Arbeiten in der Chemie

Barrieren einreißen

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Der Inklusionsbeauftragte mit einem taktilen Gebäudeplan.
Inklusiv: Inklusionsbeauftragter Olaf Gutzeit mit dem taktilen Gebäudeplan, der auch Menschen mit Sehbehinderung Orientierung bietet. Foto: Jan Hosan.

Wenn das Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim neue Bauprojekte anschiebt, beugt sich auch Olaf Guttzeit über die Pläne. Guttzeit ist kein Bauexperte, sondern studierter Wirtschaftspädagoge. Vor allem aber ist er Inklusionsbeauftragter. „Vor zehn Jahren war es Ingenieurinnen und Ingenieuren noch lästig, die Anforderungen für barrierefreies Bauen mitzudenken“, erinnert sich Guttzeit. „Heute wetteifern sie um die innovativsten Ideen.“

Was Guttzeit beschreibt, ist ein Kulturwandel, den er mitgeprägt hat. In neueren Gebäuden gibt es nicht nur rollstuhlgerechte Arbeitsplätze und Blindenleitsysteme, sondern auch vier unterschiedliche Toilettenanlagen: für Frauen, für Männer, für Menschen, die eine barrierefreie Anlage benötigen, und für Menschen, die sich keinem der binären Geschlechterrollen zugehörig fühlen. „Inklusion ist bei uns Teil unserer Diversity-Strategie“, erklärt Guttzeit. „Als Unternehmen gehen wir weit über das hinaus, was heute als gesetzlicher Standard definiert ist.“

„Inklusion ist bei uns Teil unserer Diversity-Strategie.“

Es war ein Zufall, der Guttzeit in die Pharmabranche brachte. Der Wiesbadener startete seine Karriere als Ausbildungscoach bei einem Bildungsträger. Jedes Wochenende durchblätterte er den Stellenteil der Zeitung, immer auf der Suche nach passenden Angeboten für seine Klienten. „Dann bin ich an einem Stelleninserat hängen geblieben, das auf mich passte.“ Guttzeit bewarb sich auf eine Stelle als Ausbildungsreferent im Rahmen einer Elternzeitvertretung bei Boehringer Ingelheim. Er erhielt den Job. Später folgte die Einstellung als Personalreferent und das Amt des Inklusionsbeauftragten.

Von Verwaltungsaufgaben zum Aktionsplan

Anfangs kümmerte sich Guttzeit vor allem um Förderanträge. „Meine Aufgabe als Inklusionsbeauftragter war zu Beginn sehr bürokratisch“, schmunzelt Guttzeit. Aber das änderte sich: 2002 wurde Boehringer Ingelheim Mitglied im neu gegründeten UnternehmensForum.

„Die Deutsche Bahn hat damals mit der Fraport gemeinsam nach Lösungen gesucht, wie Menschen mit Sehbehinderung ohne Barrieren vom Fernbahnhof zum Flugsteig kommen können. Das war für uns unfassbar inspirierend. Zu fragen: Mit welchen Problemen beschäftigen sich andere? Und was können wir daraus lernen?“

Heute gehört Guttzeit zu einem der drei ehrenamtlichen Vorsitzenden des UnternehmensForums. Seine Impulse in dem Gremium sind deutlich spürbar: 2012 erarbeitet er für Boehringer Ingelheim den ersten Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention für ein Unternehmen der Privatwirtschaft. Im Winter des vergangenen Jahres hat auch das UnternehmensForum-Mitglied BASF einen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention vorgelegt.

Inklusion fördert Innovation

Die UN-Behindertenrechtskonvention trat in Deutschland schon 2009 in Kraft. Die Bundesregierung verpflichtet sich damit, die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung umzusetzen. Der Aktionsplan von Boehringer Ingelheim übertrug diesen Anspruch auf das eigene Unternehmen: „Uns war wichtig, damit auch einen Sinneswandel einzuleiten und auf eine Kultur der Stärken zu fokussieren, statt vermeintliche Defizite von Menschen mit Behinderungen in den Blick zu nehmen. Heute verstehen wir Inklusion ganz stark auch als Innovationstreiber.“

In diesem Sinne integrierte Boehringer Ingelheim als erstes Pharmaunternehmen in Deutschland per QR-Code einen Gebärdensprachen-Avatar im Beipackzettel eines Medikaments. Viele Gehörlose lernen zwar die Laut- und Schriftsprache, medizinische Fachbegriffe bleiben dennoch häufig eine Herausforderung. Der Avatar erklärt daher komplexe Begriffe in Gebärdensprache.

„Wir experimentieren zurzeit außerdem mit Assistenzrobotern, um herauszufinden, ob sie blinde Mitarbeitende durch unser Gebäude führen können“, erzählt Guttzeit. Die Digitalisierung birgt viele Chancen für die Inklusion. Der Inklusionsbeauftragte möchte diese Chancen für mehr Teilhabe nutzen und Zugänglichkeit von Anfang an mitdenken – sei es bei der Haltung, bei Bauprojekten oder im digitalen Raum. Guttzeit weiß, wie viel sein Team in den letzten Jahren erreicht hat. Und doch bleibt noch viel zu tun.

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