Arbeiten in der Chemie

Wie Energiewende und Automatisierung Chemieberufe verändern

· Lesezeit 4 Minuten.
Über zahlreiche Bildschirme steuern und überwachen Fachkräfte die hochkomplexen Vorgänge. Foto: BASF SE
Digitalisierung in einem Ludwigshafener Produktionsbetrieb: :In der modernen Messwarte in einer Anlage für Zwischenprodukte laufen alle Informationen über die Anlage zentral zusammen. Über zahlreiche Bildschirme steuern und überwachen Fachkräfte die hochkomplexen chemischen Vorgänge. Foto: BASF SE

Welche Faktoren verändern die Ausbildungen in den Chemieberufen?

Ein wichtiger Punkt ist die Energiewende. Sie macht es erforderlich, Anlagen umzurüsten, beispielsweise von Erdgas auf Strom, von erdölbasierten auf wasserstoffbasierte Rohstoffe. Dafür braucht man die gewerblich-technischen Berufe, etwa Mechatroniker, und zwar mit einem speziellen Qualifikationsbündel. Hier sind die Berufe in der Chemie grundsätzlich sehr gut vorbereitet.

Inwiefern verändert die Automatisierung die Berufe?

Im Großen und Ganzen lassen sich Routinetätigkeiten gut automatisieren. Das bedeutet, dass Fachkräfte von manuellen Tätigkeiten entlastet werden. Diesen Trend gibt es schon seit den Achtzigerjahren. Sicherheit, Prozesssteuerung, Sensorik, Mess- und Regeleinrichtungen – all diese Technik wurde immer weiter automatisiert. Das verringerte schmutzige, körperlich belastende Aufgaben. Zugleich sind die Produktionsanlagen durch die Digitalisierung stärker miteinander vernetzt. Heute halten sich Chemikantinnen und Chemikanten viel mehr in der Leitwarte auf. Von dort aus steuern sie mehrere verbundene Anlagen.

Was ist der Unterschied zu früher?

Früher sind die Fachkräfte täglich, stündlich zu den Anlagen rausgegangen, haben Messwerte abgelesen, die Anlage gehört, gerochen, Vibrationen erfasst und bei Bedarf manuell eingegriffen. Die Maschine hat sie sozusagen gezwungen, sich mit ihr physisch auseinanderzusetzen. Chemikantinnen und Chemikanten sind diejenigen, die die Prozesse kennen und die chemische Verfahrenstechnik steuern. Der Unterschied zu früher ist, dass man heute in der Leitwarte sitzen bleiben kann, solange alles gut läuft. Das ist allerdings nicht in jedem Unternehmen gleich! Je nach Automatisierungsgrad gibt es auch Betriebe, in denen traditioneller gearbeitet wird. 
 

Thomas Felkl, Experte für Elektro-, IT- und naturwissenschaftlich-technische Berufe beim Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB)

„Bei stark vernetzten Anlagen mit einer Vielzahl von Produktionsstufen hat jede Entscheidung eine große Tragweite.“

Inwiefern sind die Tätigkeiten anspruchsvoller geworden?

Zum Beispiel außerhalb der Routine, etwa wenn die Automatisierung ungewöhnliche Vorfälle nicht berücksichtigt oder Sensorik und Steuerung nicht nach einem optimalen Muster funktionieren. Oder bei Stromausfällen oder anderen Störungen. Bei stark vernetzten Anlagen mit einer Vielzahl von Produktionsstufen hat jede Entscheidung eine große Tragweite. Wenn ich die Produktion drossele, wirkt sich das auf weitere Prozesse aus. Die Fachkräfte müssen schnell und sehr gut reagieren, damit das Gesamtsystem nicht außer Kontrolle gerät.

Welche Voraussetzungen brauchen junge Fachkräfte dafür?

Sie müssen sehr motiviert sein. Sie müssen gut mit der digitalen Technik umgehen können, was sie auch tun. Nur gehen viele nicht mehr so gern raus. Es ist wichtig, dass sie das praktische Wissen der Älteren übernehmen, in der Ausbildung und auch danach, damit sie es bei Bedarf auch anwenden können.

Wie wichtig ist Teamfähigkeit?

Der Teamgeist war in der Chemieindustrie schon immer stark und bleibt wichtig. Denn der Chemikantenberuf basiert auf Erfahrungswissen – bis man eine Anlage gut kennt, braucht es drei bis fünf Jahre. Im Team müssen die Mitglieder voneinander lernen. Sonst funktioniert das nicht, weil die Anlagen wirklich komplex sind.

Verändern sich auch die Ausbildungen entsprechend mit?

Ja, zum Beispiel durch die digitalen Wahlqualifikationen, die es für den Chemikantenberuf und die Laborberufe seit einigen Jahren gibt. Und der Mechatronikerberuf wurde ja eigens geschaffen, weil es in diesen Anlagen nicht reicht, sich jeweils nur mit Metall, IT oder Elektrotechnik auszukennen, sondern man diese Kenntnisse verbinden muss. Um an vernetzten Systemen zu arbeiten, sind verschiedene Disziplinen gefordert; das heißt, außer dem Chemikantenberuf zum Beispiel auch Mechatroniker und Industriemechaniker. Sie müssen sich miteinander abstimmen. Future Skills wie Team- und Kommunikationsfähigkeit sind somit in all diesen Berufen gefragt.
 

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