Politik & Wirtschaft

Chemieindustrie: Kohlenwasserstoff im Kreis führen

· Lesezeit 4 Minuten.
Grafik zur Kreislaufwirtschaft
Kreislauf: Die Chemie will den genutzten Kohlenwasserstoff im Kreis führen. Foto: Covestro

Kreislaufwirtschaft oder auch „Circular Economy“ heißt das Zauberwort, auf das die chemische Industrie in Sachen Umwelt und Klima setzt. Ging es zunächst vor allem darum, Teile der verbrauchten Produkte zu recyceln und neu zu verwerten, versteht die Branche heute unter Kreislaufwirtschaft viel mehr: „Es geht um den Kohlenstoff, der in unseren Produkten enthalten ist“, erklärt Jörg Rothermel, Experte für Energie, Klimaschutz und Rohstoffe beim Verband der Chemischen Industrie (VCI).

Denn aus Kohlenstoffketten baut man alle Chemikalien, aus denen wiederum Produkte wie Kunststoffe, Medikamente oder Waschmittel entstehen. „Diesen Kohlenwasserstoff wollen wir im Kreis führen“, sagt der Chemiker. Das Problem dabei: Nicht alles, was die Chemie herstellt, lässt sich zurückholen – zum Beispiel im Gelben Sack. Kohlenstoffhaltige Produkte wie Lacke, Farben, Klebstoffe oder Kosmetika zersetzen sich und landen als Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) in der Atmosphäre. Rothermel: „Wir wollen auch für diese Produkte neue Kreisläufe eröffnen und am Ende den gesamten Kohlenstoff zurücknehmen und in Kreisläufen führen.“ Dazu gibt es vier Möglichkeiten, die auch Chemieunternehmen in Rheinland-Pfalz entwickelnund einsetzen:

Klassisches Recycling

Kunststoffe (Polymere), die in Autos, Flaschen, Verpackungen oder Kühlschränken stecken, werden eingesammelt, sortiert und gehen sortenrein zurück zur Industrie. Dort bereitet man das Material auf und verarbeitet es zu neuen Produkten. Das klappt immer besser, der Rücklauf steigt. Das Problem: Unterschiedliche Kunststoffe wie PVC, PET oder Polyethylen kann der Laie kaum erkennen und korrekt entsorgen.

Chemisches Recycling

Gemischte Kunststoffabfälle, die den Löwenanteil ausmachen, lassen sich nicht so einfach trennen. Rothermel: „Dafür entwickeln wir auf breiter Front neue Methoden, um sie in ihre Ausgangsbestandteile zu zerlegen.“ Auf die Kunststoffreste wirken Wärme, Katalysatoren oder Lösungsmittel ein. Die Verfahren spalten die Polymerketten in kürzere Einheiten bis hin zu Monomeren auf. Die dabei gewonnenen Kohlenwasserstoffe führt man dem Stoffkreislauf erneut zu und ersetzt so primäre Ressourcen. Rothermel: „Das ist keine Science-Fiction mehr, wir sind bereits aus dem Labormaßstab heraus. Das wird eine große Zukunft haben.“ Kritiker bemängeln, dass bei dem Verfahren komplett neue Produkte aus den Materialien entstehen können – das sei deshalb kein echter Kreislauf.

Recycling aus Biomasse

Auch hierbei wird der Kohlenstoff, der im Produkt steckt, im Kreis geführt. So setzt etwa die Verbrennung Kohlenstoff frei, der als CO2 in die Umwelt gelangt. Das „Einsammeln“ des Treibhausgases übernehmen Pflanzen und produzieren dabei Sauerstoff (Photosynthese). Der Kreis schließt sich, sobald Unternehmen Biomasse wie Zucker, Öle oder andere nachwachsende Rohstoffe als Basischemikalie für neue Produkte einsetzen. Der Anteil an Biokunststoffen liegt heute bereits bei 13 bis 15 Prozent.

Recycling aus Kohlendioxid

Kohlendioxid lässt sich aber auch direkt aus der Luft nehmen und als Rohstoff nutzen. „Es ist chemisch-technisch möglich, aus Kohlendioxid und Wasserstoff Basischemikalien zu produzieren“, erklärt Rothermel. Versuche dazu habe es schon in der Vergangenheit gegeben (Fischer-Tropsch-Synthese). Noch sei das Verfahren unwirtschaftlich, sollte es aber im großen Maßstab funktionieren, wäre das „der größte Kreislauf, CO2 aus der Luft zu nehmen, solange es noch konzentriert aus den Fabrikschornsteinen kommt“. Rechnerisch könnte so ein Teil der Emissionen kompensiert werden, die etwa bei Zersetzung oder Verbrennung entstehen.

Mit einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft kann die chemische Industrie ihr ganz großes Ziel erreichen: bis 2050 treihausgasneutral produzieren. „Wir haben noch einen langen Weg vor uns, aber ich bin optimistisch“, bekräftigt Rothermel. Es müssten jedoch alle mitziehen: „Wir benötigen gute Rahmenbedingungen von der Politik sowie wirtschaftliche Verfahren, die der globalen Konkurrenz standhalten. Auch die Gesellschaft muss mitarbeiten, die Produkte zurückführen und dazu bereit sein, solche Waren fair zu bezahlen. Sonst klappt es nicht.“

  • Like
  • PDF
Schlagworte

Das könnte Sie auch interessieren

Katherina Reiche, Bundesministerin für Wirtschaft und Energie.

Energiewende ja, aber anders
Wirtschafts- und Energieministerin Katherina Reiche will den Ausbau erneuerbarer Energien und die Kosteneffizienz neu ausbalancieren. Betreiber von Ökostrom-Anlagen sollen sich Ihrer Meinung nach künftig an der Finanzierung des Netzausbaus beteiligen.
Wie die Frankfurter Neue Presse meldete, möchte Reiche Ende des Sommers einen „Realitätscheck“ zur Energiewende vorlegen. „Wir brauchen zwingend mehr Steuerbarkeit, um die Volatilität der Stromerzeugung durch erneuerbare Energien ausgleichen zu können“, sagte sie demnach. „Auch Speicher spielen zum Ausgleich eine Rolle. Sie sind Teil der Lösung, aber reichen allein nicht aus. Wir werden uns die Ergebnisse genau anschauen, und dann werden wir die notwendigen Schlüsse daraus ziehen.“ 
Der Ausbau der Stromnetze geschieht zu langsam
Reiches Vorgänger Robert Habeck (Grüne) hatte mit verschiedenen Maßnahmen den Ausbau des Ökostroms vor allem aus Wind und Sonne vorangetrieben. Die erneuerbaren Energien sollen eine Schlüsselrolle spielen, damit Klimaziele erreicht werden. Der Ausbau der Stromnetze hält aber nicht Schritt. Wegen fehlender Netze müssen erneuerbare Anlagen immer wieder gedrosselt werden. Ausgleichsmaßnahmen gegen Netzengpässe kosten Geld. Um den vor allem im Norden produzierten Windstrom in den Süden zu leiten, sind zusätzliche Stromleitungen erforderlich. Ein Großteil ist aber noch nicht fertig.
Mehr Kosteneffizienz als Ziel
Mit Blick auf geplante Entlastungen der Stromkunden bei den Netzentgelten, mit denen unter anderem der Netzausbau finanziert wird, sagte die Ministerin: Momentan würden Kosten vom Stromkunden in die öffentlichen Haushalte und damit auf den Steuerzahler verschoben. „Wir lösen damit nicht das grundlegende Problem. Die Entlastungen bei der Stromsteuer, die Abschaffung der Gasspeicherumlage, die teilweise Übernahme der Netzkosten und die Übernahme der schon länger in den Haushalt verlagerten EEG-Kosten machen zusammen rund 30 Milliarden Euro aus.“ Die Energiewende müsse kosteneffizienter werden. „Und das geht auch.“
Zweifel am prognostizierten Stromverbrauch
Eine wesentliche Kenngröße sei der prognostizierte Stromverbrauch, sagte Reiche. „Die letzte Regierung hat angenommen, dass der Stromverbrauch schon 2030 auf bis zu 750 Terawattstunden steigt, bis 2035 gibt es Prognosen von 1.000 Terawattstunden.“ Das wäre eine Steigerung von fast 50 Prozent innerhalb weniger Jahre. „Seriöse Studien zweifeln, ob diese Steigerungen der Realität standhalten. Wir werden eine deutliche Zunahme der Elektrifizierung sehen, insbesondere im Bereich der Wärmepumpen, der Elektromobilität, der Digitalisierung. Ob in den von der Ampel angenommenen Größenordnungen, darf bezweifelt werden.“
Ökostrom-Betreiber sollen sich an Kosten für Netzausbau beteiligen
Betreiber von Anlagen erneuerbarer Energien müssten mehr Systemverantwortung übernehmen, meint Reiche. Sie sollten sich an der Finanzierung des Netzausbaus beteiligen. „Systemverantwortung heißt, dass die Kosten für den Netzausbau nicht mehr nur über die Netzbetreiber und die allgemeinen Netzentgelte von den Stromkunden zu bezahlen sind“, sagte Reiche. Die Kosten für den Netzausbau liegen bisher voll beim Netzbetreiber und werden über die Netzentgelte von den Stromkunden bezahlt.

Wechseln zur Seite International Articles Wechseln zur Seite Newsletter