Politik & Wirtschaft

Corona mischt Chemie-Betriebe auf

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 In den ersten Wochen der Krise arbeiten vier Fünftel der Chemiebeschäftigten im normalen Umfang. Foto: BASF
Riesenanlage der BASF: In den ersten Wochen der Krise arbeiten vier Fünftel der Chemiebeschäftigten im normalen Umfang. Foto: BASF

Das Corona-Virus würgt das Wachstum ab. Und stürzt Deutschland in den stärksten Wirtschaftseinbruch seit Bestehen der Bundesrepublik. Doch ab dem Sommer werde eine Erholung einsetzen, macht der Sachverständigenrat Mut. Noch im Mai hatte der Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC) steigende Kurzarbeit gemeldet. 90.000 Beschäftigte seien betroffen, gut 15 Prozent der Branchenmitarbeiter. Vor allem Autozulieferer wie etwa Hersteller von Lacken, Gummi, Kunststoffen und Fasern mussten die Produktion runterfahren.

Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch: Mehr als vier Fünftel der Chemiebeschäftigten arbeiteten im Mai in gewohntem Umfang. Die Corona-Krise hat also viele Facetten. Manche Betriebe leiden unter Absatzschwund, andere beliefern neue Märkte, wieder andere profitieren vom plötzlichen Nachfrageboom. Und bei fast allen nimmt die digitale Kommunikation zu. Alle Beiträge zu den Corona-Folgen für die Chemieindustrie haben wir hier gesammelt.

Bei der BASF im April weltweit 490.000 Web-Konferenzen

Beispiel BASF: Bei dem Chemiekonzern arbeiteten ab Mitte März rund die Hälfte der 40.000 Mitarbeiter am BASF-Firmensitz Ludwigshafen mobil oder von zu Hause aus. Dadurch schoss die Zahl der Web- und Videokonferenzen im Konzern weltweit in die Höhe. Gab es Dezember 2019 noch 110.000 Web-Meetings, waren es im März schon 394.000 und im April sogar 490.000. Das waren (bei 20 Arbeitstagen) über 24.000 Web-Meetings täglich. Auch nach der Pandemie will die BASF „auf das wachsende Bedürfnis der Mitarbeiter nach zeitlicher und räumlicher Flexibilität eingehen“. Aus der Corona-Zeit wolle man lernen.

Der Wormser Folienhersteller Renolit hat „eine steile Lernkurve mit digitalen Kommunikationsmedien durchlaufen“, sagt der Vorstandsvorsitzende Michael Kundel. „Sehr wahrscheinlich werden wir digitale Kommunikation auch zukünftig stärker nutzen als bisher und so Dienstreisen auf ein notwendiges Maß reduzieren.“ Der Nachfragerückgang machte Renolit global zu schaffen. Die Hauptstandorte der Gesundheitssparte ausgenommen, habe man weltweit Kapazitäten „temporär angepasst“. Hinzu kamen von Behörden angeordnete Lockdown-Maßnahmen. „Dadurch mussten wir in China, Indien, Italien, Spanien, Frankreich, Großbritannien und Deutschland Produktionen zeitweise einstellen“, so Kundel. Zwischen 3.000 und 4.000 Mitarbeiter waren von Kapazitätsanpassungen betroffen.

Produzenten von Farben und Vliesstoffen profitieren

Mehr zu tun war dagegen bei Jansen Lacke in Ahrweiler. Wer wegen Kurzarbeit viel Zeit zu Hause verbringt, verschönert oft die eigenen vier Wände. Corona brachte dem Renovieren von Wohnungen, Häusern und Geschäftsräumen „neuen Schub“, teilt das Unternehmen mit. Der Absatz entwickle sich 2020 weiter positiv; zurzeit registriere man eine zweistellige Steigerung. Geschäftsführer Peter Jansen weiß aber auch um die Tücken so eines Booms: „Nach der Welle kommt die Delle – darauf müssen wir uns einstellen.“ Deshalb setzt man für die Mehrarbeit Zeitarbeitnehmer ein.

Ein Nachfragehoch verbuchte auch Röhm als Hersteller der Marke Plexiglas: Platten aus dem durchsichtigen Kunststoff schützen vor Tröpfcheninfektionen und sind jetzt in Supermärkten, Drogerien oder Apotheken gefragt wie nie. „Der Absatz hat sich je nach Typ um das Fünf- bis Zehnfache erhöht“, sagt Geschäftsführer Michael Pack. „Wir rechnen mit einer länger anhaltenden hohen Nachfrage.“ Die Traditionsfirma, die seit August 2019 wieder eigenständig ist, hat die Produktion „drastisch hochgefahren“. Das Rohmaterial für die Scheiben liefert das Werk in Worms.

Begehrter Spuckschutz: Röhm-Mitarbeiter in der Produktion von Plexiglas-Platten. Foto: Röhm
Begehrter Spuckschutz: Röhm-Mitarbeiter in der Produktion von Plexiglas-Platten. Foto: Röhm

Die Weinheimer Freudenberg-Gruppe wiederum produziert jetzt Mund-Nasen-Masken für Verbraucher. Der dafür benötigte hochtechnische Vliesstoff wird im Werk Kaiserslautern hergestellt. Seit Mai läuft die Maskenfertigung, in den kommenden Wochen will Freudenberg den Ausstoß auf eine Million Stück pro Tag steigern.

Das zeigt: Krisen setzen auch viel unternehmerische Energie frei.

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