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Chemie-Lieferketten: Wo die größten Probleme liegen

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Weltkarte der Lieferketten. Grafik: Lena Wolff.
Gestört: Die Weltkarte zeigt die Abhängigkeit der Lieferketten. Grafik: Lena Wolff.

Corona hat die Lieferketten der Welt massiv durcheinandergewirbelt. Containermangel, Schiffstaus, Rohstoffengpässe und hohe Energiepreise nehmen der Konjunktur den Schwung. Die Chemieindustrie erwartet, dass sich das Geschäft abkühlt. „Der Welthandel ist in einem Umfang gestört, wie es das seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben hat“, sagt Lars Wallstein, Geschäftsführer des Chemie-Distributeurs IMCD Deutschland in Köln. Die Frachtkosten sind massiv gestiegen, auf der Route Schanghai-Rotterdam zum Beispiel um 500 Prozent. Zudem fehlen in Europa Zehntausende Truck-Fahrer. Hinzu kommt der massive Anstieg der Energiepreise, etwa bei dem für die Chemieindustrie wichtigen Erdgas. All das schlägt auch auf die Konjunktur durch. Der Sachverständigenrat hat die Wachstumsprognose für die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr vor Kurzem von 3,1 auf 2,7 Prozent gesenkt.

Engpässe bis weit ins neue Jahr

In der Chemieindustrie führten die Materialknappheit, gestörte Lieferketten und steigende Energiepreise in einigen Sparten im dritten Quartal zu Rückgängen der Produktion. Schnelle Besserung sei nicht in Sicht, berichtet der Chemieverband VCI in Frankfurt. Dessen Präsident Christian Kullmann, der Vorstandschef von Evonik, sagt: „Diese Faktoren belasten die Wirtschaft und führen dazu, dass das Chemiegeschäft im kommenden Winter weiter abkühlen wird.“ Und Handelsexperte Wallstein prognostiziert: „Die Lieferketten bleiben auch in 2022 angespannt. Dass sich die Situation Mitte des nächsten Jahres normalisiert, glaube ich nicht.“ Trübe Aussichten also.

Weltkarte der Lieferketten. Grafik: Lena Wolff
Weltkarte der Lieferketten. Grafik: Lena Wolff

Transport: Hunderte Schiffe im Stau

Zu wenige Container, zu wenige Schiffe, zu wenige Hafenarbeiter: Als nach Corona der Welthandel rasch wieder ansprang, waren Reeder und Häfen nicht vorbereitet. Dann kam die Wirtschaft nicht überall gleichzeitig in Gang. Jetzt stauen sich in einigen Häfen leere Container, vor manchen volle Frachtschiffe. 533 Schiffe ankerten am 18. November vor Häfen, notiert der Monitor Seaexplorer des Logistikunternehmens Kühne+Nagel. Und die Frachtraten haben sich auf manchen Routen verfünffacht.

  • Los Angeles und Long Beach. Die Bilder gingen um die Welt: Vor den Häfen von Los Angeles und Long Beach an der Westküste der USA stauen sich die Containerschiffe. Im Oktober schätzt die Investmentbank Goldman Sachs, dass dort Waren im Wert von 24 Milliarden Dollar im Stau hängen. In den beiden Häfen wird nun rund um die Uhr gearbeitet, um Schiffe aus Asien zu entladen.
  • Hongkong, Shenzhen und Schanghai. Auch auf der anderen Seite des Pazifischen Ozeans kämpfen Häfen mit den enormen Mengen Fracht. Allein vor den Containerhäfen von Hongkong und Shenzhen warteten laut dem Monitor von Kühne+Nagel im November 99 Schiffe, vor Schanghai 110. Ein Grund: Immer wieder haben chinesische Behörden Häfen wegen Corona-Fällen ganz oder teilweise abgeriegelt. Im Mai etwa traf es für Wochen Teile des Ports von Yantian.
  • Rotterdam. Selbst vor der niederländischen Küste warten Tanker und Frachtschiffe darauf, abgefertigt zu werden. Vor dem Hafen von Rotterdam stauen sich auf den Armen des Rhein-Maas-Deltas auch Binnenschiffe, weil sie nicht entladen werden konnten. Der Hafen in Hamburg hatte zeitweilig ebenfalls Probleme.
  • Suezkanal. Im März lief in der Wasserstraße das Containerschiff „Ever Given“ auf Grund. Sechs Tage lang versperrte der 400 Meter lange Frachter die wichtige Verbindung zwischen Asien und Europa. Beiderseits des Kanals stauten sich schließlich 422 Schiffe. Laut Schätzungen wurde pro Tag Fracht im Wert von 9 Milliarden Dollar blockiert.

 

Rohstoffe/Energie: Winter und Corona bremsen

Extreme Kälte, ein Hurrikan, Überflutungen und Arbeiter im Lockdown: Bei wichtigen Rohstoffen ist die Versorgung aus dem Lot geraten. Ob Kunststoffgranulat, Kautschuk oder Erdgas, die Chemieindustrie trifft es gleich mehrfach. Laut einer Umfrage des Ifo-Instituts in München klagten im Oktober 74 Prozent der Kunststoff- und Gummihersteller über Lieferprobleme und Materialmangel.

  • Texas. Ein extremer Wintereinbruch legte im Februar die Produktion von Kunststoffen im Süden der USA auf Eis. Viele Chemieanlagen fielen für Wochen aus. Betroffen waren Werke in Houston, Dallas und Baytown. Am Golf von Mexiko liegen viele Raffinerien und Petrochemieanlagen, so entstehen dort etwa 96 Prozent der US-Produktion des Kunststoffvorprodukts Ethylen. Die Preise für Kunststoff erhöhten sich um 10 bis 20 Prozent.
  • Thailand, Malaysia, Indonesien. In Südostasien hielt der Lockdown Arbeiter und Kleinbauern von den Kautschukplantagen fern. Die Produktion verringerte sich, die Preise stiegen. Hinzu kamen Überflutungen und Pflanzenkrankheiten. Schon 2020 ging die globale Kautschukerzeugung von 29 Millionen auf 27,4 Millionen Tonnen zurück.
  • Russland. Der Gazprom-Konzern erfüllt zwar seine Gaslieferverträge. Von den Förderzentren Nadym und Jamal-Halbinsel strömt aber nicht genug Gas gen Westen, um die durch den letzten kalten Winter geleerten Gasspeicher hierzulande zu füllen. Mitte November betrug der Füllstand 69 Prozent, vor einem Jahr waren es 93 Prozent. Das trägt zu kräftigen Preissprüngen bei. Für die Chemieindustrie ist das doppelt problematisch, weil sie Erdgas als Energieträger und als Rohstoff nutzt.
  • Snohvit, Groningen. Aus Europa kommt ebenfalls weniger Erdgas. Nach einem Brand kann eine Flüssiggas-Plattform im Snohvit-Feld von Norwegen kein Flüssiggas liefern. Erst 2022 soll sie wieder in Betrieb gehen. Die Exporte Norwegens per Schiff sind um 93 Prozent gefallen. Zugleich fahren die Niederlande nach einem Erdbeben die Förderung in Groningen runter; 2022 soll sie ganz enden.
  • USA, Katar. Verflüssigtes Erdgas, wie es die USA und Katar ausführen, wird bevorzugt nach Asien verschifft, weil dort die Preise höher sind. Jetzt verstärkt sich das. In China wachsen die Gasimporte, die Einfuhren in Europa hingegen gingen dieses Jahr um ein Fünftel zurück, so das Institute for Strategic & International Studies in Washington.
  • Ludwigshafen, Antwerpen. Der Chemiekonzern BASF hat die Produktion von Ammoniak in Deutschland und Belgien gedrosselt. Wegen des Anstiegs der Erdgaspreise hätten sich „die Bedingungen für den wirtschaftlichen Betrieb einer Ammoniakanlage erheblich verschlechtert“. Laut dem Düngerverband Fertilizers Europe macht der Erdgaspreis 80 Prozent der Kosten der Produktion von Dünger aus. Die SKW Stickstoffwerke Piesteritz in Sachsen-Anhalt und das norwegische Unternehmen Yara haben die Erzeugung ebenfalls verringert. Ammoniak ist für die Produktion von Dünger und Harnstoff nötig. Branchenexperten fürchten schon, dass Dünger knapp wird. Die Harnstofflösung AdBlue für die Abgasreinigung in Dieselautos und Trucks könnte auch zur Mangelware werden.

 

Vorprodukte: Chipmangel trifft Chemie

Kurzarbeit, weniger Schichten, lange Lieferzeiten: Die Autoindustrie spürt Ende 2021 immer noch den Mangel an Mikrochips. Das trifft indirekt auch die Chemieindustrie. Weniger Autoproduktion bedeutet weniger Absatz bei Kunststoffteilen, Lacken, Farben, Schaumstoff, Schläuchen, Reifen für Pkws und Lkws.

  • Kalifornien, Südkorea, Taiwan. Die Produktionskapazitäten der Chipfabriken sind derzeit voll ausgelastet. Besonders gefragt sind Prozessoren für PCs, Tablets und Smartphones, weil durch Corona der Alltag verstärkt in den eigenen vier Wänden stattfindet. Die Autohersteller, die zu Beginn der Pandemie Aufträge verringert oder storniert hatten, kommen daher aktuell nicht richtig zum Zug.
  • Texas, Japan, Taiwan. Ein Schneesturm sorgte im Februar für Stromausfälle in Texas. Chipproduzenten in Austin mussten ihre Werke zeitweilig schließen. In Japan bremste ein Brand eine Fabrik für einen Monat aus, in Taiwan sorgten Dürre und Wassermangel für Produktionsprobleme.

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