Schneller zur Klimaneutralität
Die Geschäftsleitung von Finzelberg hatte sich 2020 ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: 2025 für die deutschen Standorte eine neutrale Klimabilanz vorzulegen – und damit schneller voranzugehen, als es das deutsche Klimaschutzgesetz mit dem Zieljahr 2045 vorsieht.
Im Frühjahr soll es nun so weit sein. Der Grund ist einfach: „Unsere Extrakte beruhen auf pflanzlichen Rohstoffen, die wir weltweit gewinnen, und in unseren landwirtschaftlichen Lieferketten spüren wir den Klimawandel immer deutlicher. Deshalb handeln wir konsequent im Klimaschutz und zeigen, was heute schon machbar ist“, erklärt Michael Braig, Geschäftsführer des Andernacher Unternehmens.
Finzelberg ist auf Pflanzenextrakte für Arzneimittelhersteller spezialisiert. Die Endprodukte fördern unter anderem die Konzentration oder die Gelenkfunktionen und sind zum Beispiel als Tabletten oder Instantpulver erhältlich. Extreme Wetterereignisse, so berichtet Braig, wirkten sich bereits seit Jahren auf die Anbaugebiete aus und führten zu schlechteren oder ausgefallenen Ernten.
Dies gilt für den Rosenwurz, der in Westeuropa wächst, und für die Beeren der Sägepalmen in Florida, die ein Hurricane hinwegfegte. „Sich dieser bedrohlichen Entwicklung nicht entgegenzustellen, würde bedeuten, dass wir den Ast abschneiden, auf dem wir sitzen“, sagt Braig.

„Als produzierendes Unternehmen haben wir eine besondere Verantwortung. Und die Technologien für die Klimaneutralität sind da. Daher können wir andere nur ermutigen, diesen Weg ebenfalls zu gehen.“
Hohe Motivation auf allen Ebenen
Das Vorhaben der Geschäftsführung habe in der ganzen Belegschaft viel Motivation freigesetzt. Braig hebt besonders das Engagement von Dietmar Kaiser hervor. Kaiser, der bis zu seinem unerwarteten Tod Anfang 2024 zur Geschäftsleitung gehörte, hatte viele Projekte vorangetrieben, darunter die Klimaneutralität.
Klimaschonender mit Energie umzugehen, das interessiert inzwischen sehr viele bei Finzelberg: Seit 2016 lassen sich jedes Jahr einige Azubis von der IHK zu Energiescouts ausbilden und entwickeln wirksame technische Effizienzprojekte. Zum aktuellen Team gehört die angehende Chemikantin Lina Köhn. Mit ihren jungen Kollegen wird sie in wenigen Monaten ihr Projekt präsentieren – inklusive Einsparpotenzial und Wirtschaftlichkeitsberechnung.
„Das ist die beste Energieschulung, die man sich denken kann“, sagt Wadim Pfaff, Teamleiter für Energie und Umwelt. „Die jungen Leute haben danach einen ganz anderen Blick auf die Anlagen, an denen sie arbeiten.“
Das Klimaziel für 2025 bezieht sich auf die unternehmenseigenen Bereiche
Zum 150. Jubiläum des Unternehmens wird Finzelberg die Klimabilanz der deutschen Standorte Andernach und Sinzig auf Null bringen. 88 Prozent der standortbezogenen Emissionen hat Finzelberg bis Anfang 2025 reduziert. Das entspricht einer jährlichen Einsparung von mehr als 15.000 Tonnen CO2. Die verbleibenden 12 Prozent gleicht das Unternehmen per Klima-Kompensation aus.
Von mehr Energie-Effizienz bis Biomasseheizkraftwerk
Der größte Teil der Treibhausgasemissionen von Finzelberg entsteht beim Bezug von Strom und Erdgas sowie bei deren Verbrauch in den Extraktions- und Trockenanlagen. „Seit 2014 haben wir ein Team, das systematisches Energiemanagement betreibt“, berichtet der Teamleiter für Energie und Umwelt Wadim Pfaff. „So konnten wir in zehn Jahren 16.000 Megawattstunden Energie einsparen.“
Akribische Suche nach Lecks und mehr Energie-Effizienz
Hilfreich waren dabei: die eigenen Profis, die das Handlungspotenzial im Unternehmen akribisch aufspürten; die vielen technischen Lösungen, die es bereits auf dem Markt gab; und Förderungen von der Kreditanstalt für Wiederaufbau und dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. Als besonders wirksame Schritte erwiesen sich:
- 2014: Installation einer Mikrogasturbine, Beseitigung von Druckluftlecks, Austausch konventioneller Leuchten gegen LED – Effekt: 471 Tonnen weniger CO2 pro Jahr
- 2019: Ersatz alter Extraktionsanlagen; Ersatz der Diesel-Pool-Fahrzeuge durch E-Autos, weitere technische Maßnahmen: 1372 Tonnen weniger CO2 pro Jahr
- 2020: Umstellung auf 100 Prozent Ökostrom, unter anderem durch eigene Dach-Solar-Anlagen – 3500 Tonnen weniger CO2 pro Jahr
- 2022: neues, hocheffizientes Extraktionsgebäude – 3100 weniger CO2 pro Jahr.
Herzstück der Energiewende bei Finzelberg: das Biomasseheizkraftwerk
Und es geht noch mehr: Zur Jahreswende 2024/25 läuft ein neues Biomasseheizkraftwerk (BMHKW) an, das sich aus zertifiziertem Holz der Region speist. Es wird den CO2-Ausstoß um weitere 9000 Tonnen pro Jahr senken. Befeuert wird es mit Laub-Wald-Hackschnitzeln, die aus Bruch- oder Waldpflegeholz aus der Eifel, dem Hunsrück und dem Westerwald stammen. „Für unser Biomasseheizkraftwerk wird kein Baum extra geschlagen“, sagt Wadim Pfaff.
Im neuen Kraftwerk entstehen bis zu 80 Prozent der Wärmeenergie für die Extraktproduktion und Gebäudeheizung. „Durch Abluftreinigung vermeiden wir Luftverschmutzung und Gestank“, erläutert er. „Und die Asche kann ein benachbarter Betonhersteller als Beimischung gebrauchen.“

Besonders hoher Wirkungsgrad dank Stromerzeugung
Darüber hinaus führen Leitungen heißes Wasser aus dem Kesselhaus zu einer kleinen Anlage gleich nebenan. Dort bringt es in einem Modul eine organische Lösung zum Sieden, die wiederum eine Turbine zur Stromerzeugung antreibt. Leicht abgekühlt gelangt das Wasser wieder zum BMHKW zurück, wo der Kreislauf von neuem beginnt.
Ein wichtiger Schritt zur Klimaneutralität: das Wasserkraftwerk in Indien
Um die verbleibenden 12 Prozent der standortbezogenen Emissionen auszugleichen, unterstützt Finzelberg Bau und Betrieb eines Wasserkraftwerks in Indien mit dem Kauf von Kompensationszertifikaten. Dieses Projekt einer Non-Profit- Organisation ist nach dem Verified Carbon Standard zertifiziert.
Finzelberg hat noch mehr vor: weitere Solaranlagen, Innovationen wie die Verkohlung von Pflanzenabfällen und den Klimaschutz in den eigenen Lieferketten. Die Emissionen in Scope 3 legt das Unternehmen bereits seit 2020 in einer TÜV-zertifizierten Klimabilanz offen. Im nächsten Schritt prüft es die Umsetzung von Projekten mit den Lieferanten seiner Heilpflanzen, um auch die Emissionen in den Lieferketten deutlich zu reduzieren.
Der Vorstandsvorsitzende Michael Braig resümiert: „Die Herausforderungen waren lösbar. Dass wir so weit gekommen sind, sehe ich als Wettbewerbsvorteil, nicht nur für uns, sondern auch für unsere Kunden. Die profitieren von maximaler Effizienz und einer positiven Umweltauswirkung ihrer Produkte..“
Die Finzelberg GmbH & Co. KG und ihre Klimaziele
Die Finzelberg GmbH & Co. KG geht auf Hermann Finzelberg zurück, der Mitte des 19. Jahrhunderts eine Apotheke betrieb. 1875 baute er seine Firma zur Pflanzenwirkstoff-Extraktion auf. Das Unternehmen erzeugt heute rund 800 Produkte aus mehr als 80 Pflanzen für Hersteller von Arznei- und Nahrungsergänzungsmitteln. An den Standorten Andernach und Sinzig arbeiten 380 Beschäftigte. Finzelberg gehört zur Unternehmensgruppe the nature network, die mehr als 4000 Beschäftigte an über 30 Standorten hat. Finzelbergs Klimaneutralitätsziel gilt für die Bereiche, die in der Fachsprache Scope 1 und Scope 2 heißen. Sie umfassen diejenigen Emissionen, die das Unternehmen selbst oder durch eingekaufte Energie verursacht. Die anderen Emissionen, die entlang der Wertschöpfungskette entstehen, aber nicht von Finzelberg stammen, Scope 3 genannt, sollen bis 2030 auf netto null sinken. Dies liegt in der Verantwortung der Unternehmensgruppe.
Geschäftsführer Michael Braig über die Energiewende bei Finzelberg
