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„Neue Normalität“: Was wird aus dem Chemiestandort Deutschland?

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Ammoniakanlage bei der BASF
Ammoniakanlage bei der BASF: Eine der beiden Großanlagen legt der Chemiekonzern bis 2026 still. Foto: BASF SE

Es ist ein schwerer Schlag für den Standort Ludwigshafen: Der Chemiekonzern BASF schließt wichtige Anlagen. Bis 2026 werden eine der beiden Anlagen zur Ammoniak-Produktion und zehn weitere Anlagenkomplexe stillgelegt. Mehrere Hundert Stellen am Standort fallen weg. Weitere Einschnitte sollen folgen.

Auch andere Chemiekonzerne drosseln oder schalten Betriebe dauerhaft ab. Um satte 20 Prozent brach die Chemieproduktion 2022 ein und verharrt seitdem im Keller. „Es gibt zwar inzwischen erste Lichtblicke, etwa beim Außenhandel“, sagt Chemieexpertin Anna Wolf vom Ifo-Institut in München. „Aber die chemische Industrie befindet sich in einer neuen Zeitrechnung.“ 

„Neue Normalität“ nennt es Industrieexperte Eric Heymann von der Denkfabrik Deutsche Bank Research. „Produktionsstätten, die jüngst weggefallen sind, werden voraussichtlich nicht oder nicht mehr im bisherigen Umfang an den Markt zurückkehren.“ Eher noch sei mit weiteren Shutdowns zu rechnen.

Ursache ist ein „perfekter Sturm“, analysiert Martin Bastian, Geschäftsführer und Chemieexperte bei der Investmentbank Houlihan Lokey in Frankfurt. „Wir haben eine Konjunktur- und Nachfrageschwäche, die Kriege in der Ukraine und im Gaza-Streifen, die Inflation und eine schwächelnde chinesische Wirtschaft. Das war so in der Form mit so vielen negativen Einflüssen noch nicht da.“

USA: Deutlich günstigere Energie

Dann ist da der Umbruch in der Gasversorgung. „Vor der Krise verbrauchte die Branche fünfmal so viel Gas wie ganz Dänemark“, so Deutsche-Bank-Experte Heymann. Billiges russisches Pipeline-Erdgas, jahrelang der Garant für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Chemie, fiel plötzlich durch den russischen Lieferstopp und die Sprengung der Ostsee-Pipelines aus. Nun kommt der Energieträger und Rohstoff aus Norwegen, den Niederlanden, Belgien sowie per Tanker aus Übersee, ist knapper und teurer. 

„Der Preisunterschied zwischen Europa beziehungsweise Deutschland und den USA bei Gas ist riesig“, erklärt Heymann. Aktuell liegen die Großhandelspreise in den USA bei nur sechs Dollar je Megawattstunde und in Europa bei 27 Euro. Kurz: „Gas ist hier vier- bis fünfmal so teuer wie in Amerika.“ Auch Strom wurde dadurch teurer.

Die Preisnachteile stecken die Betriebe nicht so einfach weg: Einige Produktionsstätten hierzulande sind einfach nicht mehr profitabel. Besonders trifft es die für Massenprodukte, Kunst- und Schaumstoffe, Kautschuk oder Ammoniak. „Solche Standardprodukte kann man überall auf der Welt herstellen“, erklärt Ifo-Expertin Wolf. „Das kaufen Kunden bei dem, der am preiswertesten produziert.“

Hinzu kommt die überbordende Bürokratie, zum Beispiel bei Schwertransporten oder Anlagengenehmigungen. 442 konkrete Entlastungsvorschläge machten Branchenverbände  – nur elf fanden Eingang ins neue Bürokratieentlastungsgesetz. 15.000 Seiten Regulierungsvorschriften aus Brüssel müssen Betriebe beachten. Und neue kommen hinzu, wie das Lieferkettengesetz oder die Richtlinie für Industrieemissionen. Das bedeutet Mehraufwand und geht mit Kosten einher.

Verschiebung auf weltweiten Chemiemärkten

Unternehmen wägen in diesem Umfeld genau ab, ob sie in Deutschland investieren – oder anderswo. Laut einer Mitgliederumfrage des Branchenverbands VCI wollen 44 Prozent der Firmen dieses Jahr mehr im Ausland investieren als im letzten Jahr. Der Chemiekonzern Lanxess etwa nimmt Nordamerika in den Blick. Die BASF erwägt den Bau einer Ammoniakanlage in den USA und steckt bis Ende des Jahrzehnts zehn Milliarden Euro in einen großen Verbundstandort in China.

Die Gewichte auf den weltweiten Chemiemärkten dürften sich dadurch weiter verschieben. Anfang des Jahrhunderts waren noch die USA die Nummer eins. „Heute ist China der größte und einer der wichtigsten Märkte für Chemikalien“, sagt Geschäftsführer Bastian von Houlihan Lokey. Deutschlands Anteil am globalen Geschäft hat sich nahezu halbiert.

Konsequenzen für Rheinland-Pfalz

Das wirkt sich auch auf die Unternehmen in Rheinland-Pfalz aus. Sowohl in Nordamerika als auch in Asien hat der Kunststoffverarbeiter RENOLIT in Worms in den zurückliegenden zehn Jahren sein Geschäft ausgebaut. Das Unternehmen sei dort insgesamt um 35 Prozent gewachsen, schreibt der Vorstandsvorsitzende Michael Kundel. „Beide Regionen haben heute zusammen einen Anteil von 28 Prozent am Gesamtumsatz der Gruppe.“ In jüngster Zeit hat RENOLIT sowohl in Nordamerika, Asien als auch in Europa „im zweistelligen Millionenbereich“ investiert. Der Plexiglas-Hersteller Röhm hat ein Innovationszentrum in den USA errichtet, aber auch ein neues in Worms.

Was braucht es, damit der Standort Deutschland attraktiv bleibt? Neuer Schwung muss her, mahnt VCI-Präsident Markus Steilemann: „Wir brauchen jetzt eine Wachstumsagenda für Deutschland!“ Der Verband fordert: Strompreise konkurrenzfähig machen, Turbo beim Bürokratieabbau einlegen, die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie in den Fokus nehmen und Unternehmenssteuern senken. Wenn das gelingt, so die Hoffnung, könnten die Betriebe wieder ihre Stärke zeigen.

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