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Was wirtschaftlich auf die Chemie zukommt

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Was wirtschaftlich auf die Chemie zukommt
BASF-Werk in Ludwigshafen: Vor allem die Energiekrise lastet auf den Unternehmen der chemischen Industrie. Foto: BASF

Die Hoffnungen auf ein Ende der wirtschaftlichen Probleme im dritten Corona-Jahr haben sich zerschlagen. Die Folgen von Russlands Invasion in die Ukraine sind gerade in Deutschland massiv. Zunächst gab es die Hoffnung, dass die Industrie mit einem blauen Auge davonkommt. Inzwischen aber droht die Gefahr einer gesamtwirtschaftlichen Rezession. Hart getroffen ist besonders die Chemie: Sie steht am Anfang nahezu jeder industriellen Wertschöpfungskette – und ist damit Vorbote für die wirtschaftliche Entwicklung im ganzen Land.

Geschäftserwartungen abgestürzt

Die Geschäftserwartungen bei Chemie und Pharma sind im Keller. Die Branche ist so pessimistisch wie seit Jahrzehnten nicht. Die im Mai 2022 zaghaft wieder aufkeimenden Konjunkturhoffnungen haben sich also nicht erfüllt. Im Gegenteil: Die Energiekrise trifft die Branche immer härter. Der Tiefpunkt der Entwicklung scheint noch nicht erreicht. Da hilft es nichts, dass es in Sachen Materialknappheit momentan etwas Entspannung gibt. Auch verglichen mit der gesamten Industrie in Deutschland schneidet die Chemie schlechter ab. Das unterstreicht, wie stark sie von der Energiekrise zurückgeworfen wird. Da unsere Branche als Frühindikator für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung gilt, verheißt das zudem für die Wirtschaft insgesamt nichts Gutes.

Energiepreise explodiert

Der sprunghafte Anstieg der Energiepreise belastet unsere Branche ganz massiv: Rund 70 Prozent der Unternehmen sind schwer oder sogar sehr schwer betroffen. Das ergab die jüngste Mitgliederumfrage des VCI. Allein der europäische Gaspreis explodierte um nahezu 1.000 Prozent gegenüber Anfang 2019.

Mittel- und langfristig ist keine Entspannung in Sicht. Vielmehr sind sogar noch höhere, plötzliche Preisausschläge möglich. Hinzu kommt die Unsicherheit, ob im Winter das Gas rationiert werden könnte: Die Vorbereitungen für den Fall einer Mangellage laufen jedenfalls auf Hochtouren.

Die gesamte deutsche Wirtschaft muss sich warm anziehen, um die Wintermonate zu überstehen – auch weil die Energiepreise hierzulande deutlich höher sind als in den allermeisten Wettbewerbsländern. In den USA etwa kostete Gas zuletzt nur rund ein Zehntel des europäischen Preises.

Produktion eingebrochen

Von wegen Erholung: Nach dem Corona-Knick im Jahr 2020 kam die Produktion zunächst wieder in Schwung. Doch seit der Invasion in die Ukraine geht es umso schneller erneut abwärts: Allein im Juli betrug das Minus fast 9 Prozent zum Vorjahresmonat. Alle Sparten sind eingebrochen, Chemie noch stärker als Pharma. Wann wieder das Niveau der Vor-Corona-Zeit erreicht wird, ist unklar.

Margen sinken

Astronomische Energiepreise, stark gestiegene Rohstoffkosten, anhaltende Lieferengpässe: Bei Chemie und Pharma geraten die Margen zunehmend unter Druck. Vor allem die aus dem Ruder gelaufenen Strom- und Gaskosten an ihre Kunden weiterzureichen, wird für die Unternehmen zusehends schwerer. Rund 70 Prozent von ihnen verzeichnen bereits einen Gewinnrückgang, einige sogar Verluste.

Und vieles spricht dafür, dass sich die Situation für unseren Industriezweig weiter verschärft: Wie dramatisch hoch die Mehrkosten sein werden, werden viele Betriebe erst noch zu spüren bekommen – wenn sie neue Lieferverträge für Strom und Gas aushandeln müssen.

Kostenweitergabe gelingt schlecht

Die Energie- und Rohstoffkosten explodieren – doch die Gefahr, dass die Betriebe darauf sitzen bleiben, ist hoch: Jedes zweite Unternehmen bei Chemie und Pharma kann bestenfalls die Hälfte der eigenen Mehrkosten überwälzen. Der „Doppel-Wumms“ der Bundesregierung ist da zwar eine wichtige Kostenentlastung – er behebt die Probleme der Unternehmen aber nicht.

Dramatische Folge: 40 Prozent der Betriebe sehen sich vor existenziellen Schwierigkeiten, wenn insbesondere Gas und Strom noch teurer werden. Bleiben die Energiepreise so hoch wie derzeit, steht immer noch jeder fünfte Betrieb vor dem Aus. Allein in diesen Unternehmen arbeiten mehr als 10 Prozent der Beschäftigten unseres Industriezweigs. Diese Arbeitsplätze sind akut gefährdet. Vor allem mittelständische Unternehmen wären hiervon betroffen. Das ergab eine Firmenbefragung des Bundesarbeitgeberverbands Chemie vom September.

Investitionen sinken

Die anhaltende Multi-Krise geht der Chemieindustrie inzwischen mächtig an die Substanz. Selbst zukunftswichtige Investitionen werden zurückgefahren. Zuletzt sah sich bereits über ein Drittel der Unternehmen bei Chemie und Pharma gezwungen, Investitionen zusammenzustreichen.

Sogar wichtige Daueraufgaben wie die Digitalisierung sowie Forschung und Entwicklung können die Betriebe nur mit gebremster Kraft angehen. Auch was Produktionsanlagen, Fahrzeugparks und Gebäude betrifft, setzen viele Firmen den Rotstift an. Wirtschaftlich immer attraktiver werden dagegen Investitionen im Ausland. Das alles sind schlechte Neuigkeiten für den Standort Deutschland. Schließlich sind Investitionen grundlegend für die Wettbewerbskraft und den langfristigen Erfolg von Unternehmen – und damit letztlich auch für den Wohlstand des ganzen Landes.

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