei 2.500 Terawattstunden, davon entfallen rund 550 auf Strom, den Rest decken vor allem Erdöl und Erdgas. Wegen der großen Effizienzgewinne müssen wir nicht die knapp 2.000 Terawattstunden dieser Quellen durch Strom ersetzen, sondern brauchen vielleicht nur 1.200 bis 1.300 zusätzliche Terawattstunden. Jedenfalls, wenn wir nicht einfach überall Erdöl und Erdgas durch grünen Wasserstoff ersetzen und wenn wir weiter an effizienteren Prozessen arbeiten. Sonst geht der Stromverbrauch durch die Decke.

Hören Sie in unserem Podcast Wir. Hear., wie das Chemieunternehmen BASF mit der Berechnung der Product Carbon Footprints für seine Produkte das Klima schützen will.

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