Tarifverhandlung Chemie Baden-Württemberg ergebnislos vertagt
Am Donnerstag gingen die Vertretern des Arbeitgeberverbands VBCI, Unternehmensvertreter und Vertreter der Gewerkschaft IGBCE nach einer zweistündigen Wirtschaftsdebatte in Feldkirchen bei München ohne Ergebnis auseinander. VBCI-Verhandlungsführer Albert Franz betonte, wie wichtig der Chemiestandort Bayern sei: „Die Arbeitskosten sind ein wesentlicher Faktor, wenn es darum geht, welche Mittel für Investitionen in die notwendige Transformation zur Verfügung stehen, um gemeinsam die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und der Arbeitsplätze in Bayern zu sichern.“ Die Arbeitgeberseite sieht in den Forderungen der Gewerkschaft - darunter 7 Prozent mehr Einkommen - keinen geeigneten Beitrag, um Wettbewerbsfähigkeit und Jobs zu stärken. So sei die Produktion der Branche von Q1/22 bis Q1/24 in Bayern um 15 Prozent eingebrochen. Der Branchenumsatz verzeichnete im gleichen Zeitraum ein Minus von 12 Prozent. Die Arbeitgeberseite bekennt sich zu dem Ziel, die beiderseitige Tarifbindung zu stärken.
Am Mittwoch sind die Verhandlungskommissionen der baden-württembergischen Chemie-Arbeitgeber und der Gewerkschaft IGBCE nach mehr als dreistündigen Verhandlungen ohne Ergebnis auseinandergegangen. Die Vertreter des Arbeitgeberverbandes Chemie Baden-Württemberg (agvChemie) wiesen die Forderungen der Gewerkschaft (7 Prozent mehr Entgelt, Vorteile für die Gewerkschaftsmitglieder) zurück: “Eine Entgeltsteigerung in dieser Höhe geht an den wirtschaftlichen Realitäten unserer Mitgliedsunternehmen in der Fläche vorbei”, so der Verhandlungsführer des agvChemie, Clemens Schmid.
Die Chemie- und Pharmabranche in Baden-Württemberg hatte im vergangenen Jahr Umsatzeinbußen hinnehmen müssen. Zudem sei die Produktivität in der Branche im Laufe des vergangenen Jahres auf einen neuen Tiefstand gesunken. “Wir haben kaum Verteilungsspielraum, sondern müssen einen Tarifabschluss für eine Krisensituation erreichen, um Standort und Beschäftigung zu sichern", so Schmid weiter. In zahlreichen Unternehmen sind Umsatz und Erträge im vergangenen Jahr zurückgegangen, erläuterten die Arbeitgebervertreter in Beispielen während der Verhandlung.
Die Arbeitnehmer hätten dagegen, so Schmid, erst im Januar eine Entgelterhöhung um 3,25 Prozent und zusätzlich einen Inflationsausgleich von 1.500 Euro erhalten. Mit Blick auf die deutlich rückläufige Inflation in den ersten Monaten und die Erwartungen für das Gesamtjahr sagte er: “Die Inflationsflamme ist gelöscht. Und die Beschäftigten haben 2024 ohne jede weitere Tariferhöhung real mehr Geld in der Tasche!”
Die Forderung der Gewerkschaft, die Tarifbindung auf Arbeitnehmerseite einseitig durch einen Bonus zu stärken, lehnten die Arbeitgeber ab: Das spalte die Belegschaften und würde bei den Arbeitgebern zu einem Rückzug aus dem Tarif führen. Hingegen sei die Idee, dass Tarifwerk in der Chemie einfacher zu machen, eine Forderung, die der agvChemie durchaus unterstütze: “Allerdings müssen wir hier, gerade mit Blick auf die hohen Arbeitskosten in der Chemie im Land, darauf achten, dass das keine Kostensteigerungen durch die Hintertür bedeutet”, so Schmid weiter.
In der Chemie- und Pharmaindustrie liegt der Anteil der Arbeitskosten am Umsatz der Unternehmen in der überwiegenden Mehrheit der Unternehmen bei weit über 20 Prozent - ein Wert, der ihrer mittelständischen Größe und der speziellen Branchenstruktur geschuldet ist. Die Verhandlungen sollen am 14. Mai 2024 auf Bundesebene fortgesetzt werden.
Erste Tarifrunde für norddeutsche Chemieindustrie ergebnislos vertagt
Die erste Tarifverhandlung für 68.000 Beschäftigte in rund 300 norddeutschen Chemieunternehmen ist ohne Ergebnis vertagt worden. In der mehrstündigen und kontroversen Verhandlung unterstrichen die Chemie-Arbeitgeber, dass es in dieser Tarifrunde um die Zukunftsfähigkeit vieler Standorte gehe. „In dieser Krisen-Tarifrunde müssen wir als Sozialpartner gemeinsam die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen erhalten und damit Standorte und Arbeitsplätze sichern. Verteilungsdiskussionen über nicht vorhandene Zuwächse führen da nicht weiter“, betont Dr. Sarah Saeidy-Nory, Hauptgeschäftsführerin des Arbeitgeberverbandes ChemieNord.
Knapp 42 Prozent der norddeutschen Chemieunternehmen klagen über fehlende Aufträge und mangelnde Nachfrage. Rund 55 Prozent kämpfen mit einer kaum befriedigenden bis schlechten Ertragslage. Dreiviertel der Unternehmen müssen dabei Arbeitskosten von nahe 30 Prozent erwirtschaften, die damit rund doppelt so hoch sind wie im bundesweiten Branchendurchschnitt. „Hohe Kosten und fehlende Aufträge führen zum Ausbleiben dringend erforderlicher Investitionen. Es ist höchste Zeit, dass die IGBCE die kritische Lage der gesamten Branche anerkennt. Wir sind in einer Krisen-Tarifrunde und benötigen einen Krisenabschluss“, unterstreicht Saeidy-Nory.
Die geforderte tarifliche Besserstellung von IGBCE-Mitgliedern lehnen die Arbeitgeber ab. Sie würde zu Austritten auf Arbeitgeberseite führen. Man stehe aber zu der Aussage aus dem letzten Tarifabschluss, Instrumente zu entwickeln, die zu einer Stärkung der Tarifbindung auf beiden Seiten führten. Auf dieser Basis sei man gesprächsbereit. Offenheit bestehe hinsichtlich der Modernisierung des Bundesentgelttarifvertrags, wenn sie nicht mit zusätzlichen Kosten einhergehe.
Entsprechend einer aktuellen Verbandsumfrage sind auch die Erwartungen der Unternehmen für den weiteren Verlauf des Jahres düster. Gut 84 Prozent rechnen mit nur gleichbleibender bis sinkender Produktion. In Reaktion auf die Krise haben bereits 31 Prozent Maßnahmen zum Personalabbau umgesetzt beziehungsweise setzen konkrete Pläne dafür in 2024 um. Weitere 30 Prozent der Unternehmen haben dazu zwar noch keine konkreten Planungen aber bereits entsprechende Vorbereitungen getroffen.
Der IGBCE-Landesbezirk Nord hatte in der heutigen Verhandlung Entgeltsteigerungen von 7 Prozent, einen Gewerkschaftsbonus und eine Modernisierung des Bundesentgelttarifvertrags gefordert. Aus Arbeitgebersicht sollen die Verhandlungen jetzt am 14. Mai auf Bundesebene fortgesetzt werden.
Chemie-Arbeitgeber sehen kein Ende der Krise
Beim Tarifgespräch in Niedernhausen blickten die Chemie-Arbeitgeber Hessen auf ein trübes Jahr 2023 zurück, und zwar
- auf sinkende Produktion: minus 7,9 Prozent und
- schrumpfenden Umsatz: minus 8,1 Prozent.
Die Chemie-Arbeitgeber Hessen sehen 2024 kein Ende der Krise. Zugleich stehen sie vor enormem Investitionsbedarf für Klimaneutralität und Digitalisierung. Die Forderungen der IGBCE Hessen-Thüringen nach einer Entgelterhöhung von 7 Prozent lehnten sie ab. Kolja Hosch (Clariant), Verhandlungsführer der hessischen Chemie-Arbeitgeber, erklärte, unter anderem hohe Strom- und Gaskosten sowie internationale Konflikte hätten dazu geführt, dass die internationale Wettbewerbsfähigkeit bereits merklich geschwächt worden sei: „Ein teurer Tarifabschluss würde unsere Unternehmen zusätzlich belasten und ihre Erholungsfähigkeit weiter einschränken.“
IGBCE: Das Gesamtbild ist positiver
IGBCE-Verhandlungsführerin Sabine Süpke betonte hingegen, die Beschäftigten spürten die Inflation tagtäglich: „Sie brauchen eine ordentliche Entgelterhöhung.“ Die Branche stehe besser da als behauptet. Weitere Gewerkschaftsforderungen sind Vorteile für Gewerkschaftsmitglieder und eine Reform des Bundesentgelttarifvertrags.
Die Gespräche sollen konstruktiv verlaufen
Hilfreich findet Hosch, dass die Inflation in diesem Jahr im Schnitt auf 2,3 Prozent sinken werde. Der Arbeitgeberverband HessenChemie wünscht sich
- konstruktive Verhandlungen,
- standort- und beschäftigungssichernde Lösungen und
- eine Stärkung der Tarifbindung auf beiden Seiten.
- Auch für eine Modernisierung des Bundesentgelttarifvertrags sei man offen.
Verhandlungen für Westfalen vertagt
Derzeit finden weitere regionale Runden in anderen Tarifbezirken statt, zum Beispiel für die rund 180 westfälischen Unternehmen mit 44.000 Beschäftigten. Obwohl die Verhandlungen in Bochum sachlich und sozialpartnerschaftlich verliefen, wurden sie ergebnislos vertagt. Auch hier bewerteten Arbeitgeber und IB BCE die wirtschaftliche Lage verschieden. „Wir erleben derzeit schmerzhaft, wie wir Teile der Industrie verlieren “, sagte Hans J. Hesse, Verhandlungsführer der westfälischen Chemie-Arbeitgeber. „Insbesondere die Forderung nach 7 Prozent Entgeltsteigerung passt überhaupt nicht in die Zeit. Wir stecken tief in der Krise fest, eine spürbare Verbesserung der wirtschaftlichen Lage noch in diesem Jahr ist nach Einschätzung der Unternehmen ausgeschlossen.“
Mitte Mai gehen die Verhandlungen dann auf Bundesebene weiter.